Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

doch nie, am wenigsten so von ihm träumte) daher ich mit grösserer
Sehnsucht nach L[eipzig] kam. Auf seinen ersten Brief aus Halle hätt
ich ihn fröhlich zurükgerufen.

Jezt bleibt er unabänderlich wo er ist, wenigstens eine Zeitlang.
Ich gestehe, die Lüge mit Halberstadt -- und ich armer Nar wolte5
sogar an Gleim Requisitoriales senden -- (wenn's eine ist, da er sogar[75]
meinen Reichardt für Reisende zu meinem Wehe mitgenommen) und
die Kälte bei einer solchen Lüge sind meinem Innern bitterer als sein
neufränkischer Grif, besonders wenn er so viel Geld (ich fand es bei
einem Nachzählen über 150 sächs. rtl.) nicht zur Wieder[er]oberung10
des andern sondern nur zum Etablissement*) genommen hätte. Mit
welchem Vertrauen nach dem Misbrauche eines überschwenglichen
tugendhaften, könt ich ihn nur einen Tag unter meinen Büchern und
Geldern lassen? Meine Nähe kan so wenig seine Besserung machen, als
sie seine Verschlimmerung verhütete. Ausgehen mus er und ich, und15
spielen kan er also wenn er wil. Überhaupt mus er einmal Freiheit
ertragen lernen, die er doch bekäme, da ich mit meinem Heirathen nicht
auf sein Ausstudieren harren würde. Er mag jezt am dünnen Zweige
der Noth zu Lehre**) eine Zeitlang zappeln und hängen; ich weis
doch, wo er ist und bin allemal da. Ohne eigne Briefe von ihm thu20
ich keinen Schrit. -- Was mich stuzig gegen ihn machte, war die
Spielerkraft seiner Verstellung, da er an demselben Morgen, wo er,
wie er schreibt, mir alles entdecken wolte, freudig und spashaft war
und mir sogar als ich hinaus war einen starken Spas nachrief, der
sich erst auf der Gasse entwickelte. Die ihm aufgetragnen Sachen hatt25
er besorgt, sogar einen Wäschzettel dagelassen -- nur meinen Rosen-
stok nicht begossen, dessen Tod ich in der häslichen Minute mit allem
Schmerz der Aehnlichkeiten fühlte. Ach mein Bruder mit dem weichsten
Herzen und dem besten Kopfe liegt unter der Erde neben dem Wasser!
Die andern alle sind nicht so. Der Rendant hat einen mich ausholen30
sollenden Brief an mich geschrieben; ich komme aber mit nichts zuvor.

Die Palingenesien werden erst in 8 Wochen fertig, 2 Pressen
drucken daran. Klinger solst du mit den Büchern haben, sogar viel ist

*) Daher er so lange in L[eipzig] blieb, als er meine Ankunft nicht fürchtete.
**) Bei mir hätt' er darum nie eine Strafe, weil er jede Minute, wenn er wolte,35
mit meinem Gelde gehen könte, wenn er wolte.

doch nie, am wenigſten ſo von ihm träumte) daher ich mit gröſſerer
Sehnſucht nach L[eipzig] kam. Auf ſeinen erſten Brief aus Halle hätt
ich ihn fröhlich zurükgerufen.

Jezt bleibt er unabänderlich wo er iſt, wenigſtens eine Zeitlang.
Ich geſtehe, die Lüge mit Halberſtadt — und ich armer Nar wolte5
ſogar an Gleim Requiſitoriales ſenden — (wenn’s eine iſt, da er ſogar[75]
meinen Reichardt für Reiſende zu meinem Wehe mitgenommen) und
die Kälte bei einer ſolchen Lüge ſind meinem Innern bitterer als ſein
neufränkiſcher Grif, beſonders wenn er ſo viel Geld (ich fand es bei
einem Nachzählen über 150 ſächſ. rtl.) nicht zur Wieder[er]oberung10
des andern ſondern nur zum Etabliſſement*) genommen hätte. Mit
welchem Vertrauen nach dem Misbrauche eines überſchwenglichen
tugendhaften, könt ich ihn nur einen Tag unter meinen Büchern und
Geldern laſſen? Meine Nähe kan ſo wenig ſeine Beſſerung machen, als
ſie ſeine Verſchlimmerung verhütete. Ausgehen mus er und ich, und15
ſpielen kan er alſo wenn er wil. Überhaupt mus er einmal Freiheit
ertragen lernen, die er doch bekäme, da ich mit meinem Heirathen nicht
auf ſein Ausſtudieren harren würde. Er mag jezt am dünnen Zweige
der Noth zu Lehre**) eine Zeitlang zappeln und hängen; ich weis
doch, wo er iſt und bin allemal da. Ohne eigne Briefe von ihm thu20
ich keinen Schrit. — Was mich ſtuzig gegen ihn machte, war die
Spielerkraft ſeiner Verſtellung, da er an demſelben Morgen, wo er,
wie er ſchreibt, mir alles entdecken wolte, freudig und ſpashaft war
und mir ſogar als ich hinaus war einen ſtarken Spas nachrief, der
ſich erſt auf der Gaſſe entwickelte. Die ihm aufgetragnen Sachen hatt25
er beſorgt, ſogar einen Wäſchzettel dagelaſſen — nur meinen Roſen-
ſtok nicht begoſſen, deſſen Tod ich in der häslichen Minute mit allem
Schmerz der Aehnlichkeiten fühlte. Ach mein Bruder mit dem weichſten
Herzen und dem beſten Kopfe liegt unter der Erde neben dem Waſſer!
Die andern alle ſind nicht ſo. Der Rendant hat einen mich ausholen30
ſollenden Brief an mich geſchrieben; ich komme aber mit nichts zuvor.

