glühte die Welt so rosenfarb! C. gab mir ihre Gedichte und ein Brief- gen. Bald darauf las ich vor der Geselschaft unter jenen nur dieses, N. 5.; und als ich an die mit Bleistift geschwärzte Stelle kam, war mein Abendhimmel in Schneewolken ersoffen. Hart, hart wirft immer das Schiksal mein bewegtes Herz gegen die eckigste Wand, die es finden5 kan. Ordentlich empört war ich an jenem Abend gegen dieses Wurf- spiel. Ich zeige die Stelle C. in einer schnellen Minute und unter- streich' es und sag' ein hartes Wort und bleibe nun kalt. Ich verstand die Stelle so: "widersezt sich die Familie der Verbindung, so etc." -- Nun begieng die Gute ihre ersten Fehler unter lauter Schmerzen;10 sie war nämlich den ganzen Abend schneidend-anspielend, hart und ausser sich wie ichs nie sah -- ich gebot über mich fest und erwiederte keine Bitterkeit, die zu einer reizen solte -- Wenn man meine Liebe stört und martert, windet mein Inneres wie eine Schlange sich auf und steht fest; wenn man sie erduldet und nährt, bin ich ohnmächtig15 und folge.*) Zum Glük sprach ich mich aus meiner Folter-Herzens- kammer heraus durch den ersten Vorschlag von Augustens Mitreise und wurde ganz belebt; unter dem Essen ermattete ihr bekämpfendes und unbekämpftes Herz und das gute Auge weinte. "Zahnschmerzen!" sagte sie mit einem Tone zur fragenden Mutter, der nicht einmal über-20 reden wil und wiederholte es nicht. Ich schwieg.
Am Morgen bekam ich N. 6. -- Ich milderte und erklärte mein Ich; und bekam N. 7.; und als ich sie wiedersah, sank sie mir nach meinen wenigen sanften Worten ans Herz ohne meine schriftliche Erklärung verstanden zu haben. Denn sie hatte mit jener Bleistift-Stelle weiter25 nichts gemeint als: wenn wir selber alles das nur zu einem zer- flatternden Spiele machen und keine Ewigkeit der Liebe ken[n]en, so etc. [263]-- O wie konte sie aus einer solchen Stelle meine Starsucht erklären? -- Aber sie kont' es und sogar das erklärende Billet dazu -- Wider- sprüche sind die weiblichen Reime in einem weiblichen Kopf. Ich sagt'30 ihrs. Aber dan blieben wir
d. 17 Okt.
ungeschieden bei einander ... Ich schweige über den Regenbogen und Morgenthau der lichten Stunden, die nun hinter einander zogen -- und über Ihr Hingeben und Vertrauen und Gehorchen. Mit Rührung sah35
*) doch mehr in den Höfer Zeiten.
glühte die Welt ſo roſenfarb! C. gab mir ihre Gedichte und ein Brief- gen. Bald darauf las ich vor der Geſelſchaft unter jenen nur dieſes, N. 5.; und als ich an die mit Bleiſtift geſchwärzte Stelle kam, war mein Abendhimmel in Schneewolken erſoffen. Hart, hart wirft immer das Schikſal mein bewegtes Herz gegen die eckigſte Wand, die es finden5 kan. Ordentlich empört war ich an jenem Abend gegen dieſes Wurf- ſpiel. Ich zeige die Stelle C. in einer ſchnellen Minute und unter- ſtreich’ es und ſag’ ein hartes Wort und bleibe nun kalt. Ich verſtand die Stelle ſo: „widerſezt ſich die Familie der Verbindung, ſo ꝛc.“ — Nun begieng die Gute ihre erſten Fehler unter lauter Schmerzen;10 ſie war nämlich den ganzen Abend ſchneidend-anſpielend, hart und auſſer ſich wie ichs nie ſah — ich gebot über mich feſt und erwiederte keine Bitterkeit, die zu einer reizen ſolte — Wenn man meine Liebe ſtört und martert, windet mein Inneres wie eine Schlange ſich auf und ſteht feſt; wenn man ſie erduldet und nährt, bin ich ohnmächtig15 und folge.*) Zum Glük ſprach ich mich aus meiner Folter-Herzens- kammer heraus durch den erſten Vorſchlag von Auguſtens Mitreiſe und wurde ganz belebt; unter dem Eſſen ermattete ihr bekämpfendes und unbekämpftes Herz und das gute Auge weinte. „Zahnſchmerzen!“ ſagte ſie mit einem Tone zur fragenden Mutter, der nicht einmal über-20 reden wil und wiederholte es nicht. Ich ſchwieg.
