noch den markigen Kern. Du soltest ihn frei lesen. (Es ist schwerer die neuesten Philosophen so unbefangen wie alte zu lesen als umgekehrt alte als neue) Sein Unterschied von dir ist (glaub ich) daß er das Unendliche nicht individualisiert, was doch immer menschlicher ist als das Umgekehrte, die Individualität ins Unendliche zu zerlassen.5
Mich erquikt diese Schreiberei, weil ich keine Seele habe, an die[27] ich etwas dergleichen mündlich oder schriftlich richten könte, da die höchste philosophische Wilkür sich so selten mit religiöser Entäusserung zusammenfindet.
d. 23 Nov.10
Dasmal kanst du mir Glük wünschen, weil ichs habe -- nämlich eine Verlobte, die Tochter des Geheim[en] Obertribunal Raths Mayer.*) Ich kan dir sie aus Zeitmangel hier nicht malen; sie hat das was ich bisher auf so vielen Irwegen aufsuchte und unterscheidet sich dadurch eben scharf von der vorigen Caroline. Im Winter verbraus' ich mich15 gar hier, und dan zieh' ich mit ihr in die Ehe und in einen Ort, den ich selber noch nicht weis.
Jezt nur einige Antwort auf deine! Ich schmachte nach einem Blätgen aus deiner Lebensgeschichte; und bitte dich, nur diesmal eine Ausnahme mit deinen epistolarischen Moratorien zu machen. --20
"Die wunderbare Neujahrnachts-Geselschaft" sende mir wieder 1) weil ich sie jezt für ein anderes Werk brauchen kan 2) weil ich etwas darin ändern mus 3) weil ich sonst das aus Vergessenheit irgend wo wiederhole, was ich darin gesagt 4) weil ich dir immer etwas liefern wil wie du es brauchst. Dein Schauder vor der tiefen Perspektive der25 langen langen Zeit hat mich unter dem Schreiben und schon öfters ergriffen; nur nicht so stark wie dich. Die Unendlichkeit kan sich der Nichtigkeit nie fürchterlicher gegenüberstellen.
Baggesens Schreiberei über den Titan hat mich geärgert, zumal da sie bei ihm wieder aus Aerger über meine an ihn entstand. Ein30 Viertels Buch könt' ich zu seiner Widerlegung verschreiben. Du scheinst mir den Geist, den ich im Buche widerlegend darstellen wil, mir selber zuzuschreiben. Der zweite Band wird dich schwerlich schon widerlegen, ob sich hier gleich Roquairols Negerseele schon aufdekt. Da
*) Nun fechte man noch meine Autor-Reminißenzen, die eigentlich Oblivionen35 sind, mir an.
noch den markigen Kern. Du ſolteſt ihn frei leſen. (Es iſt ſchwerer die neueſten Philoſophen ſo unbefangen wie alte zu leſen als umgekehrt alte als neue) Sein Unterſchied von dir iſt (glaub ich) daß er das Unendliche nicht individualiſiert, was doch immer menſchlicher iſt als das Umgekehrte, die Individualität ins Unendliche zu zerlaſſen.5
Mich erquikt dieſe Schreiberei, weil ich keine Seele habe, an die[27] ich etwas dergleichen mündlich oder ſchriftlich richten könte, da die höchſte philoſophiſche Wilkür ſich ſo ſelten mit religiöſer Entäuſſerung zuſammenfindet.
d. 23 Nov.10
Dasmal kanſt du mir Glük wünſchen, weil ichs habe — nämlich eine Verlobte, die Tochter des Geheim[en] Obertribunal Raths Mayer.*) Ich kan dir ſie aus Zeitmangel hier nicht malen; ſie hat das was ich bisher auf ſo vielen Irwegen aufſuchte und unterſcheidet ſich dadurch eben ſcharf von der vorigen Caroline. Im Winter verbrauſ’ ich mich15 gar hier, und dan zieh’ ich mit ihr in die Ehe und in einen Ort, den ich ſelber noch nicht weis.
