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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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ersterer bot mir in der Retoude seine Maske und Saloppe an zum Hinab-
gehen in den Maskensaal.

Gegen das neue Theater sind die andern deutschen nur Kulissen. --
Der Musikdirektor, ein Jünger Haidens, giebt eine Musik wie der
vorige Musikdirektor Herschel eine Astronomie. Ich bin mit genug5
Komödianten [bekant?] einer zeigte mir am er[sten] Tage alles. --
Die Sä[ngerin] unter meinem Tisch, Madischek, besuch ich abends
zuweilen nach dem Essen; sie ist eine geradbrechte Version von Philine,
und ohne Schönheit. Indes ists für mich eine Gymnastik des Wizes.
Sie lacht und singt mehr als sie spricht und mit Recht. Sie erzählte mir,10
daß sie Göthen gefragt, wie sie mich zu empfangen habe und sie wolle
mir trillernd entgegentanzen. "Kind, mach's wie bei mir und sei
natürlich" sagt er. --

Herder (aber sage nichts davon) hat 1 Alphabeth seiner Metakritik
fertig, das er mir zum Durchsehen und Anmerken geben wil. Ich sagte15
aber, ich würde und wolte nichts darin lesen als das Ausgestrichne, um
es zu wissen oder zu retten. --

Von Leipzig schied [ich] mit ganzem und fast kühlem Herzen;
und die Stadt wird durch die Ferne noch kleiner. Für Dorothea wurd'
ich kein Herman. -- Eine andere heissere Verwickelung, die immer20
sinlicher wurde, löste sich gerade durch den Abschied, ohne es zu sehr
geworden zu sein. Der Teufel zieht mir die verdamtesten Wolfsgruben
über den Lebensweg -- besonders dadurch, daß entweder nur die
andere Person liebt, oder nur ich; jenes ist für das Gewissen gefähr-
licher, dieses für das Glük.25

Nichts häuft Korrespondenzen mehr als Städte-Tausch; jezt hab[127]
ich noch eine leipzi[ger] zu verwalten. --

Schreibt alle blos meinen Namen auf die Briefe und weiter
nichts. -- Bitte meine Korrespondentinnen um Nachsicht; du siehst
aus diesem die Kargheit meiner Zeit. Und doch verzettle ich sie wenig30
in Besuchen. -- Suche "Sternbalds Wanderungen" [von] Thiek zu
bekommen; sie sind gut.


Vergieb die lüneburg[er] Heide des Briefs; hab' ich dir deine fort-
währende Gerichtsvakanz über die Palingenesien ja auch zu ver-35
geben. -- Ich wil jezt die schnelleste Post herausprobieren; schreibe
mir das Datum der Ankunft dieses. -- Die Schüz aus Jena war in

8 Jean Paul Briefe. III.

erſterer bot mir in der Retoude ſeine Maſke und Saloppe an zum Hinab-
gehen in den Maſkenſaal.

Gegen das neue Theater ſind die andern deutſchen nur Kuliſſen. —
Der Muſikdirektor, ein Jünger Haidens, giebt eine Muſik wie der
vorige Muſikdirektor Herschel eine Aſtronomie. Ich bin mit genug5
Komödianten [bekant?] einer zeigte mir am er[ſten] Tage alles. —
Die Sä[ngerin] unter meinem Tiſch, Madischek, beſuch ich abends
zuweilen nach dem Eſſen; ſie iſt eine geradbrechte Verſion von Philine,
und ohne Schönheit. Indes iſts für mich eine Gymnaſtik des Wizes.
Sie lacht und ſingt mehr als ſie ſpricht und mit Recht. Sie erzählte mir,10
daß ſie Göthen gefragt, wie ſie mich zu empfangen habe und ſie wolle
mir trillernd entgegentanzen. „Kind, mach’s wie bei mir und ſei
natürlich“ ſagt er. —

Herder (aber ſage nichts davon) hat 1 Alphabeth ſeiner Metakritik
fertig, das er mir zum Durchſehen und Anmerken geben wil. Ich ſagte15
aber, ich würde und wolte nichts darin leſen als das Ausgeſtrichne, um
es zu wiſſen oder zu retten. —

