Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.Ideen-Wellen eine lang anhaltende Richtung geben; ausser den Philo- -- Sieh, Heinrich, ich schwaze; wie eine Familie mit sich ohne An- [273]Thue mir den Gefallen, Guter, und paginiere mir zuweilen die Weimar d. 10. Nov. Seitdem hab' ich alles erhalten, aber nicht viel; verzeih' das Erstlich deine Brief----gen! Und doch schwur ich, als ich dein *) Und doch ists mein Gesez, nie etwas ohne Anstrengung zu machen, kein
Billet; weil aus wilkührlicher Schlafheit unwilkührliche wird; weil man sich einen schnellen Gang der Ideen eben so gut angewöhnen kan als einen der Füsse; und weil man "verbauert" unter Menschen, bei denen man sich nicht geniert.35 Ideen-Wellen eine lang anhaltende Richtung geben; auſſer den Philo- — Sieh, Heinrich, ich ſchwaze; wie eine Familie mit ſich ohne An- [273]Thue mir den Gefallen, Guter, und paginiere mir zuweilen die Weimar d. 10. Nov. Seitdem hab’ ich alles erhalten, aber nicht viel; verzeih’ das Erſtlich deine Brief——gen! Und doch ſchwur ich, als ich dein *) Und doch iſts mein Geſez, nie etwas ohne Anſtrengung zu machen, kein
Billet; weil aus wilkührlicher Schlafheit unwilkührliche wird; weil man ſich einen ſchnellen Gang der Ideen eben ſo gut angewöhnen kan als einen der Füſſe; und weil man „verbauert“ unter Menſchen, bei denen man ſich nicht geniert.35 <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0266" n="250"/> Ideen-Wellen eine lang anhaltende Richtung geben; auſſer den Philo-<lb/> ſophien weis ich kein ſo gutes Treibmittel des Gehirns als höchſtens<lb/> Kaffee und Schach.</p><lb/> <p>— Sieh, Heinrich, ich ſchwaze; wie eine Familie mit ſich ohne An-<lb/> ſpannung<note place="foot" n="*)">Und doch iſts mein Geſez, nie etwas ohne Anſtrengung zu machen, kein<lb/> Billet; weil aus wilkührlicher Schlafheit unwilkührliche wird; weil man ſich einen<lb/> ſchnellen Gang der Ideen eben ſo gut angewöhnen kan als einen der Füſſe; und<lb/> weil man „verbauert“ unter Menſchen, bei denen man ſich nicht geniert.<lb n="35"/> </note> und <hi rendition="#aq">tournure</hi> ſpricht und eben darum keine Langeweile<lb n="5"/> und Viſitten-Hungerquellen hat: ſo ſol und kan mans mit dem Gelieb-<lb/> ten. Ach die wachſende Langeweile der Zeit thut am meiſten unſern<lb/> Mangel an Wärme dar; nicht an Worten und Gedanken fehlet es<lb/> dem ennuierten Jahrhundert, ſondern an der Liebe, die jene leicht<lb/> entbehren lehrt.<lb n="10"/> </p> <p><note place="left"><ref target="1922_Bd3_273">[273]</ref></note>Thue mir den Gefallen, Guter, und <hi rendition="#g">paginiere</hi> mir zuweilen die<lb/> Überbeine, Milchverſezungen, Polypen und Spek- und Pulsader-<lb/> geſchwülſte, die du in meinen Werken findeſt; laſſe ſogar die <hi rendition="#aq">rationes<lb/> decidendi</hi> weg; ich wil ſie wohl errathen wie Chryſip. Wenn du bei<lb/> der Univerſalität deines Geiſtes und Geſchmaks mit mir uneinig biſt:<lb n="15"/> ſo iſts noch ein Lob für mich, wenn an der Uneinigkeit nichts Urſache iſt<lb/> als daß ich nicht der — Leſer bin. — Von dem häslichen <hi rendition="#aq">Weimarschen</hi><lb/> Perhorreſzieren jedes <hi rendition="#g">rügenden</hi> Urtheils iſt in meiner Seele nichts;<lb/> halte alſo zuweilen dein Rügegericht; ich werde dich loben und mir<lb/> nicht wie in Frankreich die verlierende Parthei (<hi rendition="#aq">v. Leiseri spec.<lb n="20"/> DXLIV</hi>) das Privilegium ausbitten, zu ſchimpfen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <dateline> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#aq">Weimar d. 10. Nov.</hi> </hi> </dateline><lb/> <p>Seitdem hab’ ich <hi rendition="#g">alles</hi> erhalten, aber nicht <hi rendition="#g">viel;</hi> verzeih’ das<lb/> Vorige, was beides nicht iſt. Wo fang’ ich an? d. h. blos wo hör’<lb/> ich auf?<lb n="25"/> </p> <p>Erſtlich deine Brief——gen! Und doch ſchwur ich, als ich dein<lb/> leztes las, dich zu bitten, dir keine Pein zu machen aus einer Luſt,<lb/> ſondern nur zu ſchreiben wenn du — <hi rendition="#g">wilſt.</hi> In allen deinem Honigſeim<lb/> ſtekt, merk’ ich, ein wenig Wachs oder die todte Bienennymphe, daß<lb/> du nämlich — mir nicht gleichſt, der ich, weiter als Kant, nicht einmal<lb n="30"/> das Lebloſe, nicht einmal eine Minute zu einem bloſſen <hi rendition="#g">Mittel</hi><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0266]
Ideen-Wellen eine lang anhaltende Richtung geben; auſſer den Philo-
ſophien weis ich kein ſo gutes Treibmittel des Gehirns als höchſtens
Kaffee und Schach.
— Sieh, Heinrich, ich ſchwaze; wie eine Familie mit ſich ohne An-
ſpannung *) und tournure ſpricht und eben darum keine Langeweile 5
und Viſitten-Hungerquellen hat: ſo ſol und kan mans mit dem Gelieb-
ten. Ach die wachſende Langeweile der Zeit thut am meiſten unſern
Mangel an Wärme dar; nicht an Worten und Gedanken fehlet es
dem ennuierten Jahrhundert, ſondern an der Liebe, die jene leicht
entbehren lehrt. 10
Thue mir den Gefallen, Guter, und paginiere mir zuweilen die
Überbeine, Milchverſezungen, Polypen und Spek- und Pulsader-
geſchwülſte, die du in meinen Werken findeſt; laſſe ſogar die rationes
decidendi weg; ich wil ſie wohl errathen wie Chryſip. Wenn du bei
der Univerſalität deines Geiſtes und Geſchmaks mit mir uneinig biſt: 15
ſo iſts noch ein Lob für mich, wenn an der Uneinigkeit nichts Urſache iſt
als daß ich nicht der — Leſer bin. — Von dem häslichen Weimarschen
Perhorreſzieren jedes rügenden Urtheils iſt in meiner Seele nichts;
halte alſo zuweilen dein Rügegericht; ich werde dich loben und mir
nicht wie in Frankreich die verlierende Parthei (v. Leiseri spec. 20
DXLIV) das Privilegium ausbitten, zu ſchimpfen.
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Weimar d. 10. Nov.
Seitdem hab’ ich alles erhalten, aber nicht viel; verzeih’ das
Vorige, was beides nicht iſt. Wo fang’ ich an? d. h. blos wo hör’
ich auf? 25
Erſtlich deine Brief——gen! Und doch ſchwur ich, als ich dein
leztes las, dich zu bitten, dir keine Pein zu machen aus einer Luſt,
ſondern nur zu ſchreiben wenn du — wilſt. In allen deinem Honigſeim
ſtekt, merk’ ich, ein wenig Wachs oder die todte Bienennymphe, daß
du nämlich — mir nicht gleichſt, der ich, weiter als Kant, nicht einmal 30
das Lebloſe, nicht einmal eine Minute zu einem bloſſen Mittel
*) Und doch iſts mein Geſez, nie etwas ohne Anſtrengung zu machen, kein
Billet; weil aus wilkührlicher Schlafheit unwilkührliche wird; weil man ſich einen
ſchnellen Gang der Ideen eben ſo gut angewöhnen kan als einen der Füſſe; und
weil man „verbauert“ unter Menſchen, bei denen man ſich nicht geniert. 35
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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