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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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liche Urtheile mit A[möne] vor und Hinneigung auf meine Kosten zu den
H[erolds], das wars.

Nur im Bedürfnis sol ich schreiben? Ich habe immer eines, aber
keine Zeit; und wenn jenes am stärksten ist, schreib' ich lieber nicht
sondern phantasiere auf dem Klavier: denn das Schreiben mehrt die5
Sehnsucht, aber dieses drükt sie stillend aus.

"Verblühte Gefühle?" Ach jedes Jahr wuchs und veredelte sich
meine Liebe zu dir (troz des neuen Fehlers, den ich fand) und ich wolte,
du wärest auch so glüklich gewesen. Und wenn der Frühling mich
wieder in den blühenden Zirkel der Liebe stelt: so werden wir beide10
-- zumal da die alten störenden Verhältnisse in lauter wohlwollende
übergegangen sind -- zwar keine vorige Freude und Liebe wieder-
finden, aber eine -- höhere, grössere, himlische. Ach ich gab gern die[19]
Vergangenheit für diese Zukunft hin.

-- Gleichwohl hast du oft Recht und ich fehle oft ohne es zu wissen.15
Auch liegen andere Gründe deines Misverständnisses in mir: ich habe
mehr Fehler als du weist. Bisher hab ich dir nur eine negative Wider-
legung und Zugabe und Antwort geliefert; aber zur positiven gehört
wieder ein Buch. Wie sonderbar mein innerer Mensch seit einem Jahre
ist, erräth[st] du nicht. Es sei genug! Und hier geb ich dir wieder meine20
Hand und sage: vergieb mir, denn ich habe dir nichts zu vergeben,
vergis deine Schmerzen und bleibe bei mir ewig wie ich bei dir! --



Neuigkeiten wolt ich dir viel schreiben; aber nun ist keine Zeit mehr
dazu. Man hat hier für litterarische Musse so viel Achtung, daß ich
weniger gestört werde als in Hof. Von vielen Leuten werd ich dir ein-25
mal schreiben. Ich war bei Platnern -- bin in einer Familie, wo eine
volendet gebildete Frau (das sonderbarste Ebenbild deiner Mutter in
Physiog[nomie] und Gestalt) und 2 schöne ungewöhnliche Töchter
sind, wo ich einen Professor Herman, M. Klodius, Platners Tochter,
und viele ausgezeichnete junge Leute finde -- Melzer ist auch hier --30
Berlepsch komt in 14 Tagen -- etc. -- 1 rtl. Lesegeld giebst du für
5 Bücher 1/4jährig! 2000 Bücher sind gewöhnlich ausser Haus. --
Denkt Seifert an meinen Bettüberzug? -- So viel solst du für mich
auszahlen, das für den alten Zeugmacher Herman 2 leichte Gulden,
die Leinwand, die Schreibtafel: ich bitte dich herzlich, schreibe jedes35

2 Jean Paul Briefe. III.

liche Urtheile mit A[möne] vor und Hinneigung auf meine Koſten zu den
H[erolds], das wars.

Nur im Bedürfnis ſol ich ſchreiben? Ich habe immer eines, aber
keine Zeit; und wenn jenes am ſtärkſten iſt, ſchreib’ ich lieber nicht
ſondern phantaſiere auf dem Klavier: denn das Schreiben mehrt die5
Sehnſucht, aber dieſes drükt ſie ſtillend aus.

„Verblühte Gefühle?“ Ach jedes Jahr wuchs und veredelte ſich
meine Liebe zu dir (troz des neuen Fehlers, den ich fand) und ich wolte,
du wäreſt auch ſo glüklich geweſen. Und wenn der Frühling mich
wieder in den blühenden Zirkel der Liebe ſtelt: ſo werden wir beide10
— zumal da die alten ſtörenden Verhältniſſe in lauter wohlwollende
übergegangen ſind — zwar keine vorige Freude und Liebe wieder-
finden, aber eine — höhere, gröſſere, himliſche. Ach ich gab gern die[19]
Vergangenheit für dieſe Zukunft hin.