Jezt nur einige Antwort auf deine! Ich ſchmachte nach einem Blätgen aus deiner Lebensgeſchichte; und bitte dich, nur diesmal eine Ausnahme mit deinen epiſtolariſchen Moratorien zu machen. —20
„Die wunderbare Neujahrnachts-Geſelſchaft“ ſende mir wieder 1) weil ich ſie jezt für ein anderes Werk brauchen kan 2) weil ich etwas darin ändern mus 3) weil ich ſonſt das aus Vergeſſenheit irgend wo wiederhole, was ich darin geſagt 4) weil ich dir immer etwas liefern wil wie du es brauchſt. Dein Schauder vor der tiefen Perſpektive der25 langen langen Zeit hat mich unter dem Schreiben und ſchon öfters ergriffen; nur nicht ſo ſtark wie dich. Die Unendlichkeit kan ſich der Nichtigkeit nie fürchterlicher gegenüberſtellen.
Baggesens Schreiberei über den Titan hat mich geärgert, zumal da ſie bei ihm wieder aus Aerger über meine an ihn entſtand. Ein30 Viertels Buch könt’ ich zu ſeiner Widerlegung verſchreiben. Du ſcheinſt mir den Geiſt, den ich im Buche widerlegend darſtellen wil, mir ſelber zuzuſchreiben. Der zweite Band wird dich ſchwerlich ſchon widerlegen, ob ſich hier gleich Roquairols Negerſeele ſchon aufdekt. Da
*) Nun fechte man noch meine Autor-Reminiſzenzen, die eigentlich Oblivionen35 ſind, mir an.
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Unendliche nicht individualiſiert, was doch immer menſchlicher iſt
als das Umgekehrte, die Individualität ins Unendliche zu zerlaſſen. 5
Mich erquikt dieſe Schreiberei, weil ich keine Seele habe, an die
ich etwas dergleichen mündlich oder ſchriftlich richten könte, da die
höchſte philoſophiſche Wilkür ſich ſo ſelten mit religiöſer Entäuſſerung
zuſammenfindet.
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Dasmal kanſt du mir Glük wünſchen, weil ichs habe — nämlich eine
Verlobte, die Tochter des Geheim[en] Obertribunal Raths Mayer. *)
Ich kan dir ſie aus Zeitmangel hier nicht malen; ſie hat das was ich
bisher auf ſo vielen Irwegen aufſuchte und unterſcheidet ſich dadurch
eben ſcharf von der vorigen Caroline. Im Winter verbrauſ’ ich mich 15
gar hier, und dan zieh’ ich mit ihr in die Ehe und in einen Ort, den ich
ſelber noch nicht weis.
Jezt nur einige Antwort auf deine! Ich ſchmachte nach einem
Blätgen aus deiner Lebensgeſchichte; und bitte dich, nur diesmal eine
Ausnahme mit deinen epiſtolariſchen Moratorien zu machen. — 20
„Die wunderbare Neujahrnachts-Geſelſchaft“ ſende mir wieder
1) weil ich ſie jezt für ein anderes Werk brauchen kan 2) weil ich etwas
darin ändern mus 3) weil ich ſonſt das aus Vergeſſenheit irgend wo
wiederhole, was ich darin geſagt 4) weil ich dir immer etwas liefern
wil wie du es brauchſt. Dein Schauder vor der tiefen Perſpektive der 25
langen langen Zeit hat mich unter dem Schreiben und ſchon öfters
ergriffen; nur nicht ſo ſtark wie dich. Die Unendlichkeit kan ſich der
Nichtigkeit nie fürchterlicher gegenüberſtellen.
Baggesens Schreiberei über den Titan hat mich geärgert, zumal
da ſie bei ihm wieder aus Aerger über meine an ihn entſtand. Ein 30
Viertels Buch könt’ ich zu ſeiner Widerlegung verſchreiben. Du
ſcheinſt mir den Geiſt, den ich im Buche widerlegend darſtellen wil,
mir ſelber zuzuſchreiben. Der zweite Band wird dich ſchwerlich ſchon
widerlegen, ob ſich hier gleich Roquairols Negerſeele ſchon aufdekt. Da
*) Nun fechte man noch meine Autor-Reminiſzenzen, die eigentlich Oblivionen 35
ſind, mir an.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/29>, abgerufen am 16.07.2024.
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