Die Palingenesien werden erſt in 8 Wochen fertig, 2 Preſſen
drucken daran. Klinger ſolſt du mit den Büchern haben, ſogar viel iſt

*) Daher er ſo lange in L[eipzig] blieb, als er meine Ankunft nicht fürchtete.
**) Bei mir hätt’ er darum nie eine Strafe, weil er jede Minute, wenn er wolte,35
mit meinem Gelde gehen könte, wenn er wolte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0077" n="69"/>
doch nie, am wenig&#x017F;ten &#x017F;o von ihm träumte) daher ich mit grö&#x017F;&#x017F;erer<lb/>
Sehn&#x017F;ucht nach L[eipzig] kam. Auf &#x017F;einen er&#x017F;ten Brief aus Halle hätt<lb/>
ich ihn fröhlich zurükgerufen.</p><lb/>
        <p>Jezt bleibt er unabänderlich wo er i&#x017F;t, wenig&#x017F;tens eine Zeitlang.<lb/>
Ich ge&#x017F;tehe, die Lüge mit Halber&#x017F;tadt &#x2014; und ich armer Nar wolte<lb n="5"/>
&#x017F;ogar an Gleim Requi&#x017F;itoriales &#x017F;enden &#x2014; (<hi rendition="#g">wenn&#x2019;s</hi> eine i&#x017F;t, da er &#x017F;ogar<note place="right"><ref target="1922_Bd3_75">[75]</ref></note><lb/>
meinen Reichardt für Rei&#x017F;ende zu meinem Wehe mitgenommen) und<lb/>
die Kälte bei einer &#x017F;olchen Lüge &#x017F;ind meinem Innern bitterer als &#x017F;ein<lb/>
neufränki&#x017F;cher Grif, be&#x017F;onders wenn er &#x017F;o viel Geld (ich fand es bei<lb/>
einem Nachzählen über 150 &#x017F;äch&#x017F;. rtl.) nicht zur Wieder[er]oberung<lb n="10"/>
des andern &#x017F;ondern nur zum Etabli&#x017F;&#x017F;ement<note place="foot" n="*)">Daher er &#x017F;o lange in L[eipzig] blieb, als er meine Ankunft nicht fürchtete.</note> genommen hätte. Mit<lb/>
welchem Vertrauen nach dem Misbrauche eines über&#x017F;chwenglichen<lb/>
tugendhaften, könt ich ihn nur einen Tag unter meinen Büchern und<lb/>
Geldern la&#x017F;&#x017F;en? Meine Nähe kan &#x017F;o wenig &#x017F;eine Be&#x017F;&#x017F;erung machen, als<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;eine Ver&#x017F;chlimmerung verhütete. Ausgehen mus er und ich, und<lb n="15"/>
&#x017F;pielen kan er al&#x017F;o wenn er wil. Überhaupt mus er einmal Freiheit<lb/>
ertragen lernen, die er doch bekäme, da ich mit meinem Heirathen nicht<lb/>
auf &#x017F;ein Aus&#x017F;tudieren harren würde. Er mag jezt am dünnen Zweige<lb/>
der Noth zu Lehre<note place="foot" n="**)">Bei mir hätt&#x2019; er darum nie eine Strafe, weil er jede Minute, wenn er wolte,<lb n="35"/>
mit meinem Gelde gehen könte, wenn er wolte.</note> eine Zeitlang zappeln und hängen; ich weis<lb/>
doch, wo er i&#x017F;t und bin allemal da. Ohne eigne Briefe von ihm thu<lb n="20"/>
ich keinen Schrit. &#x2014; Was mich &#x017F;tuzig gegen ihn machte, war die<lb/>
Spielerkraft &#x017F;einer Ver&#x017F;tellung, da er an dem&#x017F;elben Morgen, wo er,<lb/>
wie er &#x017F;chreibt, mir alles entdecken wolte, freudig und &#x017F;pashaft war<lb/>
und mir <hi rendition="#g">&#x017F;ogar als ich hinaus war</hi> einen &#x017F;tarken Spas nachrief, der<lb/>
&#x017F;ich er&#x017F;t auf der Ga&#x017F;&#x017F;e entwickelte. Die ihm aufgetragnen Sachen hatt<lb n="25"/>
er be&#x017F;orgt, &#x017F;ogar einen Wä&#x017F;chzettel dagela&#x017F;&#x017F;en &#x2014; nur meinen Ro&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;tok nicht bego&#x017F;&#x017F;en, de&#x017F;&#x017F;en Tod ich in der häslichen Minute mit allem<lb/>
