der schönsten Ursache. Nämlich endlich ists gewis, daß meine Frau im Oktober mir die schönste Weinlese bereitet durch ihre -- Niederkunft.[180] Noch hab ich nicht den Muth, mir ihre oder meine Lust nur halb aus- zudenken; die Hölle liegt hier nur 2 Schritte vom Himmel; und ich kan die Blühende und Heitere jezt nicht mehr mit der alten festen5 schönen Gewisheit ansehen, daß ich vor ihr sterbe. Was mich kränkt, ist daß ich oft -- fast in jedem frühern Monat -- die schönsten anthro- pogonischen vergeblichen Zurüstungen gemacht und daß gerade im Februar, wo ich mich gar keiner entsinne, was wurde*). -- Wir haben ein besonderes Glük mit Mägden; die erste war beinahe die beste in10 der Stadt, die jezige Lore ist es wirklich, eine Pfartochter, schön, zart, folgsam etc. und wir beide müssen sie duzen, was ich gern mit thue. -- Jezt zu deinem Briefe. Alle Ursachen deiner Zögerung weis- sagt' ich C. Unmöglich kan die jezige Verwandlung der 2 Arbeits- stunden in 2 Ferienstunden, fortdauern. Verbirg es indes dem edeln15 Emanuel (und sorge bei Amoene recht dafür) mehr als man in solchem Fal zu verbergen meint; er verdient diesen Dank der Hülle; doch bin ich noch immer mehr seiner als deiner Meinung, und wenn ich nichts wüste als dein Verhältnis zu deinem Albrecht. Die Hauptsache ist, daß man der Staat**) dein praktisches Talent ersehe, was bedeutender20 ist als du meinst. Es ist deine Stärke so wie meine Lücke. Selber dein Geschichts-Talent ist dessen Kind. Jeder solte das Heilige in sich auf- suchen, worein Gott den Schaz seiner Kräfte niedergelegt. Seze mich auf Bonapart[ens] Thron -- und schau dan den Lump und um- gekehrt. Miserabel Unverzeihlich Verdamt ists, daß du den Titan25 nicht gelesen. Ein anders mal bekomst du ihn ein Paar Tage vor der Lesung. Glaub' es. Lies doch gleich; vielleicht fliesset dein Brief auf den 4ten ein, eh er fortgeht. -- "Der gallische Rausch (lies ich darin Albano dem Gaspard widersprechen) ist kein zufälliger, sondern in der Menschheit und Zeit zugleich gegründet, daher ja der algemeine30 Antheil -- Sie können nur sinken, um höher zu steigen etc." Wie aber Gaspard es ansieht wirst du lesen. Eben weil die Revoluzion keine[181]
*) Die Herzogin Amalie stelte sich schon im Voraus an den Taufstein und sie sol gebeten werden. Ich kan dir nicht sagen, wie C. überal alle gewint.
**) Melde mir doch, was ein R[egiments] Q[uartier]M[eister] eigentlich zu35 thun hat.
11 Jean Paul Briefe. IV.
der ſchönſten Urſache. Nämlich endlich iſts gewis, daß meine Frau im Oktober mir die ſchönſte Weinleſe bereitet durch ihre — Niederkunft.[180] Noch hab ich nicht den Muth, mir ihre oder meine Luſt nur halb aus- zudenken; die Hölle liegt hier nur 2 Schritte vom Himmel; und ich kan die Blühende und Heitere jezt nicht mehr mit der alten feſten5 ſchönen Gewisheit anſehen, daß ich vor ihr ſterbe. Was mich kränkt, iſt daß ich oft — faſt in jedem frühern Monat — die ſchönſten anthro- pogoniſchen vergeblichen Zurüſtungen gemacht und daß gerade im Februar, wo ich mich gar keiner entſinne, was wurde*). — Wir haben ein beſonderes Glük mit Mägden; die erſte war beinahe die beſte in10 der Stadt, die jezige 〈Lore〉 iſt es wirklich, eine Pfartochter, ſchön, zart, folgſam ꝛc. und wir beide müſſen ſie duzen, was ich gern mit thue. — Jezt zu deinem Briefe. Alle Urſachen deiner Zögerung weiſ- ſagt’ ich C. Unmöglich kan die jezige Verwandlung der 2 Arbeits- ſtunden in 2 Ferienſtunden, fortdauern. Verbirg es indes dem edeln15 Emanuel (und ſorge bei Amoene recht dafür) mehr als man in ſolchem Fal zu verbergen meint; er verdient dieſen Dank der Hülle; doch bin ich noch immer mehr ſeiner als deiner Meinung, und wenn ich nichts wüſte als dein Verhältnis zu deinem Albrecht. Die Hauptſache iſt, daß man 〈der Staat〉**) dein praktiſches Talent erſehe, was bedeutender20 iſt als du meinſt. Es iſt deine Stärke ſo wie meine Lücke. Selber dein Geſchichts-Talent iſt deſſen Kind. Jeder ſolte das Heilige in ſich auf- ſuchen, worein Gott den Schaz ſeiner Kräfte niedergelegt. Seze mich auf Bonapart[ens] Thron — und ſchau dan den Lump und um- gekehrt. Miſerabel 〈Unverzeihlich〉 〈Verdamt〉 iſts, daß du den Titan25 nicht geleſen. Ein anders mal bekomſt du ihn ein Paar Tage vor der Leſung. Glaub’ es. Lies doch gleich; vielleicht flieſſet dein Brief auf den 4ten ein, eh er fortgeht. — „Der galliſche Rauſch (lies ich darin Albano dem Gaſpard widerſprechen) iſt kein zufälliger, ſondern in der Menſchheit und Zeit zugleich gegründet, daher ja der algemeine30 Antheil — Sie können nur ſinken, um höher zu ſteigen ꝛc.“ Wie aber Gaſpard es anſieht wirſt du leſen. Eben weil die Revoluzion keine[181]
*) Die Herzogin Amalie ſtelte ſich ſchon im Voraus an den Taufſtein und ſie ſol gebeten werden. Ich kan dir nicht ſagen, wie C. überal alle gewint.
