Deiner Gewandtheit im Dialoge hat noch niemand das volle Lob ertheilt. Wie schmerzten mich oft in meines so heilig geliebten Herders [Schriften] die Gespräche, in welchen er als Dichter immer blos auf Achilles--Fersen steht. Aber die rezensierenden Philosophen achten vielleicht -- aus unpoetischer Unwissenheit -- einen Dialog5 mehr, der nur Ja und Nein ihnen selber vorsagt.
Gib nur recht viel Neues; denn dein weniges Altes kann man auswendig. -- Deine zerbröckelten Brosamen von Aphorismen, die ich genoßen, bedürfen wahrlich kein Neubacken oder Umknäten zu einem Ambrosiabrod. -- An deiner Stelle gäb' ich Woldemar etc. etc.10 erst am Ende der Sammlung. --
Auch ich labe mich ordentlich an dem Anschauen des jetzigen Kriegschrittes wie an dem Verstäuben der Zentralsonne des Teufels. (N. B.) Im Dezember schickt ich einen scherzhaften Auf- satz gegen die Franzosen ins Morgenblatt; das Non-Imprimatur15 machte ihn zu einem besondern jetzo gedruckten Werkchen: "Mars und Phöbus Thronwechsel im J[ahre] 1814", wovon dir der ernste Anfang und Ausgang vielleicht gefallen. Aber freilich wie anders schrieb' ich, wenn ich jetzo darüber schriebe und Herz und Kopf und Auge freudig ausgöße! -- Es sollte -- nur von keinem20 Geistlichen -- eine Geschichte der Vorsehung geschrieben werden. -- Ich glaube immer mehr an [den] Teufel; aber nicht an einen der es durch Fallen geworden, sondern an einen radikalen. Ist das Böse etwas schlimmeres als Irrthum oder als Hülse und Schranke des Guten: so kann es nur gesetzt, nicht erklärt werden, so wenig als25 die gute Unendlichkeit und die Endlichkeit.
Im Mai komm' ich wahrscheinlich nach Regensburg, um, wie ich immer jährlich thue, einige Wochen in einem Miethzimmer ein Stylit und Einsamer zu sein. Wie werd' ichs machen, daß mich nicht Habakuks Engel nach München führt und reißt?30
Dieser Frühling -- glaube dem Wetterpropheten -- wird köstlich, blau und warm; dieß melde deiner Seele, wenn sie sich vor deinem Körper fürchtet. Du wirst recht aufleben und dann recht leben. -- Meinen Herzens Gruß an deine lieben Schwestern! Dein
[J. P. Fr. Richter]35
Deiner Gewandtheit im Dialoge hat noch niemand das volle Lob ertheilt. Wie ſchmerzten mich oft in meines ſo heilig geliebten Herders [Schriften] die Geſpräche, in welchen er als Dichter immer blos auf Achilles—Ferſen ſteht. Aber die rezenſierenden Philoſophen achten vielleicht — aus unpoetiſcher Unwiſſenheit — einen Dialog5 mehr, der nur Ja und Nein ihnen ſelber vorſagt.
Gib nur recht viel Neues; denn dein weniges Altes kann man auswendig. — Deine zerbröckelten Broſamen von Aphoriſmen, die ich genoßen, bedürfen wahrlich kein Neubacken oder Umknäten zu einem Ambroſiabrod. — An deiner Stelle gäb’ ich Woldemar ꝛc. ꝛc.10 erſt am Ende der Sammlung. —
Auch ich labe mich ordentlich an dem Anſchauen des jetzigen Kriegſchrittes wie an dem Verſtäuben der Zentralſonne des Teufels. (N. B.) Im Dezember ſchickt ich einen ſcherzhaften Auf- ſatz gegen die Franzoſen ins Morgenblatt; das Non-Imprimatur15 machte ihn zu einem beſondern jetzo gedruckten Werkchen: „Mars und Phöbus Thronwechſel im J[ahre] 1814“, wovon dir der ernſte Anfang und Ausgang vielleicht gefallen. Aber freilich wie anders ſchrieb’ ich, wenn ich jetzo darüber ſchriebe und Herz und Kopf und Auge freudig ausgöße! — Es ſollte — nur von keinem20 Geiſtlichen — eine Geſchichte der Vorſehung geſchrieben werden. — Ich glaube immer mehr an [den] Teufel; aber nicht an einen der es durch Fallen geworden, ſondern an einen radikalen. Iſt das Böſe etwas ſchlimmeres als Irrthum oder als Hülſe und Schranke des Guten: ſo kann es nur geſetzt, nicht erklärt werden, ſo wenig als25 die gute Unendlichkeit und die Endlichkeit.