— Gleichwohl haſt du oft Recht und ich fehle oft ohne es zu wiſſen.15
Auch liegen andere Gründe deines Misverſtändniſſes in mir: ich habe
mehr Fehler als du weiſt. Bisher hab ich dir nur eine negative Wider-
legung und Zugabe und Antwort geliefert; aber zur poſitiven gehört
wieder ein Buch. Wie ſonderbar mein innerer Menſch ſeit einem Jahre
iſt, erräth[ſt] du nicht. Es ſei genug! Und hier geb ich dir wieder meine20
Hand und ſage: vergieb mir, denn ich habe dir nichts zu vergeben,
vergis deine Schmerzen und bleibe bei mir ewig wie ich bei dir! —



Neuigkeiten wolt ich dir viel ſchreiben; aber nun iſt keine Zeit mehr
dazu. Man hat hier für litterariſche Muſſe ſo viel Achtung, daß ich
weniger geſtört werde als in Hof. Von vielen Leuten werd ich dir ein-25
mal ſchreiben. Ich war bei Platnern — bin in einer Familie, wo eine
volendet gebildete Frau (das ſonderbarſte Ebenbild deiner Mutter in
Phyſiog[nomie] und Geſtalt) und 2 ſchöne ungewöhnliche Töchter
ſind, wo ich einen Profeſſor Herman, M. Klodius, Platners Tochter,
und viele ausgezeichnete junge Leute finde — Melzer iſt auch hier —30
Berlepsch komt in 14 Tagen — ꝛc. — 1 rtl. Leſegeld giebſt du für
5 Bücher ¼jährig! 2000 Bücher ſind gewöhnlich auſſer Haus. —
Denkt Seifert an meinen Bettüberzug? — So viel ſolſt du für mich
auszahlen, das für den alten Zeugmacher Herman 〈2 leichte Gulden〉,
die Leinwand, die Schreibtafel: ich bitte dich herzlich, ſchreibe jedes35

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[17/0023] liche Urtheile mit A[möne] vor und Hinneigung auf meine Koſten zu den H[erolds], das wars. Nur im Bedürfnis ſol ich ſchreiben? Ich habe immer eines, aber keine Zeit; und wenn jenes am ſtärkſten iſt, ſchreib’ ich lieber nicht ſondern phantaſiere auf dem Klavier: denn das Schreiben mehrt die 5 Sehnſucht, aber dieſes drükt ſie ſtillend aus. „Verblühte Gefühle?“ Ach jedes Jahr wuchs und veredelte ſich meine Liebe zu dir (troz des neuen Fehlers, den ich fand) und ich wolte, du wäreſt auch ſo glüklich geweſen. Und wenn der Frühling mich wieder in den blühenden Zirkel der Liebe ſtelt: ſo werden wir beide 10 — zumal da die alten ſtörenden Verhältniſſe in lauter wohlwollende übergegangen ſind — zwar keine vorige Freude und Liebe wieder- finden, aber eine — höhere, gröſſere, himliſche. Ach ich gab gern die Vergangenheit für dieſe Zukunft hin. [19] — Gleichwohl haſt du oft Recht und ich fehle oft ohne es zu wiſſen. 15 Auch liegen andere Gründe deines Misverſtändniſſes in mir: ich habe mehr Fehler als du weiſt. Bisher hab ich dir nur eine negative Wider- legung und Zugabe und Antwort geliefert; aber zur poſitiven gehört wieder ein Buch. Wie ſonderbar mein innerer Menſch ſeit einem Jahre iſt, erräth[ſt] du nicht. Es ſei genug! Und hier geb ich dir wieder meine 20 Hand und ſage: vergieb mir, denn ich habe dir nichts zu vergeben, vergis deine Schmerzen und bleibe bei mir ewig wie ich bei dir! — Neuigkeiten wolt ich dir viel ſchreiben; aber nun iſt keine Zeit mehr dazu. Man hat hier für litterariſche Muſſe ſo viel Achtung, daß ich weniger geſtört werde als in Hof. Von vielen Leuten werd ich dir ein- 25 mal ſchreiben. Ich war bei Platnern — bin in einer Familie, wo eine volendet gebildete Frau (das ſonderbarſte Ebenbild deiner Mutter in Phyſiog[nomie] und Geſtalt) und 2 ſchöne ungewöhnliche Töchter ſind, wo ich einen Profeſſor Herman, M. Klodius, Platners Tochter, und viele ausgezeichnete junge Leute finde — Melzer iſt auch hier — 30 Berlepsch komt in 14 Tagen — ꝛc. — 1 rtl. Leſegeld giebſt du für 5 Bücher ¼jährig! 2000 Bücher ſind gewöhnlich auſſer Haus. — Denkt Seifert an meinen Bettüberzug? — So viel ſolſt du für mich auszahlen, das für den alten Zeugmacher Herman 〈2 leichte Gulden〉, die Leinwand, die Schreibtafel: ich bitte dich herzlich, ſchreibe jedes 35 2 Jean Paul Briefe. III.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/23>, abgerufen am 28.03.2024.