Am Morgen bekam ich N. 6. — Ich milderte und erklärte mein Ich; und bekam N. 7.; und als ich ſie wiederſah, ſank ſie mir nach meinen wenigen ſanften Worten ans Herz ohne meine ſchriftliche Erklärung verſtanden zu haben. Denn ſie hatte mit jener Bleiſtift-Stelle weiter25 nichts gemeint als: wenn wir ſelber alles das nur zu einem zer- flatternden Spiele machen und keine Ewigkeit der Liebe ken[n]en, ſo ꝛc. [263]— O wie konte ſie aus einer ſolchen Stelle meine Starſucht erklären? — Aber ſie kont’ es und ſogar das erklärende Billet dazu — Wider- ſprüche ſind die weiblichen Reime in einem weiblichen Kopf. Ich ſagt’30 ihrs. Aber dan blieben wir
d. 17 Okt.
ungeſchieden bei einander ... Ich ſchweige über den Regenbogen und Morgenthau der lichten Stunden, die nun hinter einander zogen — und über Ihr Hingeben und Vertrauen und Gehorchen. Mit Rührung ſah35
*) doch mehr in den Höfer Zeiten.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0255"n="240"/>
glühte die Welt ſo roſenfarb! <hirendition="#aq">C.</hi> gab mir ihre Gedichte und ein Brief-<lb/>
gen. Bald darauf las ich vor der Geſelſchaft unter jenen nur dieſes,<lb/><hirendition="#aq">N.</hi> 5.; und als ich an die mit Bleiſtift geſchwärzte Stelle kam, war<lb/>
mein Abendhimmel in Schneewolken erſoffen. Hart, hart wirft immer<lb/>
das Schikſal mein bewegtes Herz gegen die eckigſte Wand, die es finden<lbn="5"/>
kan. Ordentlich empört war ich an jenem Abend gegen dieſes Wurf-<lb/>ſpiel. Ich zeige die Stelle <hirendition="#aq">C.</hi> in einer ſchnellen Minute und unter-<lb/>ſtreich’ es und ſag’ ein hartes Wort und bleibe nun kalt. Ich verſtand<lb/>
die Stelle ſo: „widerſezt ſich die Familie der Verbindung, ſo ꝛc.“<lb/>— Nun begieng die Gute ihre erſten Fehler unter lauter Schmerzen;<lbn="10"/>ſie war nämlich den ganzen Abend ſchneidend-anſpielend, hart und<lb/>
auſſer ſich wie ichs nie ſah — ich gebot über mich feſt und erwiederte<lb/>
keine Bitterkeit, die zu einer reizen ſolte — Wenn man meine Liebe<lb/>ſtört und martert, windet mein Inneres wie eine Schlange ſich auf<lb/>
und ſteht feſt; wenn man ſie erduldet und nährt, bin ich ohnmächtig<lbn="15"/>
und folge.<noteplace="foot"n="*)">doch mehr in den Höfer Zeiten.</note> Zum Glük ſprach ich mich aus meiner Folter-Herzens-<lb/>
kammer heraus durch den erſten Vorſchlag von Auguſtens Mitreiſe<lb/>
und wurde ganz belebt; unter dem Eſſen ermattete ihr bekämpfendes<lb/>
und unbekämpftes Herz und das gute Auge weinte. „Zahnſchmerzen!“<lb/>ſagte ſie mit einem Tone zur fragenden Mutter, der nicht einmal über-<lbn="20"/>
reden wil und wiederholte es nicht. Ich ſchwieg.</p><lb/><p>Am Morgen bekam ich <hirendition="#aq">N.</hi> 6. — Ich milderte und erklärte mein Ich;<lb/>
und bekam <hirendition="#aq">N.</hi> 7.; und als ich ſie wiederſah, ſank ſie mir nach meinen<lb/>
wenigen ſanften Worten ans Herz ohne meine ſchriftliche Erklärung<lb/>
verſtanden zu haben. Denn ſie hatte mit jener Bleiſtift-Stelle weiter<lbn="25"/>
nichts gemeint als: wenn wir <hirendition="#g">ſelber</hi> alles das nur zu einem zer-<lb/>