Schmerz der Aehnlichkeiten fühlte. Ach mein Bruder mit dem weich&#x017F;ten<lb/>
Herzen und dem be&#x017F;ten Kopfe liegt unter der Erde neben dem Wa&#x017F;&#x017F;er!<lb/>
Die andern alle &#x017F;ind nicht &#x017F;o. Der Rendant hat einen mich ausholen<lb n="30"/>
&#x017F;ollenden Brief an mich ge&#x017F;chrieben; ich komme aber mit nichts zuvor.</p><lb/>
        <p>Die <hi rendition="#aq">Palingenesien</hi> werden er&#x017F;t in 8 Wochen fertig, 2 Pre&#x017F;&#x017F;en<lb/>
drucken daran. Klinger &#x017F;ol&#x017F;t du mit den Büchern haben, &#x017F;ogar viel i&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0077] doch nie, am wenigſten ſo von ihm träumte) daher ich mit gröſſerer Sehnſucht nach L[eipzig] kam. Auf ſeinen erſten Brief aus Halle hätt ich ihn fröhlich zurükgerufen. Jezt bleibt er unabänderlich wo er iſt, wenigſtens eine Zeitlang. Ich geſtehe, die Lüge mit Halberſtadt — und ich armer Nar wolte 5 ſogar an Gleim Requiſitoriales ſenden — (wenn’s eine iſt, da er ſogar meinen Reichardt für Reiſende zu meinem Wehe mitgenommen) und die Kälte bei einer ſolchen Lüge ſind meinem Innern bitterer als ſein neufränkiſcher Grif, beſonders wenn er ſo viel Geld (ich fand es bei einem Nachzählen über 150 ſächſ. rtl.) nicht zur Wieder[er]oberung 10 des andern ſondern nur zum Etabliſſement *) genommen hätte. Mit welchem Vertrauen nach dem Misbrauche eines überſchwenglichen tugendhaften, könt ich ihn nur einen Tag unter meinen Büchern und Geldern laſſen? Meine Nähe kan ſo wenig ſeine Beſſerung machen, als ſie ſeine Verſchlimmerung verhütete. Ausgehen mus er und ich, und 15 ſpielen kan er alſo wenn er wil. Überhaupt mus er einmal Freiheit ertragen lernen, die er doch bekäme, da ich mit meinem Heirathen nicht auf ſein Ausſtudieren harren würde. Er mag jezt am dünnen Zweige der Noth zu Lehre **) eine Zeitlang zappeln und hängen; ich weis doch, wo er iſt und bin allemal da. Ohne eigne Briefe von ihm thu 20 ich keinen Schrit. — Was mich ſtuzig gegen ihn machte, war die Spielerkraft ſeiner Verſtellung, da er an demſelben Morgen, wo er, wie er ſchreibt, mir alles entdecken wolte, freudig und ſpashaft war und mir ſogar als ich hinaus war einen ſtarken Spas nachrief, der ſich erſt auf der Gaſſe entwickelte. Die ihm aufgetragnen Sachen hatt 25 er beſorgt, ſogar einen Wäſchzettel dagelaſſen — nur meinen Roſen- ſtok nicht begoſſen, deſſen Tod ich in der häslichen Minute mit allem Schmerz der Aehnlichkeiten fühlte. Ach mein Bruder mit dem weichſten Herzen und dem beſten Kopfe liegt unter der Erde neben dem Waſſer! Die andern alle ſind nicht ſo. Der Rendant hat einen mich ausholen 30 ſollenden Brief an mich geſchrieben; ich komme aber mit nichts zuvor. [75] Die Palingenesien werden erſt in 8 Wochen fertig, 2 Preſſen drucken daran. Klinger ſolſt du mit den Büchern haben, ſogar viel iſt *) Daher er ſo lange in L[eipzig] blieb, als er meine Ankunft nicht fürchtete. **) Bei mir hätt’ er darum nie eine Strafe, weil er jede Minute, wenn er wolte, 35 mit meinem Gelde gehen könte, wenn er wolte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/77
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/77>, abgerufen am 24.11.2024.