**) Melde mir doch, was ein R[egiments] Q[uartier]M[eiſter] eigentlich zu35 thun hat.
11 Jean Paul Briefe. IV.
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Noch hab ich nicht den Muth, mir ihre oder meine Luſt nur halb aus-
zudenken; die Hölle liegt hier nur 2 Schritte vom Himmel; und ich
kan die Blühende und Heitere jezt nicht mehr mit der alten feſten 5
ſchönen Gewisheit anſehen, daß ich vor ihr ſterbe. Was mich kränkt,
iſt daß ich oft — faſt in jedem frühern Monat — die ſchönſten anthro-
pogoniſchen vergeblichen Zurüſtungen gemacht und daß gerade im
Februar, wo ich mich gar keiner entſinne, was wurde *). — Wir haben
ein beſonderes Glük mit Mägden; die erſte war beinahe die beſte in 10
der Stadt, die jezige 〈Lore〉 iſt es wirklich, eine Pfartochter, ſchön,
zart, folgſam ꝛc. und wir beide müſſen ſie duzen, was ich gern mit
thue. — Jezt zu deinem Briefe. Alle Urſachen deiner Zögerung weiſ-
ſagt’ ich C. Unmöglich kan die jezige Verwandlung der 2 Arbeits-
ſtunden in 2 Ferienſtunden, fortdauern. Verbirg es indes dem edeln 15
Emanuel (und ſorge bei Amoene recht dafür) mehr als man in ſolchem
Fal zu verbergen meint; er verdient dieſen Dank der Hülle; doch bin
ich noch immer mehr ſeiner als deiner Meinung, und wenn ich nichts
wüſte als dein Verhältnis zu deinem Albrecht. Die Hauptſache iſt, daß
man 〈der Staat〉 **) dein praktiſches Talent erſehe, was bedeutender 20
iſt als du meinſt. Es iſt deine Stärke ſo wie meine Lücke. Selber dein
Geſchichts-Talent iſt deſſen Kind. Jeder ſolte das Heilige in ſich auf-
ſuchen, worein Gott den Schaz ſeiner Kräfte niedergelegt. Seze mich
auf Bonapart[ens] Thron — und ſchau dan den Lump und um-
gekehrt. Miſerabel 〈Unverzeihlich〉 〈Verdamt〉 iſts, daß du den Titan 25
nicht geleſen. Ein anders mal bekomſt du ihn ein Paar Tage vor der
Leſung. Glaub’ es. Lies doch gleich; vielleicht flieſſet dein Brief
auf den 4ten ein, eh er fortgeht. — „Der galliſche Rauſch (lies ich
darin Albano dem Gaſpard widerſprechen) iſt kein zufälliger, ſondern
in der Menſchheit und Zeit zugleich gegründet, daher ja der algemeine 30
Antheil — Sie können nur ſinken, um höher zu ſteigen ꝛc.“ Wie aber
Gaſpard es anſieht wirſt du leſen. Eben weil die Revoluzion keine
[180]
[181]
*) Die Herzogin Amalie ſtelte ſich ſchon im Voraus an den Taufſtein und ſie
ſol gebeten werden. Ich kan dir nicht ſagen, wie C. überal alle gewint.
**) Melde mir doch, was ein R[egiments] Q[uartier]M[eiſter] eigentlich zu 35
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11 Jean Paul Briefe. IV.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/168>, abgerufen am 16.02.2025.
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