Von Leipzig ſchied [ich] mit ganzem und faſt kühlem Herzen;
und die Stadt wird durch die Ferne noch kleiner. Für Dorothea wurd’
ich kein Herman. — Eine andere heiſſere Verwickelung, die immer20
ſinlicher wurde, löſte ſich gerade durch den Abſchied, ohne es zu ſehr
geworden zu ſein. Der Teufel zieht mir die verdamteſten Wolfsgruben
über den Lebensweg — beſonders dadurch, daß entweder nur die
andere Perſon liebt, oder nur ich; jenes iſt für das Gewiſſen gefähr-
licher, dieſes für das Glük.25

Nichts häuft Korreſpondenzen mehr als Städte-Tauſch; jezt hab[127]
ich noch eine leipzi[ger] zu verwalten. —

Schreibt alle blos meinen Namen auf die Briefe und weiter
nichts. — Bitte meine Korreſpondentinnen um Nachſicht; du ſiehſt
aus dieſem die Kargheit meiner Zeit. Und doch verzettle ich ſie wenig30
in Beſuchen. — Suche „Sternbalds Wanderungen“ [von] Thiek zu
bekommen; ſie ſind gut.


Vergieb die lüneburg[er] Heide des Briefs; hab’ ich dir deine fort-
währende Gerichtsvakanz über die Palingenesien ja auch zu ver-35
geben. — Ich wil jezt die ſchnelleſte Poſt herausprobieren; ſchreibe
mir das Datum der Ankunft dieſes. — Die Schüz aus Jena war in

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[113/0123] erſterer bot mir in der Retoude ſeine Maſke und Saloppe an zum Hinab- gehen in den Maſkenſaal. Gegen das neue Theater ſind die andern deutſchen nur Kuliſſen. — Der Muſikdirektor, ein Jünger Haidens, giebt eine Muſik wie der vorige Muſikdirektor Herschel eine Aſtronomie. Ich bin mit genug 5 Komödianten [bekant?] einer zeigte mir am er[ſten] Tage alles. — Die Sä[ngerin] unter meinem Tiſch, Madischek, beſuch ich abends zuweilen nach dem Eſſen; ſie iſt eine geradbrechte Verſion von Philine, und ohne Schönheit. Indes iſts für mich eine Gymnaſtik des Wizes. Sie lacht und ſingt mehr als ſie ſpricht und mit Recht. Sie erzählte mir, 10 daß ſie Göthen gefragt, wie ſie mich zu empfangen habe und ſie wolle mir trillernd entgegentanzen. „Kind, mach’s wie bei mir und ſei natürlich“ ſagt er. — Herder (aber ſage nichts davon) hat 1 Alphabeth ſeiner Metakritik fertig, das er mir zum Durchſehen und Anmerken geben wil. Ich ſagte 15 aber, ich würde und wolte nichts darin leſen als das Ausgeſtrichne, um es zu wiſſen oder zu retten. — Von Leipzig ſchied [ich] mit ganzem und faſt kühlem Herzen; und die Stadt wird durch die Ferne noch kleiner. Für Dorothea wurd’ ich kein Herman. — Eine andere heiſſere Verwickelung, die immer 20 ſinlicher wurde, löſte ſich gerade durch den Abſchied, ohne es zu ſehr geworden zu ſein. Der Teufel zieht mir die verdamteſten Wolfsgruben über den Lebensweg — beſonders dadurch, daß entweder nur die andere Perſon liebt, oder nur ich; jenes iſt für das Gewiſſen gefähr- licher, dieſes für das Glük. 25 Nichts häuft Korreſpondenzen mehr als Städte-Tauſch; jezt hab ich noch eine leipzi[ger] zu verwalten. — [127] Schreibt alle blos meinen Namen auf die Briefe und weiter nichts. — Bitte meine Korreſpondentinnen um Nachſicht; du ſiehſt aus dieſem die Kargheit meiner Zeit. Und doch verzettle ich ſie wenig 30 in Beſuchen. — Suche „Sternbalds Wanderungen“ [von] Thiek zu bekommen; ſie ſind gut. d. 4. Nov. Vergieb die lüneburg[er] Heide des Briefs; hab’ ich dir deine fort- währende Gerichtsvakanz über die Palingenesien ja auch zu ver- 35 geben. — Ich wil jezt die ſchnelleſte Poſt herausprobieren; ſchreibe mir das Datum der Ankunft dieſes. — Die Schüz aus Jena war in 8 Jean Paul Briefe. III.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/123>, abgerufen am 03.05.2024.