Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.d. 17 Aug. Ich brachte gestern das Mittagsessen bei einer zu warmen Freundin (Aber doch eh ichs vergesse, der Spizbube Hennings giebt "die [94]Wernlein hat freilich den Egoismus der Eitelkeit; aber auch keinen *) ernstlich; aber mit deinem Namen. **) Glaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich hätt' ihm so35
leicht vergeben! -- d. 17 Aug. Ich brachte geſtern das Mittagseſſen bei einer zu warmen Freundin (Aber doch eh ichs vergeſſe, der Spizbube Hennings giebt „die [94]Wernlein hat freilich den Egoiſmus der Eitelkeit; aber auch keinen *) ernſtlich; aber mit deinem Namen. **) Glaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich hätt’ ihm ſo35
leicht vergeben! — <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0095" n="86"/> <div n="2"> <dateline> <hi rendition="#right">d. 17 Aug.</hi> </dateline><lb/> <p>Ich brachte geſtern das Mittagseſſen bei einer zu warmen Freundin<lb/> auf dem Lande; und die Veſperſtunden bei der lieben geliebten theuerſten<lb/> Platner zu, wozu zulezt noch der Alte ſties, deſſen Eitelkeit blos im<lb/> Kontraſt ſeines Werths misfält und den man wegen ſeiner gut-<lb n="5"/> müthigen Unbefangenheit immer lieben mus. — — Aber jezt zu<lb/> deinem Briefe.</p><lb/> <p>(Aber doch eh ichs vergeſſe, der Spizbube Hennings giebt „die<lb/> 〈hier beiliegende〉 Reiſe ꝛc.“ mündlich und in der <hi rendition="#aq">L[itteratur] Zeitung</hi><lb/> ſchriftlich ſo fein für meine aus, daß ich durchaus nicht widerſprechen<lb n="10"/> kan: thu du’s!<note place="foot" n="*)">ernſtlich; aber mit deinem Namen.</note>)</p><lb/> <p><note place="left"><ref target="1922_Bd3_94">[94]</ref></note>Wernlein hat freilich den Egoiſmus der Eitelkeit; aber auch keinen<lb/> härtern, indes auch kein philoſophiſches Auge. — Ach der gute <hi rendition="#aq">Ema-<lb/> nuel!</hi> Er hat Hiobs Leiden ohne Hiobs Frau; grüſſe dieſen ſanften<lb/> ächt-bibliſchen <hi rendition="#g">Jonathan</hi> und ſag ihm, daß es ſich im matten Leben<lb n="15"/> die Mühe nicht verlohne, auch nur einen ½ Tag das Trauerpferd zu<lb/> beſchreiten, es müſt’ einem denn der Rit und die Mozion ungemein<lb/> ſanft thun. Ich gebe dieſer Beſtie faſt keinen Haber mehr. — Dein<lb/> Scherz über dein Beamten iſt ſehr ernſt für mich; erſtlich deinet- und<lb/> meinetwegen, — ach wenn ich irgend dich und mich an Einen Ort<lb n="20"/> zuſammenbringen könte, denn ſo iſt jeder nur halb — und zweitens der<lb/> Seele wegen, der du die Wünſche, wenn auch nicht die Foderungen,<lb/> vergeben muſt, ſobald du nur ihre Lage 10 Jahre ſpäter anſchaueſt.<lb/> Ich geſteh’ es, die nahe ſchmerzlich-frohe Änderung in deinem Hauſe<lb/> (wiewohl mir iſt, als gienge durch euer Trennen ein Stük von meinem<lb n="25"/> Innern mit los) ſeh ich für den Hebel einer 2<hi rendition="#sup">ten</hi> an. — Mein Bruder<lb/> wird mir wegen ſeines lügenhaften, tolkühnen, Zeit- und Geldzerſtöhren-<lb/> den, nervenloſen Wahnſins verächtlich. Er kan nicht bei mir ſein; auch<lb/> nicht im zu theuern Leipzig; er ſol, wenn er wil, gar nicht ſtudieren<note place="foot" n="**)">Glaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich hätt’ ihm ſo<lb n="35"/> leicht vergeben! —</note>,<lb/> wozu ohnehin ein Menſch, dem es nur Mittel iſt wie ihm, nicht gehört<lb n="30"/> und wozu ich ihn nur wegen meiner frühern grillenhaften Achtung fürs<lb/> Studieren beſtimte. — O dieſe Eitelkeit, die ich ihm ſo oft ernſt und<lb/> bitter und ſatiriſch vorrükte, zerfaſert jeden beſſern Muſkel in ihm. —</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0095]
d. 17 Aug.
Ich brachte geſtern das Mittagseſſen bei einer zu warmen Freundin
auf dem Lande; und die Veſperſtunden bei der lieben geliebten theuerſten
Platner zu, wozu zulezt noch der Alte ſties, deſſen Eitelkeit blos im
Kontraſt ſeines Werths misfält und den man wegen ſeiner gut- 5
müthigen Unbefangenheit immer lieben mus. — — Aber jezt zu
deinem Briefe.
(Aber doch eh ichs vergeſſe, der Spizbube Hennings giebt „die
〈hier beiliegende〉 Reiſe ꝛc.“ mündlich und in der L[itteratur] Zeitung
ſchriftlich ſo fein für meine aus, daß ich durchaus nicht widerſprechen 10
kan: thu du’s! *))
Wernlein hat freilich den Egoiſmus der Eitelkeit; aber auch keinen
härtern, indes auch kein philoſophiſches Auge. — Ach der gute Ema-
nuel! Er hat Hiobs Leiden ohne Hiobs Frau; grüſſe dieſen ſanften
ächt-bibliſchen Jonathan und ſag ihm, daß es ſich im matten Leben 15
die Mühe nicht verlohne, auch nur einen ½ Tag das Trauerpferd zu
beſchreiten, es müſt’ einem denn der Rit und die Mozion ungemein
ſanft thun. Ich gebe dieſer Beſtie faſt keinen Haber mehr. — Dein
Scherz über dein Beamten iſt ſehr ernſt für mich; erſtlich deinet- und
meinetwegen, — ach wenn ich irgend dich und mich an Einen Ort 20
zuſammenbringen könte, denn ſo iſt jeder nur halb — und zweitens der
Seele wegen, der du die Wünſche, wenn auch nicht die Foderungen,
vergeben muſt, ſobald du nur ihre Lage 10 Jahre ſpäter anſchaueſt.
Ich geſteh’ es, die nahe ſchmerzlich-frohe Änderung in deinem Hauſe
(wiewohl mir iſt, als gienge durch euer Trennen ein Stük von meinem 25
Innern mit los) ſeh ich für den Hebel einer 2ten an. — Mein Bruder
wird mir wegen ſeines lügenhaften, tolkühnen, Zeit- und Geldzerſtöhren-
den, nervenloſen Wahnſins verächtlich. Er kan nicht bei mir ſein; auch
nicht im zu theuern Leipzig; er ſol, wenn er wil, gar nicht ſtudieren **),
wozu ohnehin ein Menſch, dem es nur Mittel iſt wie ihm, nicht gehört 30
und wozu ich ihn nur wegen meiner frühern grillenhaften Achtung fürs
Studieren beſtimte. — O dieſe Eitelkeit, die ich ihm ſo oft ernſt und
bitter und ſatiriſch vorrükte, zerfaſert jeden beſſern Muſkel in ihm. —
[94]
*) ernſtlich; aber mit deinem Namen.
**) Glaube aber nicht, daß ich darum weniger für ihn thue; ach ich hätt’ ihm ſo 35
leicht vergeben! —
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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