Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.Lebe wohl! Jezt schlägt die Stunde der Herderschen Buspredigt, *229. An Josephine von Sydow in Hinterpommern. Weimar d. 23 März 1799.5Ihr liebes Blat, gute Josephine, kam mir unter so vielen unschein- Ein Lorbeer hat grössern Werth, wenn man ihn aus einer weib- Bei den drei ersten Strophen Ihres Lieds scheint das Deutsche die Ich bitte Sie, verhülte Freundin, um frühe und ofne Antwort. Leben Sie froh, gute Seele! Aber sagen Sie mir nicht mehr, daß Lebe wohl! Jezt ſchlägt die Stunde der Herderschen Buspredigt, *229. An Joſephine von Sydow in Hinterpommern. Weimar d. 23 März 1799.5Ihr liebes Blat, gute Joſephine, kam mir unter ſo vielen unſchein- Ein Lorbeer hat gröſſern Werth, wenn man ihn aus einer weib- Bei den drei erſten Strophen Ihres Lieds ſcheint das Deutſche die Ich bitte Sie, verhülte Freundin, um frühe und ofne Antwort. Leben Sie froh, gute Seele! Aber ſagen Sie mir nicht mehr, daß <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0185" n="171"/> <p>Lebe wohl! Jezt ſchlägt die Stunde der <hi rendition="#aq">Herderschen</hi> Buspredigt,<lb/> die ich beſuche. Ich freue mich ſehr auf meine liebe Amöne. Sie wird<lb/> mit gröſſern Schmerzen ſcheiden als ſie erwartet.</p> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>*229. An <hi rendition="#g">Joſephine von Sydow in Hinterpommern.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Weimar</hi> d. 23 März 1799.</hi> </dateline> <lb n="5"/> <p>Ihr liebes Blat, gute Joſephine, kam mir unter ſo vielen unſchein-<lb/> baren Blättern, die mir täglich die Poſt zufährt, wie eine von der<note place="right"><ref target="1922_Bd3_189">[189]</ref></note><lb/> Abendſonne durchglühte Wolke mitten unter dem Heere von grauen<lb/> vor, die mehr auf die Erde als an den Himmel gehören. Die Bildung<lb/> eines ſchönen Herzens, eines energiſchen Geiſtes, einer warmen wunden<lb n="10"/> Seele, die das Leben und ſeinen Froſt erfahren, ſpricht in jeder Zeile<lb/> an mein Herz; und darum antwort’ ich ſo zuverſichtlich — was ich nie<lb/> Anonymen thue — Ihnen, die Sie aber kaum es mehr ſind. Nein,<lb/> liebe Joſephine, wir brauchen keine <hi rendition="#g">Jahre,</hi> um uns zu kennen, ſondern<lb/> nur <hi rendition="#g">Gedanken.</hi><lb n="15"/> </p><lb/> <p>Ein Lorbeer hat gröſſern Werth, wenn man ihn aus einer <hi rendition="#g">weib-<lb/> lichen</hi> und einer <hi rendition="#g">ausländiſchen</hi> Hand zugleich empfängt. Gleichwohl<lb/> hoff’ ich und wünſch’ ich, daß der Lorbeer (umgekehrt nach der Mytho-<lb/> logie) in eine Daphne ſich verwandle; — ich meine, ich bitte Sie um<lb/> Ihren Namen und um alle verſprochene <hi rendition="#aq">Oeuvres,</hi> worunter Sie ihn<lb n="20"/> ſezen.</p><lb/> <p>Bei den drei erſten Strophen Ihres Lieds ſcheint das Deutſche die<lb/> ſchwache Ueberſezung Ihres Franzöſiſchen zu ſein. Blos das ſanfte<lb/><hi rendition="#aq">l’orne</hi> ſtört den ſchönen Eindruk. Aber in der vierten Strophe wünſcht’<lb/> ich eine gröſſere Annäherung ans Original; <hi rendition="#aq">„reste“ „habite“</hi> — dieſe<lb n="25"/> ſynonyme Verdoppelung — ſchwächt. In der fünften wird die Antitheſe<lb/> vermiſt, zwiſchen dem ſchmerzlichen Bewegen des Herzens und zwiſchen<lb/> der Ruhe am ſtumſten Orte.