flatternden Spiele machen und keine Ewigkeit der Liebe ken[n]en, ſo ꝛc.<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd3_263">[263]</ref></note>— O wie konte ſie aus einer ſolchen Stelle meine Starſucht erklären?<lb/>— Aber ſie kont’ es und ſogar das erklärende Billet dazu — Wider-<lb/>ſprüche ſind die weiblichen Reime in einem weiblichen Kopf. Ich ſagt’<lbn="30"/>
ihrs. Aber dan blieben wir</p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#right">d. 17 Okt.</hi></dateline><lb/><p>ungeſchieden bei einander ... Ich ſchweige über den Regenbogen und<lb/>
Morgenthau der lichten Stunden, die nun hinter einander zogen — und<lb/>
über Ihr Hingeben und Vertrauen und Gehorchen. Mit Rührung ſah<lbn="35"/></p></div></div></body></text></TEI>
[240/0255]
glühte die Welt ſo roſenfarb! C. gab mir ihre Gedichte und ein Brief-
gen. Bald darauf las ich vor der Geſelſchaft unter jenen nur dieſes,
N. 5.; und als ich an die mit Bleiſtift geſchwärzte Stelle kam, war
mein Abendhimmel in Schneewolken erſoffen. Hart, hart wirft immer
das Schikſal mein bewegtes Herz gegen die eckigſte Wand, die es finden 5
kan. Ordentlich empört war ich an jenem Abend gegen dieſes Wurf-
ſpiel. Ich zeige die Stelle C. in einer ſchnellen Minute und unter-
ſtreich’ es und ſag’ ein hartes Wort und bleibe nun kalt. Ich verſtand
die Stelle ſo: „widerſezt ſich die Familie der Verbindung, ſo ꝛc.“
— Nun begieng die Gute ihre erſten Fehler unter lauter Schmerzen; 10
ſie war nämlich den ganzen Abend ſchneidend-anſpielend, hart und
auſſer ſich wie ichs nie ſah — ich gebot über mich feſt und erwiederte
keine Bitterkeit, die zu einer reizen ſolte — Wenn man meine Liebe
ſtört und martert, windet mein Inneres wie eine Schlange ſich auf
und ſteht feſt; wenn man ſie erduldet und nährt, bin ich ohnmächtig 15
und folge. *) Zum Glük ſprach ich mich aus meiner Folter-Herzens-
kammer heraus durch den erſten Vorſchlag von Auguſtens Mitreiſe
und wurde ganz belebt; unter dem Eſſen ermattete ihr bekämpfendes
und unbekämpftes Herz und das gute Auge weinte. „Zahnſchmerzen!“
ſagte ſie mit einem Tone zur fragenden Mutter, der nicht einmal über- 20
reden wil und wiederholte es nicht. Ich ſchwieg.
Am Morgen bekam ich N. 6. — Ich milderte und erklärte mein Ich;
und bekam N. 7.; und als ich ſie wiederſah, ſank ſie mir nach meinen
wenigen ſanften Worten ans Herz ohne meine ſchriftliche Erklärung
verſtanden zu haben. Denn ſie hatte mit jener Bleiſtift-Stelle weiter 25
nichts gemeint als: wenn wir ſelber alles das nur zu einem zer-
flatternden Spiele machen und keine Ewigkeit der Liebe ken[n]en, ſo ꝛc.
— O wie konte ſie aus einer ſolchen Stelle meine Starſucht erklären?
— Aber ſie kont’ es und ſogar das erklärende Billet dazu — Wider-
ſprüche ſind die weiblichen Reime in einem weiblichen Kopf. Ich ſagt’ 30
ihrs. Aber dan blieben wir
[263]
d. 17 Okt.
ungeſchieden bei einander ... Ich ſchweige über den Regenbogen und
Morgenthau der lichten Stunden, die nun hinter einander zogen — und
über Ihr Hingeben und Vertrauen und Gehorchen. Mit Rührung ſah 35
*) doch mehr in den Höfer Zeiten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/255>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.