Geliebter Heinrich! -- Der Überbringer dieß, der hiesige katho- lische Pfarrer Oestreicher, ein im Charakter wackerer und im Geiste weit über den Katholizismus hinaus gebildeter Mann, wünscht sich,5 nachdem du ihm schon viele angenehme Stunden geschenkt, noch eine halbe dazu zu stehlen. Wahrscheinlich begleitet ihn, in ähn- licher Absicht, der Kreisrath Kraser, den du vielleicht aus seiner Erziehungslehre "Divinitaet etc.", worin er die Gottähnlich- werdung zum Prinzipe des Erziehens macht, theoretisch auf einer10 so guten Seite kennst als er praktisch noch mehr in den Schulen Bambergs bekannt ist.
Mit Freuden las ich im Morgenblatte von der endlichen Er- scheinung deines neuesten Werks, welches mir sehr noth thut und sehr wol thäte, ungeachtet ich eben an einer Kunst, stets heiter zu15 sein, arbeite. Zur Messe kommt bei Schrag in Nürnberg meine Lebensbeschreibung Fibels heraus, im Geschmacke des Fixlein und Wutz; im künftigen Jahre kommen die neuen vergrößerten Auflagen der Vorschule und der Levana. Wir würden beide gewinnen, hättest du etwas von meinem fleißigen und ich von deinem philosophischen20 Wesen. Im Spätjahr des Lebens sollte man wirklich mehr geben, weil man mehr hat; und nicht das Wenige, was das kleinere Feuer an der Form etwan nicht ausbrennen kann, als einen Grund vor- wenden, die Fülle des ganzen Gefäßes zurück zu behalten. Und zuletzt bleibt doch jedem Genius auch im Alter seine angeborne25 Form; die von zufälliger Anspannung gewonnene oder irgend eine angebildete läßt sich über großen Inhalt schon entbehren. Ich sage dir freilich nichts als was du weißt; aber der Mensch hat so oft nöthig, das zu hören was er schon weiß, so wie man den andern um einen Rath fragt, um den eignen zum zweiten male zu hören30 und zu bewähren.
Die Sonne der Philosophie steht jetzt im Zeichen des Thomas- tags und wirkt also bei aller ihrer Nähe (über eine 1/2 Million Meilen ist am besagten Tage die physische uns näher) mit weniger Wärme und Glanz. Mögest du durch dein Werk diese Sonne sich35 wieder ein wenig weiter von der Erde himmelwärts entfernen
526. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.
Bayreuth d. 13. August 1811
Geliebter Heinrich! — Der Überbringer dieß, der hieſige katho- liſche Pfarrer Oestreicher, ein im Charakter wackerer und im Geiſte weit über den Katholiziſmus hinaus gebildeter Mann, wünſcht ſich,5 nachdem du ihm ſchon viele angenehme Stunden geſchenkt, noch eine halbe dazu zu ſtehlen. Wahrſcheinlich begleitet ihn, in ähn- licher Abſicht, der Kreisrath Kraser, den du vielleicht aus ſeiner Erziehungslehre „Divinitaet etc.“, worin er die Gottähnlich- werdung zum Prinzipe des Erziehens macht, theoretiſch auf einer10 ſo guten Seite kennſt als er praktiſch noch mehr in den Schulen Bambergs bekannt iſt.
Mit Freuden las ich im Morgenblatte von der endlichen Er- ſcheinung deines neueſten Werks, welches mir ſehr noth thut und ſehr wol thäte, ungeachtet ich eben an einer Kunſt, ſtets heiter zu15 ſein, arbeite. Zur Meſſe kommt bei Schrag in Nürnberg meine Lebensbeſchreibung Fibels heraus, im Geſchmacke des Fixlein und Wutz; im künftigen Jahre kommen die neuen vergrößerten Auflagen der Vorschule und der Levana. Wir würden beide gewinnen, hätteſt du etwas von meinem fleißigen und ich von deinem philoſophiſchen20 Weſen. Im Spätjahr des Lebens ſollte man wirklich mehr geben, weil man mehr hat; und nicht das Wenige, was das kleinere Feuer an der Form etwan nicht ausbrennen kann, als einen Grund vor- wenden, die Fülle des ganzen Gefäßes zurück zu behalten. Und zuletzt bleibt doch jedem Genius auch im Alter ſeine angeborne25 Form; die von zufälliger Anſpannung gewonnene oder irgend eine angebildete läßt ſich über großen Inhalt ſchon entbehren. Ich ſage dir freilich nichts als was du weißt; aber der Menſch hat ſo oft nöthig, das zu hören was er ſchon weiß, ſo wie man den andern um einen Rath fragt, um den eignen zum zweiten male zu hören30 und zu bewähren.
Die Sonne der Philoſophie ſteht jetzt im Zeichen des Thomas- tags und wirkt alſo bei aller ihrer Nähe (über eine ½ Million Meilen iſt am beſagten Tage die phyſiſche uns näher) mit weniger Wärme und Glanz. Mögeſt du durch dein Werk dieſe Sonne ſich35 wieder ein wenig weiter von der Erde himmelwärts entfernen
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526. An Friedrich Heinrich Jacobi in München.
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weit über den Katholiziſmus hinaus gebildeter Mann, wünſcht ſich, 5
nachdem du ihm ſchon viele angenehme Stunden geſchenkt, noch
eine halbe dazu zu ſtehlen. Wahrſcheinlich begleitet ihn, in ähn-
licher Abſicht, der Kreisrath Kraser, den du vielleicht aus ſeiner
Erziehungslehre „Divinitaet etc.“, worin er die Gottähnlich-
werdung zum Prinzipe des Erziehens macht, theoretiſch auf einer 10
ſo guten Seite kennſt als er praktiſch noch mehr in den Schulen
Bambergs bekannt iſt.
Mit Freuden las ich im Morgenblatte von der endlichen Er-
ſcheinung deines neueſten Werks, welches mir ſehr noth thut und
ſehr wol thäte, ungeachtet ich eben an einer Kunſt, ſtets heiter zu 15
ſein, arbeite. Zur Meſſe kommt bei Schrag in Nürnberg meine
Lebensbeſchreibung Fibels heraus, im Geſchmacke des Fixlein und
Wutz; im künftigen Jahre kommen die neuen vergrößerten Auflagen
der Vorschule und der Levana. Wir würden beide gewinnen, hätteſt
du etwas von meinem fleißigen und ich von deinem philoſophiſchen 20
Weſen. Im Spätjahr des Lebens ſollte man wirklich mehr geben,
weil man mehr hat; und nicht das Wenige, was das kleinere Feuer
an der Form etwan nicht ausbrennen kann, als einen Grund vor-
wenden, die Fülle des ganzen Gefäßes zurück zu behalten. Und
zuletzt bleibt doch jedem Genius auch im Alter ſeine angeborne 25
Form; die von zufälliger Anſpannung gewonnene oder irgend eine
angebildete läßt ſich über großen Inhalt ſchon entbehren. Ich
ſage dir freilich nichts als was du weißt; aber der Menſch hat ſo
oft nöthig, das zu hören was er ſchon weiß, ſo wie man den andern
um einen Rath fragt, um den eignen zum zweiten male zu hören 30
und zu bewähren.
Die Sonne der Philoſophie ſteht jetzt im Zeichen des Thomas-
tags und wirkt alſo bei aller ihrer Nähe (über eine ½ Million
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:17:09Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 6. Berlin, 1952, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe06_1962/231>, abgerufen am 26.11.2024.
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