Im Mai komm’ ich wahrſcheinlich nach Regensburg, um, wie ich immer jährlich thue, einige Wochen in einem Miethzimmer ein Stylit und Einſamer zu ſein. Wie werd’ ichs machen, daß mich nicht Habakuks Engel nach München führt und reißt?30
Dieſer Frühling — glaube dem Wetterpropheten — wird köſtlich, blau und warm; dieß melde deiner Seele, wenn ſie ſich vor deinem Körper fürchtet. Du wirſt recht aufleben und dann recht leben. — Meinen Herzens Gruß an deine lieben Schweſtern! Dein
[J. P. Fr. Richter]35
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><divn="2"><pbfacs="#f0392"n="376"/><p>Deiner Gewandtheit im Dialoge hat noch niemand das volle<lb/>
Lob ertheilt. Wie ſchmerzten mich oft in meines ſo heilig geliebten<lb/><hirendition="#aq">Herders</hi> [Schriften] die Geſpräche, in welchen er als Dichter immer<lb/>
blos auf Achilles—Ferſen ſteht. Aber die rezenſierenden Philoſophen<lb/>
achten vielleicht — aus unpoetiſcher Unwiſſenheit — einen Dialog<lbn="5"/>
mehr, der nur Ja und Nein ihnen ſelber vorſagt.</p><lb/><p>Gib nur recht viel Neues; denn dein weniges Altes kann man<lb/>
auswendig. — Deine zerbröckelten Broſamen von Aphoriſmen, die<lb/>
ich genoßen, bedürfen wahrlich kein Neubacken oder Umknäten zu<lb/>
einem Ambroſiabrod. — An deiner Stelle gäb’ ich <hirendition="#aq">Woldemar</hi>ꝛc. ꝛc.<lbn="10"/>
erſt am Ende der Sammlung. —</p><lb/><p>Auch ich labe mich ordentlich an dem Anſchauen des jetzigen<lb/>
Kriegſchrittes wie an dem Verſtäuben der Zentralſonne des<lb/>
Teufels. <hirendition="#aq">(N. B.)</hi> Im Dezember ſchickt ich einen ſcherzhaften Auf-<lb/>ſatz gegen die Franzoſen ins Morgenblatt; das <hirendition="#aq">Non-Imprimatur</hi><lbn="15"/>
machte ihn zu einem beſondern jetzo gedruckten Werkchen: „<hirendition="#g">Mars<lb/>
und Phöbus Thronwechſel im J[ahre] 1814</hi>“, wovon dir<lb/>
der ernſte Anfang und Ausgang vielleicht gefallen. Aber freilich<lb/>
wie anders ſchrieb’ ich, wenn ich jetzo darüber ſchriebe und Herz<lb/>
und Kopf und Auge freudig ausgöße! — Es ſollte — nur von keinem<lbn="20"/>
Geiſtlichen — eine Geſchichte der Vorſehung geſchrieben werden. —<lb/>
Ich glaube immer mehr an [den] Teufel; aber nicht an einen der es<lb/>
durch Fallen geworden, ſondern an einen radikalen. Iſt das Böſe<lb/>
etwas ſchlimmeres als Irrthum oder als Hülſe und Schranke des<lb/>
Guten: ſo kann es nur geſetzt, nicht erklärt werden, ſo wenig als<lbn="25"/>
die gute Unendlichkeit und die Endlichkeit.</p><lb/><p>Im Mai komm’ ich wahrſcheinlich nach <hirendition="#aq">Regensburg,</hi> um, wie<lb/>
ich immer jährlich thue, einige Wochen in einem Miethzimmer<lb/>
ein Stylit und Einſamer zu ſein. Wie werd’ ichs machen, daß<lb/>
mich nicht Habakuks Engel nach <hirendition="#aq">München</hi> führt und reißt?<lbn="30"/></p><p>Dieſer Frühling — glaube dem Wetterpropheten — wird köſtlich,<lb/>
blau und warm; dieß melde deiner Seele, wenn ſie ſich vor deinem<lb/>
Körper fürchtet. Du wirſt recht aufleben und dann recht leben. —<lb/>
Meinen Herzens Gruß an deine lieben Schweſtern! Dein</p><lb/><closer><salute><hirendition="#right">[J. P. Fr. Richter]</hi><lbn="35"/></salute></closer></div></div></body></text></TEI>
[376/0392]
Deiner Gewandtheit im Dialoge hat noch niemand das volle
Lob ertheilt. Wie ſchmerzten mich oft in meines ſo heilig geliebten
Herders [Schriften] die Geſpräche, in welchen er als Dichter immer
blos auf Achilles—Ferſen ſteht. Aber die rezenſierenden Philoſophen
achten vielleicht — aus unpoetiſcher Unwiſſenheit — einen Dialog 5
mehr, der nur Ja und Nein ihnen ſelber vorſagt.
Gib nur recht viel Neues; denn dein weniges Altes kann man
auswendig. — Deine zerbröckelten Broſamen von Aphoriſmen, die
ich genoßen, bedürfen wahrlich kein Neubacken oder Umknäten zu
einem Ambroſiabrod. — An deiner Stelle gäb’ ich Woldemar ꝛc. ꝛc. 10
erſt am Ende der Sammlung. —
Auch ich labe mich ordentlich an dem Anſchauen des jetzigen
Kriegſchrittes wie an dem Verſtäuben der Zentralſonne des
Teufels. (N. B.) Im Dezember ſchickt ich einen ſcherzhaften Auf-
ſatz gegen die Franzoſen ins Morgenblatt; das Non-Imprimatur 15
machte ihn zu einem beſondern jetzo gedruckten Werkchen: „Mars
und Phöbus Thronwechſel im J[ahre] 1814“, wovon dir
der ernſte Anfang und Ausgang vielleicht gefallen. Aber freilich
wie anders ſchrieb’ ich, wenn ich jetzo darüber ſchriebe und Herz
und Kopf und Auge freudig ausgöße! — Es ſollte — nur von keinem 20
Geiſtlichen — eine Geſchichte der Vorſehung geſchrieben werden. —
Ich glaube immer mehr an [den] Teufel; aber nicht an einen der es
durch Fallen geworden, ſondern an einen radikalen. Iſt das Böſe
etwas ſchlimmeres als Irrthum oder als Hülſe und Schranke des
Guten: ſo kann es nur geſetzt, nicht erklärt werden, ſo wenig als 25
die gute Unendlichkeit und die Endlichkeit.
Im Mai komm’ ich wahrſcheinlich nach Regensburg, um, wie
ich immer jährlich thue, einige Wochen in einem Miethzimmer
ein Stylit und Einſamer zu ſein. Wie werd’ ichs machen, daß
mich nicht Habakuks Engel nach München führt und reißt? 30
Dieſer Frühling — glaube dem Wetterpropheten — wird köſtlich,
blau und warm; dieß melde deiner Seele, wenn ſie ſich vor deinem
Körper fürchtet. Du wirſt recht aufleben und dann recht leben. —
Meinen Herzens Gruß an deine lieben Schweſtern! Dein
[J. P. Fr. Richter] 35
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/392>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.