Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

Bild:
<< vorherige Seite

überall die Phantasie ins jüngste. Emma ist ein Gemälde -- Max
eine Statue*) -- Odilia ein Ton; ihr großes tief untergestirntes
Auge ist ein Echo, Gott weiß aus welchem Konzert --

Richter
Nachschrift.5

Dieses Blatt hab' ich eben abgeschnitten, um mit dem vorigen
fortzufahren, blos weil ich im Enthusiasmus des Arbeitens bin.
Dieß ist aber eben mein Fehler -- der wenn nicht Feind doch Freund
so oft irre macht -- daß ich im Feuer der sonstigen Schreiberei
damit auch auf Brief- und Freunds-Papier überwehe und dadurch --10
in so fremden zufälligen zeitlichen Verhältnissen -- den Personen
und Gegenständen eine Liebe zeige -- durch meine zu starken Aus-
drücke -- die ich allerdings ganz anders äußern würde, wenn ich
handeln müßte; denn ich würde dann sothanes Objekt umhalsen
und sagen: willkommen, Alter!15

N. S. Merkel hab' ich zweimal eingesalzen in der Michaelis-
messe. Wahrscheinlich schreib' ich gar einen öffentlichen Brief an
Göthe, wo ich diesem verspreche, jenen jährlich zweimal zu ärgern,
es sei durch boshafte Gleichnisse oder andere Anspielungen. Göthe's
Winckelmann ist göttlich.20

Es ist der Mühe werth, noch eine Nach-Nachschrift anzuleimen,
blos um Ihnen von dem Jammer einen Begriff zu geben, der mich
nun festhält, seit mein letzter gebissener nie beissender Spitz vom
Fallmeister entkleidet und geschunden worden; indem ich wöchent-
lich andere Novizen-Hunde zur Probe nehme (z. B. vom Fallmeister25
selber ((wer ist nicht ein Meister im Fallen)) einen herrlichen zu
jungen Bullenbeißer) welche aber sämtlich (z. B. eben der heutige
jetzige schwarze Jung-Spitz) abgehen müssen blos weil sie ihren
Abgang in die Stube lassen. Überall Denkmäler und nirgends ein
Hund! Mich schlägts nieder genug.30

*) Die Sprache ausgenommen -- denn sein Lexikon geht auf meinen, seinen
Fingernagel -- ists viel schwerer, ihm etwas weg- als beizubringen. Endlich nach
vielen Nöthen ist er so weit, daß er den Rock aufhebt -- aber nur vorn -- um zu
pissen. Hinten fragt er nach nichts. Aber auch von der andern Seite ist ihm alles so
gleichgültig, weil ihm alles Nachttopf ist, was er unter sich hat. Wahrlich beschenken35
Sie uns mit Ihrer Gegenwart: so weiß ich voraus, daß 3 mehr ist als 2; 3 Köst-
liche als 2 Eltern. Gute Nacht, Lieber!

überall die Phantaſie ins jüngſte. Emma iſt ein Gemälde — Max
eine Statue*)Odilia ein Ton; ihr großes tief untergeſtirntes
Auge iſt ein Echo, Gott weiß aus welchem Konzert —

Richter
Nachſchrift.5

Dieſes Blatt hab’ ich eben abgeſchnitten, um mit dem vorigen
fortzufahren, blos weil ich im Enthuſiaſmus des Arbeitens bin.
Dieß iſt aber eben mein Fehler — der wenn nicht Feind doch Freund
ſo oft irre macht — daß ich im Feuer der ſonſtigen Schreiberei
damit auch auf Brief- und Freunds-Papier überwehe und dadurch —10
in ſo fremden zufälligen zeitlichen Verhältniſſen — den Perſonen
und Gegenſtänden eine Liebe zeige — durch meine zu ſtarken Aus-
drücke — die ich allerdings ganz anders äußern würde, wenn ich
handeln müßte; denn ich würde dann ſothanes Objekt umhalſen
und ſagen: willkommen, Alter!15

N. S. Merkel hab’ ich zweimal eingeſalzen in der Michaelis-
meſſe. Wahrſcheinlich ſchreib’ ich gar einen öffentlichen Brief an
Göthe, wo ich dieſem verſpreche, jenen jährlich zweimal zu ärgern,
es ſei durch boshafte Gleichniſſe oder andere Anſpielungen. Göthe’s
Winckelmann iſt göttlich.20

