Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.Die Wolzogen ist klar, unbefangen, nicht-preziös, unschriftstellerisch, Sonabends solt ich Mittags wieder bei dem Paare essen, gieng aber Mir gab er Palmen, um mehrere Zol länger, als seine, besonders15 "Aber fort!" [101]Weimar 2 Sept. [Sonntag] Die 2 lezten Wort[e] kan ich hier gar nicht zu mir sagen -- ich wolte Ich wil wieder in die obige Chronologie zurük. Bei Wieland must' Die Wolzogen iſt klar, unbefangen, nicht-preziös, unſchriftſtelleriſch, Sonabends ſolt ich Mittags wieder bei dem Paare eſſen, gieng aber Mir gab er Palmen, um mehrere Zol länger, als ſeine, beſonders15 „Aber fort!“ [101]Weimar 2 Sept. [Sonntag] Die 2 lezten Wort[e] kan ich hier gar nicht zu mir ſagen — ich wolte Ich wil wieder in die obige Chronologie zurük. Bei Wieland muſt’ <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0101" n="92"/> Die Wolzogen iſt klar, unbefangen, nicht-preziös, unſchriftſtelleriſch,<lb/> kurz man liebt ſie.</p><lb/> <p>Sonabends ſolt ich Mittags wieder bei dem Paare eſſen, gieng aber<lb/> zu <hi rendition="#aq">Wieland</hi> nach Osmanſtädt. Aus dem Gaſthofe ſchrieb ich ihm ein<lb/> Billet, ſeines liegt bei. <hi rendition="#aq">W.</hi> iſt ein ſchlanker aufgerichteter mit einer<lb n="5"/> rothen Schärpe und einem Kopftuch umbundner, ſich und andere<lb/> mäſſigender Neſtor, viel von ſich ſprechend aber nicht ſtolz — ein<lb/> wenig ariſtippiſch und nachſichtig gegen ſich wie gegen andere — vol<lb/> Vater- und Gattenliebe — aber von den Muſen betäubt, daß ihm ein-<lb/> mal ſeine Frau den Tod eines Kindes 10 Tage ſol verborgen haben —<lb n="10"/> inzwiſchen nicht genialiſch über dieſe Reichsſtadt-Welt erhoben, nicht<lb/> tief eingreifend wie etwan Herder — vortreflich im Urtheil über die<lb/> bürgerlichen, und weniger im Urtheilen über die menſchlichen Ver-<lb/> hältniſſe.</p><lb/> <p>Mir gab er Palmen, um mehrere Zol länger, als ſeine, beſonders<lb n="15"/> über meine Träume und Naturblätter — und mehrte meinen äuſſern<lb/> Stolz (den innern nie), der ohnehin ſchon wächſt, um vieles — und<lb/> unterordnete ſich zu ſehr und war zu begierig nach meinem Lobe ſeiner<lb/> Sachen — Warlich mein Otto, wenn dieſe Erde ſo lumpig und ſo unter<lb/> allen meinen Erwartungen iſt, daß ich eine erfülle und etwas bin: ſo<lb n="20"/> kan mich über den Verluſt der angebornen gehoften erſchmachteten<lb/> Ideale nichts tröſten als die Gewisheit, daß dieſe Leute mehr ſind als<lb/> das was ſie loben, weil ſie für Natur halten — da es ihre iſt — was<lb/> nur (wenigſtens zur Hälfte) Mechanik und Fleis geboren hat. Ach man<lb/> hat nur die Wahl der Scham, entweder über die menſchliche Natur<lb n="25"/> oder über die eigne.</p><lb/> <p>„Aber fort!“</p> </div><lb/> <div n="2"> <dateline> <hi rendition="#right"><note place="left"><ref target="1922_Bd3_101">[101]</ref></note><hi rendition="#aq">Weimar</hi> 2 Sept. [Sonntag]</hi> </dateline><lb/> <p>Die 2 lezten Wort[e] kan ich hier gar nicht zu mir ſagen — ich wolte<lb/> heute — dan morgen — jezt erſt übermorgen.<lb n="30"/> </p> <p>Ich wil wieder in die obige Chronologie zurük. Bei Wieland muſt’<lb/> ich wegen meines weitgegitterten Sommerornats in der häslichen<lb/> Kälte ſeinen Rok anziehen — den mir beim 2<hi rendition="#sup">ten</hi> Dortſein der gute<lb/> Patriarch ſogleich ſelber brachte, heute fuhr ich mit ihm zurük — und<lb/> ſeine rothe Nabelgurt umſchnüren und gieng wie der Alte im Haus<lb n="35"/> herum. Gott ſchenke jedem Dichter eine ſo anſtellige, weich-anfaſſende,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0101]
Die Wolzogen iſt klar, unbefangen, nicht-preziös, unſchriftſtelleriſch,
kurz man liebt ſie.
Sonabends ſolt ich Mittags wieder bei dem Paare eſſen, gieng aber
zu Wieland nach Osmanſtädt. Aus dem Gaſthofe ſchrieb ich ihm ein
Billet, ſeines liegt bei. W. iſt ein ſchlanker aufgerichteter mit einer 5
rothen Schärpe und einem Kopftuch umbundner, ſich und andere
mäſſigender Neſtor, viel von ſich ſprechend aber nicht ſtolz — ein
wenig ariſtippiſch und nachſichtig gegen ſich wie gegen andere — vol
Vater- und Gattenliebe — aber von den Muſen betäubt, daß ihm ein-
mal ſeine Frau den Tod eines Kindes 10 Tage ſol verborgen haben — 10
inzwiſchen nicht genialiſch über dieſe Reichsſtadt-Welt erhoben, nicht
tief eingreifend wie etwan Herder — vortreflich im Urtheil über die
bürgerlichen, und weniger im Urtheilen über die menſchlichen Ver-
hältniſſe.
Mir gab er Palmen, um mehrere Zol länger, als ſeine, beſonders 15
über meine Träume und Naturblätter — und mehrte meinen äuſſern
Stolz (den innern nie), der ohnehin ſchon wächſt, um vieles — und
unterordnete ſich zu ſehr und war zu begierig nach meinem Lobe ſeiner
Sachen — Warlich mein Otto, wenn dieſe Erde ſo lumpig und ſo unter
allen meinen Erwartungen iſt, daß ich eine erfülle und etwas bin: ſo 20
kan mich über den Verluſt der angebornen gehoften erſchmachteten
Ideale nichts tröſten als die Gewisheit, daß dieſe Leute mehr ſind als
das was ſie loben, weil ſie für Natur halten — da es ihre iſt — was
nur (wenigſtens zur Hälfte) Mechanik und Fleis geboren hat. Ach man
hat nur die Wahl der Scham, entweder über die menſchliche Natur 25
oder über die eigne.
„Aber fort!“
Weimar 2 Sept. [Sonntag]
Die 2 lezten Wort[e] kan ich hier gar nicht zu mir ſagen — ich wolte
heute — dan morgen — jezt erſt übermorgen. 30
Ich wil wieder in die obige Chronologie zurük. Bei Wieland muſt’
ich wegen meines weitgegitterten Sommerornats in der häslichen
Kälte ſeinen Rok anziehen — den mir beim 2ten Dortſein der gute
Patriarch ſogleich ſelber brachte, heute fuhr ich mit ihm zurük — und
ſeine rothe Nabelgurt umſchnüren und gieng wie der Alte im Haus 35
herum. Gott ſchenke jedem Dichter eine ſo anſtellige, weich-anfaſſende,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |