mir mitgiebt; und das ist zugleich die Entschuldigung des heutigen Kommens.
434. An Jacobi.
Gotha d. 1. Apr. 1800.
Lieber Heinrich! Wenn ich eine Reise um die Welt machte, so würd'5 ich dir wenigstens aus jeder Insel und jedem Hafen schreiben, ob ich dir gleich nichts Geographisches davon gebe. -- Dein lezter Brief war für mich ein Buch, nämlich ein herliches. Ich wil aus dem Kopfe darauf antworten.
Gebe Gott, daß dich die Ichs-Kaste so lange angreift bis du böse10 wirst und sie noch mehr polemisch, nicht blos thetisch erschütterst. Sie solte es (vergieb das Un-Gleichnis) wie die Indianer machen, die nach den Affen auf zu hohen Kokosbäumen so lange mit Steinen werfen, bis sie sich wehren mit -- Kokosnüssen. -- Forbergs Dedukzion der Kateg[orien] hatte ich gerade im Hause. Nach seinen vorgehenden15 Briefen und nach der schroffen Manier, womit er wie Leibgeber das System vorhebt, halt' ichs für -- Persiflage wie du. -- Aber Himmel, wie konte Gerstenberg dich die initia critica in Gleichnissen lehren wollen? -- Ich möchte wissen, da er alles, was wir bisher für Kent- nisse oder Materie hielten, zum Formalen der Vorstellung zertreibt,20 was denn noch für ein Materiales, vom X oder Nichts Verschiedenes, übrig bliebe. Das Spiegelgleichnis hat keine Folie. Denn die Ver- zerrung liegt nicht im Spiegel, sondern im 3ten Wesen, das gar nicht hereingehört. Fält der Strahl im spizen Winkel auf, so mus er so abprallen; ferner könte der konische Spiegel, da auf ihn so gut wie auf25 den planen, einige Strahlen im rechten Winkel fallen müssen, durch die Berechnung der verschiedenen Einfalswinkel die wahre Gestalt entdecken. Endlich ist das verzogne Gesicht Millionenmal mehr reicher als das kritische X. Nach der Kritik reflektiert ja unser[342] Spiegel die Objekte ohne Hülfe ihrer Strahlen. -- Nichts hat er von30 deinem Alwil und deinem Hume p. 121 hierüber widerlegt.
Wie sehr das Ich vom blossen Bewustsein persönlicher Verhältnisse in Platners Sin zu trennen sei: mach' ich mir oft dadurch deutlich, daß ich -- gesezt ich würde durch die Seelenwanderung ein Negersklave, aber ohne von meinen jezigen Verhältnissen mehr im Gedächtnis [zu]35 haben als von denen vor der Geburt -- gleichwohl davor schaudere;
mir mitgiebt; und das iſt zugleich die Entſchuldigung des heutigen Kommens.
434. An Jacobi.
Gotha d. 1. Apr. 1800.
Lieber Heinrich! Wenn ich eine Reiſe um die Welt machte, ſo würd’5 ich dir wenigſtens aus jeder Inſel und jedem Hafen ſchreiben, ob ich dir gleich nichts Geographiſches davon gebe. — Dein lezter Brief war für mich ein Buch, nämlich ein herliches. Ich wil aus dem Kopfe darauf antworten.
Gebe Gott, daß dich die Ichs-Kaſte ſo lange angreift bis du böſe10 wirſt und ſie noch mehr polemiſch, nicht blos thetiſch erſchütterſt. Sie ſolte es (vergieb das Un-Gleichnis) wie die Indianer machen, die nach den Affen auf zu hohen Kokosbäumen ſo lange mit Steinen werfen, bis ſie ſich wehren mit — Kokosnüſſen. — Forbergs Dedukzion der Kateg[orien] hatte ich gerade im Hauſe. Nach ſeinen vorgehenden15 Briefen und nach der ſchroffen Manier, womit er wie Leibgeber das Syſtem vorhebt, halt’ ichs für — Perſiflage wie du. — Aber Himmel, wie konte Gerſtenberg dich die initia critica in Gleichniſſen lehren wollen? — Ich möchte wiſſen, da er alles, was wir bisher für Kent- niſſe oder Materie hielten, zum Formalen der Vorſtellung zertreibt,20 was denn noch für ein Materiales, vom X oder Nichts Verſchiedenes, übrig bliebe. Das Spiegelgleichnis hat keine Folie. Denn die Ver- zerrung liegt nicht im Spiegel, ſondern im 3ten Weſen, das gar nicht hereingehört. Fält der Strahl im ſpizen Winkel auf, ſo mus er ſo abprallen; ferner könte der koniſche Spiegel, da auf ihn ſo gut wie auf25 den planen, einige Strahlen im rechten Winkel fallen müſſen, durch die Berechnung der verſchiedenen Einfalswinkel die wahre Geſtalt entdecken. Endlich iſt das verzogne Geſicht Millionenmal mehr 〈reicher〉 als das kritiſche X. Nach der Kritik reflektiert ja unſer[342] Spiegel die Objekte ohne Hülfe ihrer Strahlen. — Nichts hat er von30 deinem Alwil und deinem Hume p. 121 hierüber widerlegt.
Wie ſehr das Ich vom bloſſen Bewuſtſein perſönlicher Verhältniſſe in Platners Sin zu trennen ſei: mach’ ich mir oft dadurch deutlich, daß ich — geſezt ich würde durch die Seelenwanderung ein Negerſklave, aber ohne von meinen jezigen Verhältniſſen mehr im Gedächtnis [zu]35 haben als von denen vor der Geburt — gleichwohl davor ſchaudere;
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mir mitgiebt; und das iſt zugleich die Entſchuldigung des heutigen
Kommens.
434. An Jacobi.
Gotha d. 1. Apr. 1800.
Lieber Heinrich! Wenn ich eine Reiſe um die Welt machte, ſo würd’ 5
ich dir wenigſtens aus jeder Inſel und jedem Hafen ſchreiben, ob ich
dir gleich nichts Geographiſches davon gebe. — Dein lezter Brief war
für mich ein Buch, nämlich ein herliches. Ich wil aus dem Kopfe
darauf antworten.
Gebe Gott, daß dich die Ichs-Kaſte ſo lange angreift bis du böſe 10
wirſt und ſie noch mehr polemiſch, nicht blos thetiſch erſchütterſt. Sie
ſolte es (vergieb das Un-Gleichnis) wie die Indianer machen, die
nach den Affen auf zu hohen Kokosbäumen ſo lange mit Steinen
werfen, bis ſie ſich wehren mit — Kokosnüſſen. — Forbergs Dedukzion
der Kateg[orien] hatte ich gerade im Hauſe. Nach ſeinen vorgehenden 15
Briefen und nach der ſchroffen Manier, womit er wie Leibgeber das
Syſtem vorhebt, halt’ ichs für — Perſiflage wie du. — Aber Himmel,
wie konte Gerſtenberg dich die initia critica in Gleichniſſen lehren
wollen? — Ich möchte wiſſen, da er alles, was wir bisher für Kent-
niſſe oder Materie hielten, zum Formalen der Vorſtellung zertreibt, 20
was denn noch für ein Materiales, vom X oder Nichts Verſchiedenes,
übrig bliebe. Das Spiegelgleichnis hat keine Folie. Denn die Ver-
zerrung liegt nicht im Spiegel, ſondern im 3ten Weſen, das gar nicht
hereingehört. Fält der Strahl im ſpizen Winkel auf, ſo mus er ſo
abprallen; ferner könte der koniſche Spiegel, da auf ihn ſo gut wie auf 25
den planen, einige Strahlen im rechten Winkel fallen müſſen,
durch die Berechnung der verſchiedenen Einfalswinkel die wahre
Geſtalt entdecken. Endlich iſt das verzogne Geſicht Millionenmal
mehr 〈reicher〉 als das kritiſche X. Nach der Kritik reflektiert ja unſer
Spiegel die Objekte ohne Hülfe ihrer Strahlen. — Nichts hat er von 30
deinem Alwil und deinem Hume p. 121 hierüber widerlegt.
[342]
Wie ſehr das Ich vom bloſſen Bewuſtſein perſönlicher Verhältniſſe
in Platners Sin zu trennen ſei: mach’ ich mir oft dadurch deutlich, daß
ich — geſezt ich würde durch die Seelenwanderung ein Negerſklave,
aber ohne von meinen jezigen Verhältniſſen mehr im Gedächtnis [zu] 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/335>, abgerufen am 12.05.2024.
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