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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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-- Und doch hoften wir alle so sehnsüchtig, zumal die, denen Sie nicht
viel öfter als die Jahrszeiten erscheinen. Ich bitte Sie, da Sie dem
Herbst nicht nachgeschlagen, ahmen Sie wenigstens dem Winter nach
und -- kommen Sie. Wie kan man eine Seele wie Caroline solange
blos denken, ohne sie zu hören?5

Was ich aus dem Hause mitgenommen -- ausser den holdesten Er-
innerungen -- wissen Sie wohl schon, die freudige Auguste nämlich.
Nur neben dieser Wegreisenden war ich kein Wegreisender, sondern
immer im Wagen so froh als wär' ich im Erbprinzen.

Mein guter Hohenbaum! ich bin Ihnen recht gut, und der ganzen10
Büste Ihres innern Menschen, die vom Kopfe bis zum Herzen geht.

Ich möchte Ihnen ausser dem mündlichen Rath noch diesen offizinellen
geben, daß Sie bei Ihren Ferien des Herzens -- die blos von den
frühern der Lunge kommen, deren Bewegung an der Wilkühr des
Geistes hängt und deren Stocken im Schlafe also diesem heimfält15
-- noch Lungenstärkende Mittel wie das isländische Moos etc. ge-
brauchten. Das Herz d. h. die linke Herzkammer stokt, weil die Lunge
stokt.

Mög' ich in Ihren Herzenskammern bleiben wie Sie in meinen
wohnen! Und das Schiksal lasse immer nur freudig wallendes Blut20
in Ihre ein! --

J. P. F. Richter

N. S. Grüssen Sie H. R. Wagner recht sehr.

332. An Karoline von Feuchtersleben.
[Kopie]

Ich sehe die Glüksräder ruhig drehen. -- Diese Verdoppelung des25
Herzens macht die Pflichten zu Freuden und die Freuden zu Pflichten
und das Leben leicht und ewig. Mich reuen die Jahre, die zwischen uns
durchgeflogen, eh unsre Herzen an einander waren. Das Leben ist kurz
und wird verkürzt: welche Macht kan uns die Tage vergüten, die wir
getrent verlieren? Die Einsamkeit sei im Grabe, aber nicht vorher.[266]30
-- Indier, Dichter und Frauen suchen wie Bienen den Blumenkelch
wie einen Freudenkelch -- tragbarer Frühling (Sachet) -- O du,
wenn ich dich nur in der Minute (des Briefempfangs) hätte, damit ich
an deiner Brust zergienge, die Augen vol Freudenthränen zu dir hinauf-
geschlagen. -- Ich kenne dich und mich; wir werden nur mit einander35
glüklich.

16*

— Und doch hoften wir alle ſo ſehnſüchtig, zumal die, denen Sie nicht
viel öfter als die Jahrszeiten erſcheinen. Ich bitte Sie, da Sie dem
Herbſt nicht nachgeſchlagen, ahmen Sie wenigſtens dem Winter nach
und — kommen Sie. Wie kan man eine Seele wie Caroline ſolange
blos denken, ohne ſie zu hören?5

Was ich aus dem Hauſe mitgenommen — auſſer den holdeſten Er-
innerungen — wiſſen Sie wohl ſchon, die freudige Auguste nämlich.
Nur neben dieſer Wegreiſenden war ich kein Wegreiſender, ſondern
immer im Wagen ſo froh als wär’ ich im Erbprinzen.

Mein guter Hohenbaum! ich bin Ihnen recht gut, und der ganzen10
Büſte Ihres innern Menſchen, die vom Kopfe bis zum Herzen geht.

Ich möchte Ihnen auſſer dem mündlichen Rath noch dieſen offizinellen
geben, daß Sie bei Ihren Ferien des Herzens — die blos von den
frühern der Lunge kommen, deren Bewegung an der Wilkühr des
Geiſtes hängt und deren Stocken im Schlafe alſo dieſem heimfält15
— noch Lungenſtärkende Mittel wie das isländiſche Moos ꝛc. ge-
brauchten. Das Herz d. h. die linke Herzkammer ſtokt, weil die Lunge
ſtokt.