Es iſt der Mühe werth, noch eine Nach-Nachſchrift anzuleimen,
blos um Ihnen von dem Jammer einen Begriff zu geben, der mich
nun feſthält, ſeit mein letzter gebiſſener nie beiſſender Spitz vom
Fallmeiſter entkleidet und geſchunden worden; indem ich wöchent-
lich andere Novizen-Hunde zur Probe nehme (z. B. vom Fallmeiſter25
ſelber ((wer iſt nicht ein Meiſter im Fallen)) einen herrlichen zu
jungen Bullenbeißer) welche aber ſämtlich (z. B. eben der heutige
jetzige ſchwarze Jung-Spitz) abgehen müſſen blos weil ſie ihren
Abgang in die Stube laſſen. Überall Denkmäler und nirgends ein
Hund! Mich ſchlägts nieder genug.30

*) Die Sprache ausgenommen — denn ſein Lexikon geht auf meinen, ſeinen
Fingernagel — iſts viel ſchwerer, ihm etwas weg- als beizubringen. Endlich nach
vielen Nöthen iſt er ſo weit, daß er den Rock aufhebt — aber nur vorn — um zu
piſſen. Hinten fragt er nach nichts. Aber auch von der andern Seite iſt ihm alles ſo
gleichgültig, weil ihm alles Nachttopf iſt, was er unter ſich hat. Wahrlich beſchenken35
Sie uns mit Ihrer Gegenwart: ſo weiß ich voraus, daß 3 mehr iſt als 2; 3 Köſt-
liche als 2 Eltern. Gute Nacht, Lieber!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0066" n="52"/>
überall die Phanta&#x017F;ie ins jüng&#x017F;te. <hi rendition="#aq">Emma</hi> i&#x017F;t ein Gemälde &#x2014; Max<lb/>
eine Statue<note place="foot" n="*)">Die Sprache ausgenommen &#x2014; denn &#x017F;ein Lexikon geht auf meinen, &#x017F;einen<lb/>
Fingernagel &#x2014; i&#x017F;ts viel &#x017F;chwerer, ihm etwas weg- als beizubringen. Endlich nach<lb/>
vielen Nöthen i&#x017F;t er &#x017F;o weit, daß er den Rock aufhebt &#x2014; aber nur vorn &#x2014; um zu<lb/>
pi&#x017F;&#x017F;en. Hinten fragt er nach nichts. Aber auch von der andern Seite i&#x017F;t ihm alles &#x017F;o<lb/>
gleichgültig, weil ihm alles Nachttopf i&#x017F;t, was er unter &#x017F;ich hat. Wahrlich be&#x017F;chenken<lb n="35"/>
Sie uns mit Ihrer Gegenwart: &#x017F;o weiß ich voraus, daß 3 mehr i&#x017F;t als 2; 3 Kö&#x017F;t-<lb/>
liche als 2 Eltern. Gute Nacht, Lieber!</note> &#x2014; <hi rendition="#aq">Odilia</hi> ein Ton; ihr großes tief unterge&#x017F;tirntes<lb/>
Auge i&#x017F;t ein Echo, Gott weiß aus welchem Konzert &#x2014;</p><lb/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> </salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <div>
          <head>Nach&#x017F;chrift.<lb n="5"/>
</head>
          <p>Die&#x017F;es Blatt hab&#x2019; ich eben abge&#x017F;chnitten, um mit dem vorigen<lb/>
fortzufahren, blos weil ich im Enthu&#x017F;ia&#x017F;mus des Arbeitens bin.<lb/>
Dieß i&#x017F;t aber eben mein Fehler &#x2014; der wenn nicht Feind doch Freund<lb/>
&#x017F;o oft irre macht &#x2014; daß ich im Feuer der &#x017F;on&#x017F;tigen Schreiberei<lb/>
damit auch auf Brief- und Freunds-Papier überwehe und dadurch &#x2014;<lb n="10"/>
in &#x017F;o fremden zufälligen zeitlichen Verhältni&#x017F;&#x017F;en &#x2014; den Per&#x017F;onen<lb/>
und Gegen&#x017F;tänden eine Liebe zeige &#x2014; durch meine zu &#x017F;tarken Aus-<lb/>
drücke &#x2014; die ich allerdings ganz anders äußern würde, wenn ich<lb/>
handeln müßte; denn ich würde dann &#x017F;othanes Objekt umhal&#x017F;en<lb/>
und &#x017F;agen: willkommen, Alter!<lb n="15"/>
</p>
          <p>N. S. Merkel hab&#x2019; ich zweimal einge&#x017F;alzen in der Michaelis-<lb/>
me&#x017F;&#x017F;e. Wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;chreib&#x2019; ich gar einen öffentlichen Brief an<lb/>
