der B[erlepsch], bei der ich auf der Reise zu viel Egoismus und Aristokratie gegen Niedre fand, hab' ich wieder -- Friede gemacht. Übrigens hat der Gott mit der Binde diese in ein Freundschaftsband zerschneiden müssen, wiewohl Ihr, nicht mir, oft alte Wunden wieder- kommen. Im Frühling 1798 [!] (sub rosa) geht sie nach England. --5 Ich kan dir aus Dresden nur meine Diner- und Souper-Wirthe, nicht ihre Gäste nennen: geheime Rath v. Broizen -- pp. v. Manteuf- fel, (wo ich die originelle Frau des Schlegels sah, die Exfrau des Custine war und Böhmers Tochter ist) -- Minister von Wurm -- Becker -- Einsiedel aus Weimar. Bei Rakeniz war ich ohne Essen, und10 zum Hofmarschal v. Bose solt' ich und zu andern, kont aber nicht. -- Meine schönen Tage hatt' ich allein vom Freitag bis zum Pfingsttag in Königsbrük bei der Gräfin Münster, (und einer ungemein schönen Frau v. Ledebuhr, in die ich mich in 3 lieblichen Tagen als der einzige daseiende Man gehörig verschos), mit welchen beiden ich am Montag[73]15 nach dem himlischen Saifersdörfer Thale fuhr, wo die Berlepsch auch ankam. Ich war auf dem Königstein um den die Welt wie um einen Thron liegt; und im plauischen Grunde, der so wenig ist, daß ich in Tharand dachte, nun komm' er erst, wie in jenem, das sei schon Tharand, woran so viel nicht ist. -- Auf der Elbe fuhren wir nach20 Meissen, wo wir die Porzellanfabrik besehen hatten.
Als ich ankam, fand ich stat meines Bruders folgende 2 Briefe, die du jezt ohne fort zu lesen, lesen solst, und zwar zuerst No. 1. und 2. -- --
[am Rande: Schweige noch über dieses alles.] Es war ein giftiger25 bitterer einsamer Schmerz, mein Otto und du warst mir nöthig; nicht viel Unwille, sondern das weinende Gefühl der Einsamkeit und seines bodenlosen Schiksals war darin. Ich bekam den 2ten zuerst, errieth alles, sah nach dem Gelde und fand das Gold und einiges Silbergeld nicht (es mag 100 rtl. oder wie viel [gewesen sein], ich weis nie mein30 Geld und ich gönn es dem Unglüklichen von Herzen in seiner Wüste) Noch hab ich ihn nicht wieder, und kan nichts für ihn thun. Was er für mich abgeschrieben -- jeder Student -- und jeder, der mir verlassen vorkomt, bringt mir sein Bild. -- Sieh so fässet einen mitten im Himmel eine kalte erdrückende Hand. -- Bleibt er aus, so hilft er sich35 durch sein Französisches: mein Trost ist sein fester, biederer, besonnener Karakter. -- Lebe wohl, mein Geliebter!
R.
5*
der B[erlepsch], bei der ich auf der Reiſe zu viel Egoiſmus und Ariſtokratie gegen Niedre fand, hab’ ich wieder — Friede gemacht. Übrigens hat der Gott mit der Binde dieſe in ein Freundſchaftsband zerſchneiden müſſen, wiewohl Ihr, nicht mir, oft alte Wunden wieder- kommen. Im Frühling 1798 [!] (sub rosa) geht ſie nach England. —5 Ich kan dir aus Dresden nur meine Diner- und Souper-Wirthe, nicht ihre Gäſte nennen: geheime Rath v. Broizen — pp. v. Manteuf- fel, (wo ich die originelle Frau des Schlegels ſah, die Exfrau des Custine war und Böhmers Tochter iſt) — Miniſter von Wurm — Becker — Einſiedel aus Weimar. Bei Rakeniz war ich ohne Eſſen, und10 zum Hofmarſchal v. Boſe ſolt’ ich und zu andern, kont aber nicht. — Meine ſchönen Tage hatt’ ich allein vom Freitag bis zum Pfingſttag in Königsbrük bei der Gräfin Münſter, (und einer ungemein ſchönen Frau v. Ledebuhr, in die ich mich in 3 lieblichen Tagen als der einzige daſeiende Man gehörig verſchos), mit welchen beiden ich am Montag[73]15 nach dem himliſchen Saifersdörfer Thale fuhr, wo die Berlepſch auch ankam. Ich war auf dem Königſtein um den die Welt wie um einen Thron liegt; und im plauiſchen Grunde, der ſo wenig iſt, daß ich in Tharand dachte, nun komm’ er erſt, wie in jenem, das ſei ſchon Tharand, woran ſo viel nicht iſt. — Auf der Elbe fuhren wir nach20 Meiſſen, wo wir die Porzellanfabrik beſehen hatten.
Als ich ankam, fand ich ſtat meines Bruders folgende 2 Briefe, die du jezt ohne fort zu leſen, leſen ſolſt, und zwar zuerſt No. 1. und 2. — —
[am Rande: Schweige noch über dieſes alles.] Es war ein giftiger25 bitterer einſamer Schmerz, mein Otto und du warſt mir nöthig; nicht viel Unwille, ſondern das weinende Gefühl der Einſamkeit und ſeines bodenloſen Schikſals war darin. Ich bekam den 2ten zuerſt, errieth alles, ſah nach dem Gelde und fand das Gold und einiges Silbergeld nicht (es mag 100 rtl. oder wie viel [geweſen ſein], ich weis nie mein30 Geld und ich gönn es dem Unglüklichen von Herzen in ſeiner Wüſte) Noch hab ich ihn nicht wieder, und kan nichts für ihn thun. Was er für mich abgeſchrieben — jeder Student — und jeder, der mir verlaſſen vorkomt, bringt mir ſein Bild. — Sieh ſo fäſſet einen mitten im Himmel eine kalte erdrückende Hand. — Bleibt er aus, ſo hilft er ſich35 durch ſein Franzöſiſches: mein Troſt iſt ſein feſter, biederer, beſonnener Karakter. — Lebe wohl, mein Geliebter!
R.
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[67/0075]
der B[erlepsch], bei der ich auf der Reiſe zu viel Egoiſmus und
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Übrigens hat der Gott mit der Binde dieſe in ein Freundſchaftsband
zerſchneiden müſſen, wiewohl Ihr, nicht mir, oft alte Wunden wieder-
kommen. Im Frühling 1798 [!] (sub rosa) geht ſie nach England. — 5
Ich kan dir aus Dresden nur meine Diner- und Souper-Wirthe,
nicht ihre Gäſte nennen: geheime Rath v. Broizen — pp. v. Manteuf-
fel, (wo ich die originelle Frau des Schlegels ſah, die Exfrau des
Custine war und Böhmers Tochter iſt) — Miniſter von Wurm —
Becker — Einſiedel aus Weimar. Bei Rakeniz war ich ohne Eſſen, und 10
zum Hofmarſchal v. Boſe ſolt’ ich und zu andern, kont aber nicht. —
Meine ſchönen Tage hatt’ ich allein vom Freitag bis zum Pfingſttag
in Königsbrük bei der Gräfin Münſter, (und einer ungemein ſchönen
Frau v. Ledebuhr, in die ich mich in 3 lieblichen Tagen als der einzige
daſeiende Man gehörig verſchos), mit welchen beiden ich am Montag 15
nach dem himliſchen Saifersdörfer Thale fuhr, wo die Berlepſch
auch ankam. Ich war auf dem Königſtein um den die Welt wie um
einen Thron liegt; und im plauiſchen Grunde, der ſo wenig iſt, daß
ich in Tharand dachte, nun komm’ er erſt, wie in jenem, das ſei ſchon
Tharand, woran ſo viel nicht iſt. — Auf der Elbe fuhren wir nach 20
Meiſſen, wo wir die Porzellanfabrik beſehen hatten.
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Als ich ankam, fand ich ſtat meines Bruders folgende 2 Briefe,
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2. — —
[am Rande: Schweige noch über dieſes alles.] Es war ein giftiger 25
bitterer einſamer Schmerz, mein Otto und du warſt mir nöthig; nicht
viel Unwille, ſondern das weinende Gefühl der Einſamkeit und ſeines
bodenloſen Schikſals war darin. Ich bekam den 2ten zuerſt, errieth
alles, ſah nach dem Gelde und fand das Gold und einiges Silbergeld
nicht (es mag 100 rtl. oder wie viel [geweſen ſein], ich weis nie mein 30
Geld und ich gönn es dem Unglüklichen von Herzen in ſeiner Wüſte)
Noch hab ich ihn nicht wieder, und kan nichts für ihn thun. Was er
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Himmel eine kalte erdrückende Hand. — Bleibt er aus, ſo hilft er ſich 35
durch ſein Franzöſiſches: mein Troſt iſt ſein feſter, biederer, beſonnener
Karakter. — Lebe wohl, mein Geliebter!
R.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/75>, abgerufen am 24.11.2024.
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