Mög’ ich in Ihren Herzenskammern bleiben wie Sie in meinen
wohnen! Und das Schikſal laſſe immer nur freudig wallendes Blut20
in Ihre ein! —

J. P. F. Richter

N. S. Grüſſen Sie H. R. Wagner recht ſehr.

332. An Karoline von Feuchtersleben.
[Kopie]

Ich ſehe die Glüksräder ruhig drehen. — Dieſe Verdoppelung des25
Herzens macht die Pflichten zu Freuden und die Freuden zu Pflichten
und das Leben leicht und ewig. Mich reuen die Jahre, die zwiſchen uns
durchgeflogen, eh unſre Herzen an einander waren. Das Leben iſt kurz
und wird verkürzt: welche Macht kan uns die Tage vergüten, die wir
getrent verlieren? Die Einſamkeit ſei im Grabe, aber nicht vorher.[266]30
— Indier, Dichter und Frauen ſuchen wie Bienen den Blumenkelch
wie einen Freudenkelch — tragbarer Frühling (Sachet) — O du,
wenn ich dich nur in der Minute (des Briefempfangs) hätte, damit ich
an deiner Bruſt zergienge, die Augen vol Freudenthränen zu dir hinauf-
geſchlagen. — Ich kenne dich und mich; wir werden nur mit einander35
glüklich.

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[243/0259] — Und doch hoften wir alle ſo ſehnſüchtig, zumal die, denen Sie nicht viel öfter als die Jahrszeiten erſcheinen. Ich bitte Sie, da Sie dem Herbſt nicht nachgeſchlagen, ahmen Sie wenigſtens dem Winter nach und — kommen Sie. Wie kan man eine Seele wie Caroline ſolange blos denken, ohne ſie zu hören? 5 Was ich aus dem Hauſe mitgenommen — auſſer den holdeſten Er- innerungen — wiſſen Sie wohl ſchon, die freudige Auguste nämlich. Nur neben dieſer Wegreiſenden war ich kein Wegreiſender, ſondern immer im Wagen ſo froh als wär’ ich im Erbprinzen. Mein guter Hohenbaum! ich bin Ihnen recht gut, und der ganzen 10 Büſte Ihres innern Menſchen, die vom Kopfe bis zum Herzen geht. Ich möchte Ihnen auſſer dem mündlichen Rath noch dieſen offizinellen geben, daß Sie bei Ihren Ferien des Herzens — die blos von den frühern der Lunge kommen, deren Bewegung an der Wilkühr des Geiſtes hängt und deren Stocken im Schlafe alſo dieſem heimfält 15 — noch Lungenſtärkende Mittel wie das isländiſche Moos ꝛc. ge- brauchten. Das Herz d. h. die linke Herzkammer ſtokt, weil die Lunge ſtokt. Mög’ ich in Ihren Herzenskammern bleiben wie Sie in meinen wohnen! Und das Schikſal laſſe immer nur freudig wallendes Blut 20 in Ihre ein! — J. P. F. Richter N. S. Grüſſen Sie H. R. Wagner recht ſehr. 332. An Karoline von Feuchtersleben. [Weimar, 21. Okt. 1799] Ich ſehe die Glüksräder ruhig drehen. — Dieſe Verdoppelung des 25 Herzens macht die Pflichten zu Freuden und die Freuden zu Pflichten und das Leben leicht und ewig. Mich reuen die Jahre, die zwiſchen uns durchgeflogen, eh unſre Herzen an einander waren. Das Leben iſt kurz und wird verkürzt: welche Macht kan uns die Tage vergüten, die wir getrent verlieren? Die Einſamkeit ſei im Grabe, aber nicht vorher. 30 — Indier, Dichter und Frauen ſuchen wie Bienen den Blumenkelch wie einen Freudenkelch — tragbarer Frühling (Sachet) — O du, wenn ich dich nur in der Minute (des Briefempfangs) hätte, damit ich an deiner Bruſt zergienge, die Augen vol Freudenthränen zu dir hinauf- geſchlagen. — Ich kenne dich und mich; wir werden nur mit einander 35 glüklich. [266] 16*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/259>, abgerufen am 10.05.2024.