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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961.

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Den schönen Herbst, der zu dir geführet hätte, sperrten mir
Levana und der Krieg zu. Ich weiß aber gewiß, daß der März hell,
kalt, reis'bar wird; -- und dahin vertröst' ich mich in meiner Nach-
barschafts-Armuth. Wahrlich das einzige Geistreiche, was einem
noch begegnet, ist, daß es etwas Unglück gibt, das zu bekriegen ist.5
Denke dir den deutschen Sumpf nur auf 50 Jahre noch fortge-
standen mit seiner grünen Priestleyschen Materie, diese wahre
materia peccans des Jahrhunderts. Freilich zeigt das Durchwühlen
des Sumpfes Schlamm oben; aber unten war er doch früher.

-- Und so muß man, als eine lebendige unwillkürliche Figura10
Praeteritionis
von allem sprechen, was man zu übergehen denkt;
ich meine von Politik.

... Ich habe Fichte's neueste Drillinge gelesen. 1. Die Vorgeburt
über die Gelehrten gelte denn als Nachgeburt. 2.

15

Trefflicher! Vergib mir meine Sünde gegen mich selber. Blos
weil ich an dich die längsten Briefe schreiben will, schreib' ich so viele
kurze an andere, deren Antworten mich nur wie Zeitungen inter-
essieren, daß ich zu nichts komme, nämlich zu keiner Antwort von
dir. Genug, was hilft Reuschreiben über Nichtschreiben ohne Handeln?20
-- Du bist schriftstellerisch auch in diesem Falle. -- Das Schlimmste
ist dann für mich, daß ich über allem Neuen, das ich dir sagen muß,
dann das Alte vergessen, was ich auch sagen wollte.

Haben die Zeitungen mehr Recht als bei kleinern Siegen,
daß du wirklich die Akademie organisiert und der König die Wieder-25
geburt getauft mit seinem Namen? -- a)

Über deinen Magen, deine Augen, vier Gehirnkammern, Lungen-
flügel und deine Einbildungen davon wünsch' ich dein Wort; ob ich
gleich -- nach meiner metereologisch-pathologischen Prognose --
diesen leichten Vor- und Spiel-Winter für einen Freund deiner30
Natur ansehe, wenn nicht der Nachwinter alles verlorne Böse ein-
holt. -- Vergilt mir ja nicht, Guter, mein Böses mit Schlimmern,
sondern sage mir sogleich alles über Akademie und Leib.

a) Seitdem hab' ich die frohe Nachricht deiner akademischen Regentschaft sogar
im Moniteur gelesen. Ich möchte wissen, ob ich nicht auch in die Akademie hinein-35
könnte und ob 39 Bände und die bisherigen Fürsten, die mich blos von diesen leben
hießen, nicht dazu führen dürften.

Den ſchönen Herbſt, der zu dir geführet hätte, ſperrten mir
Levana und der Krieg zu. Ich weiß aber gewiß, daß der März hell,
kalt, reiſ’bar wird; — und dahin vertröſt’ ich mich in meiner Nach-
barſchafts-Armuth. Wahrlich das einzige Geiſtreiche, was einem
noch begegnet, iſt, daß es etwas Unglück gibt, das zu bekriegen iſt.5
Denke dir den deutſchen Sumpf nur auf 50 Jahre noch fortge-
ſtanden mit ſeiner grünen Prieſtleyſchen Materie, dieſe wahre
materia peccans des Jahrhunderts. Freilich zeigt das Durchwühlen
des Sumpfes Schlamm oben; aber unten war er doch früher.

— Und ſo muß man, als eine lebendige unwillkürliche Figura10
Praeteritionis
von allem ſprechen, was man zu übergehen denkt;
ich meine von Politik.

... Ich habe Fichte’s neueſte Drillinge geleſen. 1. Die Vorgeburt
über die Gelehrten gelte denn als Nachgeburt. 2.

15

Trefflicher! Vergib mir meine Sünde gegen mich ſelber. Blos
weil ich an dich die längſten Briefe ſchreiben will, ſchreib’ ich ſo viele
kurze an andere, deren Antworten mich nur wie Zeitungen inter-
eſſieren, daß ich zu nichts komme, nämlich zu keiner Antwort von
dir. Genug, was hilft Reuſchreiben über Nichtſchreiben ohne Handeln?20
— Du biſt ſchriftſtelleriſch auch in dieſem Falle. — Das Schlimmſte
iſt dann für mich, daß ich über allem Neuen, das ich dir ſagen muß,
dann das Alte vergeſſen, was ich auch ſagen wollte.

