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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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etwa Welten, sondern Weltsysteme in Nebelflecken-Gestalten durch
meine Seele brausen. Mich wundert nur, daß ich noch den gemeinen
Menschenverstand habe.


Eben steh' ich von der Dedikazion auf und seze mich zum Briefe5
nieder. Ach Guter! Ich muste in derselben den Quel des Lebens, das
Herz, -- wie im physischen Körper -- zum kleinsten Globus machen,
weil du woltest. Warlich ihr alle, du, Herder, Göthe, Wieland,
Schiller etc. müsset schon sehr alt sein, weil ihr so politisch seid und so-
viele Rüksichten nehmet und ich unglaublich jung, weil ich keine10
kenne. -- --

[328]Fichte's Bestimmung etc. wurde mir weder erfreulich noch schmerzlich
sondern langweilig. Das 2te Buch zieh' ich vor; im dritten wird er
kahl und fahl. Der schroffe unmotivierte Übersprung p. 183 vom
Wissen zum Glauben mus diesem lezteren bei jedem schaden, der das15
System nicht kent. Ein herlicher Jüngling in Leipzig, Thieriot, meint
gar, p. 307 und 177 sei er dir nachgerükt. Entweder unverständlich
oder betrügend ist alles für jeden A-Fichtisten. -- Sonderbar ists wie
ich in meinen neu dazugesezten Einwürfen zusammentreffe mit seinen
nämlichen, die er nicht auf sich wiederprallend glaubt. -- In Jena hört'20
ich vorgestern, er sei tol auf dich, nämlich auf die veränderten Brief-
stellen -- die ja alle zu seinem politischen Vortheil dastehen -- und
auf die Beilagen. Seine Antwort im philosophischen Journal bezieht
sich doch nur in der Ferne auf dich; und gerade dieses verhülte Sprechen
oder dieses verschobene bedeutet bei diesem eilfertigen, kühnen, feu-25
rigen Geiste eine grössere oder scheuere Nähe an dir als du denkst. --

Grüsse d. h. küsse deine vorige Hand! Lebe wohl, Geliebter!

413. An Karoline von Feuchtersleben.
[Kopie]

Ich greife nie der Freude vor. Ich irre auf der Landkarte wählend30
auf und ab. -- Wenn man sich einander nur liebt: so hat und sieht
man wenig Fehler. -- Mutter-Ja.

414. An Thieriot.

Mein guter Aemilius! Ich hätt' Ihnen das Post- und Lesegeld er-35

etwa Welten, ſondern Weltſyſteme in Nebelflecken-Geſtalten durch
meine Seele brauſen. Mich wundert nur, daß ich noch den gemeinen
Menſchenverſtand habe.


Eben ſteh’ ich von der Dedikazion auf und ſeze mich zum Briefe5
nieder. Ach Guter! Ich muſte in derſelben den Quel des Lebens, das
Herz, — wie im phyſiſchen Körper — zum kleinſten Globus machen,
weil du wolteſt. Warlich ihr alle, du, Herder, Göthe, Wieland,
Schiller ꝛc. müſſet ſchon ſehr alt ſein, weil ihr ſo politiſch ſeid und ſo-
viele Rükſichten nehmet und ich unglaublich jung, weil ich keine10
kenne. — —

[328]Fichte’s Beſtimmung ꝛc. wurde mir weder erfreulich noch ſchmerzlich
ſondern langweilig. Das 2te Buch zieh’ ich vor; im dritten wird er
kahl und fahl. Der ſchroffe unmotivierte Überſprung p. 183 vom
Wiſſen zum Glauben mus dieſem lezteren bei jedem ſchaden, der das15
Syſtem nicht kent. Ein herlicher Jüngling in Leipzig, Thieriot, meint
gar, p. 307 und 177 ſei er dir nachgerükt. Entweder unverſtändlich
oder betrügend iſt alles für jeden A-Fichtiſten. — Sonderbar iſts wie
ich in meinen neu dazugeſezten Einwürfen zuſammentreffe mit ſeinen
nämlichen, die er nicht auf ſich wiederprallend glaubt. — In Jena hört’20
ich vorgeſtern, er ſei tol auf dich, nämlich auf die veränderten Brief-
ſtellen — die ja alle zu ſeinem politiſchen Vortheil daſtehen — und
auf die Beilagen. Seine Antwort im philoſophiſchen Journal bezieht
ſich doch nur in der Ferne auf dich; und gerade dieſes verhülte Sprechen
oder dieſes verſchobene bedeutet bei dieſem eilfertigen, kühnen, feu-25
rigen Geiſte eine gröſſere oder ſcheuere Nähe an dir als du denkſt. —