</p><lb/> <p>Ich bitte Sie, verhülte Freundin, um frühe und ofne Antwort.<lb/> — Meine Adreſſe war die rechte (Leipzig ausgenommen) — ich bin<lb n="30"/> nichts als ein Menſch, nur ein Autor — noch nicht einmal ein Ver-<lb/> lobter; daher ich Pfingſtkapitel ſchreibe, um es zu vergeſſen.</p><lb/> <p>Leben Sie froh, gute Seele! Aber ſagen Sie mir nicht mehr, daß<lb/> ich Sie niemals ſehen werde. Die lebendige Geſtalt volendet die irdiſche<lb/> Freundſchaft; ſonſt könte man eben ſo gut die Freunde vor der Sünd-<lb n="35"/> fluth lieben. —</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [171/0185]
Lebe wohl! Jezt ſchlägt die Stunde der Herderschen Buspredigt,
die ich beſuche. Ich freue mich ſehr auf meine liebe Amöne. Sie wird
mit gröſſern Schmerzen ſcheiden als ſie erwartet.
*229. An Joſephine von Sydow in Hinterpommern.
Weimar d. 23 März 1799. 5
Ihr liebes Blat, gute Joſephine, kam mir unter ſo vielen unſchein-
baren Blättern, die mir täglich die Poſt zufährt, wie eine von der
Abendſonne durchglühte Wolke mitten unter dem Heere von grauen
vor, die mehr auf die Erde als an den Himmel gehören. Die Bildung
eines ſchönen Herzens, eines energiſchen Geiſtes, einer warmen wunden 10
Seele, die das Leben und ſeinen Froſt erfahren, ſpricht in jeder Zeile
an mein Herz; und darum antwort’ ich ſo zuverſichtlich — was ich nie
Anonymen thue — Ihnen, die Sie aber kaum es mehr ſind. Nein,
liebe Joſephine, wir brauchen keine Jahre, um uns zu kennen, ſondern
nur Gedanken. 15
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Ein Lorbeer hat gröſſern Werth, wenn man ihn aus einer weib-
lichen und einer ausländiſchen Hand zugleich empfängt. Gleichwohl
hoff’ ich und wünſch’ ich, daß der Lorbeer (umgekehrt nach der Mytho-
logie) in eine Daphne ſich verwandle; — ich meine, ich bitte Sie um
Ihren Namen und um alle verſprochene Oeuvres, worunter Sie ihn 20
ſezen.
Bei den drei erſten Strophen Ihres Lieds ſcheint das Deutſche die
ſchwache Ueberſezung Ihres Franzöſiſchen zu ſein. Blos das ſanfte
l’orne ſtört den ſchönen Eindruk. Aber in der vierten Strophe wünſcht’
ich eine gröſſere Annäherung ans Original; „reste“ „habite“ — dieſe 25
ſynonyme Verdoppelung — ſchwächt. In der fünften wird die Antitheſe
vermiſt, zwiſchen dem ſchmerzlichen Bewegen des Herzens und zwiſchen
der Ruhe am ſtumſten Orte.
Ich bitte Sie, verhülte Freundin, um frühe und ofne Antwort.
— Meine Adreſſe war die rechte (Leipzig ausgenommen) — ich bin 30
nichts als ein Menſch, nur ein Autor — noch nicht einmal ein Ver-
lobter; daher ich Pfingſtkapitel ſchreibe, um es zu vergeſſen.
Leben Sie froh, gute Seele! Aber ſagen Sie mir nicht mehr, daß
ich Sie niemals ſehen werde. Die lebendige Geſtalt volendet die irdiſche
Freundſchaft; ſonſt könte man eben ſo gut die Freunde vor der Sünd- 35
fluth lieben. —
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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