Göthe, wo ich die&#x017F;em ver&#x017F;preche, jenen jährlich zweimal zu ärgern,<lb/>
es &#x017F;ei durch boshafte Gleichni&#x017F;&#x017F;e oder andere An&#x017F;pielungen. Göthe&#x2019;s<lb/>
Winckelmann i&#x017F;t göttlich.<lb n="20"/>
</p>
          <p>Es i&#x017F;t der Mühe werth, noch eine Nach-Nach&#x017F;chrift anzuleimen,<lb/>
blos um Ihnen von dem Jammer einen Begriff zu geben, der mich<lb/>
nun fe&#x017F;thält, &#x017F;eit mein letzter gebi&#x017F;&#x017F;ener nie bei&#x017F;&#x017F;ender Spitz vom<lb/>
Fallmei&#x017F;ter entkleidet und ge&#x017F;chunden worden; indem ich wöchent-<lb/>
lich andere Novizen-Hunde zur Probe nehme (z. B. vom Fallmei&#x017F;ter<lb n="25"/>
&#x017F;elber ((wer i&#x017F;t nicht ein Mei&#x017F;ter im Fallen)) einen herrlichen zu<lb/>
jungen Bullenbeißer) welche aber &#x017F;ämtlich (z. B. eben der heutige<lb/>
jetzige &#x017F;chwarze Jung-Spitz) abgehen mü&#x017F;&#x017F;en blos weil &#x017F;ie ihren<lb/>
Abgang in die Stube la&#x017F;&#x017F;en. Überall Denkmäler und nirgends ein<lb/>
Hund! Mich &#x017F;chlägts nieder genug.<lb n="30"/>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0066] überall die Phantaſie ins jüngſte. Emma iſt ein Gemälde — Max eine Statue *) — Odilia ein Ton; ihr großes tief untergeſtirntes Auge iſt ein Echo, Gott weiß aus welchem Konzert — Richter Nachſchrift. 5 Dieſes Blatt hab’ ich eben abgeſchnitten, um mit dem vorigen fortzufahren, blos weil ich im Enthuſiaſmus des Arbeitens bin. Dieß iſt aber eben mein Fehler — der wenn nicht Feind doch Freund ſo oft irre macht — daß ich im Feuer der ſonſtigen Schreiberei damit auch auf Brief- und Freunds-Papier überwehe und dadurch — 10 in ſo fremden zufälligen zeitlichen Verhältniſſen — den Perſonen und Gegenſtänden eine Liebe zeige — durch meine zu ſtarken Aus- drücke — die ich allerdings ganz anders äußern würde, wenn ich handeln müßte; denn ich würde dann ſothanes Objekt umhalſen und ſagen: willkommen, Alter! 15 N. S. Merkel hab’ ich zweimal eingeſalzen in der Michaelis- meſſe. Wahrſcheinlich ſchreib’ ich gar einen öffentlichen Brief an Göthe, wo ich dieſem verſpreche, jenen jährlich zweimal zu ärgern, es ſei durch boshafte Gleichniſſe oder andere Anſpielungen. Göthe’s Winckelmann iſt göttlich. 20 Es iſt der Mühe werth, noch eine Nach-Nachſchrift anzuleimen, blos um Ihnen von dem Jammer einen Begriff zu geben, der mich nun feſthält, ſeit mein letzter gebiſſener nie beiſſender Spitz vom Fallmeiſter entkleidet und geſchunden worden; indem ich wöchent- lich andere Novizen-Hunde zur Probe nehme (z. B. vom Fallmeiſter 25 ſelber ((wer iſt nicht ein Meiſter im Fallen)) einen herrlichen zu jungen Bullenbeißer) welche aber ſämtlich (z. B. eben der heutige jetzige ſchwarze Jung-Spitz) abgehen müſſen blos weil ſie ihren Abgang in die Stube laſſen. Überall Denkmäler und nirgends ein Hund! Mich ſchlägts nieder genug. 30 *) Die Sprache ausgenommen — denn ſein Lexikon geht auf meinen, ſeinen Fingernagel — iſts viel ſchwerer, ihm etwas weg- als beizubringen. Endlich nach vielen Nöthen iſt er ſo weit, daß er den Rock aufhebt — aber nur vorn — um zu piſſen. Hinten fragt er nach nichts. Aber auch von der andern Seite iſt ihm alles ſo gleichgültig, weil ihm alles Nachttopf iſt, was er unter ſich hat. Wahrlich beſchenken 35 Sie uns mit Ihrer Gegenwart: ſo weiß ich voraus, daß 3 mehr iſt als 2; 3 Köſt- liche als 2 Eltern. Gute Nacht, Lieber!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/66
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/66>, abgerufen am 25.11.2024.