Grüſſe d. h. küſſe deine vorige Hand! Lebe wohl, Geliebter!

413. An Karoline von Feuchtersleben.
[Kopie]

Ich greife nie der Freude vor. Ich irre auf der Landkarte wählend30
auf und ab. — Wenn man ſich einander nur liebt: ſo hat und ſieht
man wenig Fehler. — Mutter-Ja.

414. An Thieriot.

Mein guter Aemilius! Ich hätt’ Ihnen das Poſt- und Leſegeld er-35

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[302/0318] etwa Welten, ſondern Weltſyſteme in Nebelflecken-Geſtalten durch meine Seele brauſen. Mich wundert nur, daß ich noch den gemeinen Menſchenverſtand habe. d. 6. März. Eben ſteh’ ich von der Dedikazion auf und ſeze mich zum Briefe 5 nieder. Ach Guter! Ich muſte in derſelben den Quel des Lebens, das Herz, — wie im phyſiſchen Körper — zum kleinſten Globus machen, weil du wolteſt. Warlich ihr alle, du, Herder, Göthe, Wieland, Schiller ꝛc. müſſet ſchon ſehr alt ſein, weil ihr ſo politiſch ſeid und ſo- viele Rükſichten nehmet und ich unglaublich jung, weil ich keine 10 kenne. — — Fichte’s Beſtimmung ꝛc. wurde mir weder erfreulich noch ſchmerzlich ſondern langweilig. Das 2te Buch zieh’ ich vor; im dritten wird er kahl und fahl. Der ſchroffe unmotivierte Überſprung p. 183 vom Wiſſen zum Glauben mus dieſem lezteren bei jedem ſchaden, der das 15 Syſtem nicht kent. Ein herlicher Jüngling in Leipzig, Thieriot, meint gar, p. 307 und 177 ſei er dir nachgerükt. Entweder unverſtändlich oder betrügend iſt alles für jeden A-Fichtiſten. — Sonderbar iſts wie ich in meinen neu dazugeſezten Einwürfen zuſammentreffe mit ſeinen nämlichen, die er nicht auf ſich wiederprallend glaubt. — In Jena hört’ 20 ich vorgeſtern, er ſei tol auf dich, nämlich auf die veränderten Brief- ſtellen — die ja alle zu ſeinem politiſchen Vortheil daſtehen — und auf die Beilagen. Seine Antwort im philoſophiſchen Journal bezieht ſich doch nur in der Ferne auf dich; und gerade dieſes verhülte Sprechen oder dieſes verſchobene bedeutet bei dieſem eilfertigen, kühnen, feu- 25 rigen Geiſte eine gröſſere oder ſcheuere Nähe an dir als du denkſt. — [328] Grüſſe d. h. küſſe deine vorige Hand! Lebe wohl, Geliebter! 413. An Karoline von Feuchtersleben. [Weimar, 7. März 1800] Ich greife nie der Freude vor. Ich irre auf der Landkarte wählend 30 auf und ab. — Wenn man ſich einander nur liebt: ſo hat und ſieht man wenig Fehler. — Mutter-Ja. 414. An Thieriot. W[eimar] d. 7. März 1800. Mein guter Aemilius! Ich hätt’ Ihnen das Poſt- und Leſegeld er- 35

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/318>, abgerufen am 12.05.2024.