Haben die Zeitungen mehr Recht als bei kleinern Siegen,
daß du wirklich die Akademie organiſiert und der König die Wieder-25
geburt getauft mit ſeinem Namen? — a)

Über deinen Magen, deine Augen, vier Gehirnkammern, Lungen-
flügel und deine Einbildungen davon wünſch’ ich dein Wort; ob ich
gleich — nach meiner metereologiſch-pathologiſchen Prognoſe —
dieſen leichten Vor- und Spiel-Winter für einen Freund deiner30
Natur anſehe, wenn nicht der Nachwinter alles verlorne Böſe ein-
holt. — Vergilt mir ja nicht, Guter, mein Böſes mit Schlimmern,
ſondern ſage mir ſogleich alles über Akademie und Leib.

a) Seitdem hab’ ich die frohe Nachricht deiner akademiſchen Regentſchaft ſogar
im Moniteur geleſen. Ich möchte wiſſen, ob ich nicht auch in die Akademie hinein-35
könnte und ob 39 Bände und die bisherigen Fürſten, die mich blos von dieſen leben
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[138/0153] Den ſchönen Herbſt, der zu dir geführet hätte, ſperrten mir Levana und der Krieg zu. Ich weiß aber gewiß, daß der März hell, kalt, reiſ’bar wird; — und dahin vertröſt’ ich mich in meiner Nach- barſchafts-Armuth. Wahrlich das einzige Geiſtreiche, was einem noch begegnet, iſt, daß es etwas Unglück gibt, das zu bekriegen iſt. 5 Denke dir den deutſchen Sumpf nur auf 50 Jahre noch fortge- ſtanden mit ſeiner grünen Prieſtleyſchen Materie, dieſe wahre materia peccans des Jahrhunderts. Freilich zeigt das Durchwühlen des Sumpfes Schlamm oben; aber unten war er doch früher. — Und ſo muß man, als eine lebendige unwillkürliche Figura 10 Praeteritionis von allem ſprechen, was man zu übergehen denkt; ich meine von Politik. ... Ich habe Fichte’s neueſte Drillinge geleſen. 1. Die Vorgeburt über die Gelehrten gelte denn als Nachgeburt. 2. d. 25. März 1807. 15 Trefflicher! Vergib mir meine Sünde gegen mich ſelber. Blos weil ich an dich die längſten Briefe ſchreiben will, ſchreib’ ich ſo viele kurze an andere, deren Antworten mich nur wie Zeitungen inter- eſſieren, daß ich zu nichts komme, nämlich zu keiner Antwort von dir. Genug, was hilft Reuſchreiben über Nichtſchreiben ohne Handeln? 20 — Du biſt ſchriftſtelleriſch auch in dieſem Falle. — Das Schlimmſte iſt dann für mich, daß ich über allem Neuen, das ich dir ſagen muß, dann das Alte vergeſſen, was ich auch ſagen wollte. Haben die Zeitungen mehr Recht als bei kleinern Siegen, daß du wirklich die Akademie organiſiert und der König die Wieder- 25 geburt getauft mit ſeinem Namen? — a) Über deinen Magen, deine Augen, vier Gehirnkammern, Lungen- flügel und deine Einbildungen davon wünſch’ ich dein Wort; ob ich gleich — nach meiner metereologiſch-pathologiſchen Prognoſe — dieſen leichten Vor- und Spiel-Winter für einen Freund deiner 30 Natur anſehe, wenn nicht der Nachwinter alles verlorne Böſe ein- holt. — Vergilt mir ja nicht, Guter, mein Böſes mit Schlimmern, ſondern ſage mir ſogleich alles über Akademie und Leib. a) Seitdem hab’ ich die frohe Nachricht deiner akademiſchen Regentſchaft ſogar im Moniteur geleſen. Ich möchte wiſſen, ob ich nicht auch in die Akademie hinein- 35 könnte und ob 39 Bände und die bisherigen Fürſten, die mich blos von dieſen leben hießen, nicht dazu führen dürften.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:13:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:13:57Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 5. Berlin, 1961, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe05_1961/153>, abgerufen am 06.05.2024.