nachgebildet werden -- kurz nur dramatisch. Das Kühne ist also, daß ich ihn mit seinem Namen geradezu in eine (schon entworfne) roman- tische nicht kleinliche Geschichte einführe, wo er, nicht weit von der Hauptperson, ohne viele Handlung seinen ganzen Karakter ausbreitet. Freilich ist diese Geschichte nicht im geringsten seiner wirklichen ver-5 wandt. Er sol darin, in diesem Rauche vor einem Holspiegel, lebendig werden und sich regen so weit es meine arme Hand vermag. Ich werde mich um kein Urtheil in Hof bekümmern, wenn deines es nicht ratifi- ziert. Dan füg' ich (troz dem Schaden, den ich der Illusion thue) dem Buche einen Anhang bei, wo ich das Wahre seiner Geschichte und einige10 zusammengedrängte Aufsäze (indes ich viele seiner Meinung[en] ins Buch verstreue) als eine Frage gebe, ob man mehr wolle. Das Honorar des Anhangs und alles dessen, was er erfindet im Buch, gehöret natür- lich seinem Vater und wird dadurch grösser, weil ich für mein Buch[77] (zumal jezt) mehr erhalte als für seines.15
Ich mag dir die Stiche nicht vorzählen, die mir bisher die Er- scheinung seines Vaters oder der Gedanke an ihn durch die Seele gab -- und doch war ich an 2 eiserne Ketten gebunden -- 1.) an meine Bedürfnisse, die mir durchaus keine halbjährige Unterbrechung meiner eignen Schreibereien vergönten -- 2) an den jezigen philo-20 sophischen Geschmak, dem seine Metaphysik halb zuwider halb nicht neu genug ist, da er zu wenig las. Der blosse Styl war, da die meisten Philosophen jezt nicht einmal seinen haben, seinen Schriften nicht am meisten nachtheilig. Kurz ich konte bisher unmöglich das zu jeder Arbeit unentbehrliche Feuer bei der Besorgnis erhalten, daß der blos25 philosophische Richterstuhl mit den Erwartungen unzufrieden sein werde, die mein Lob des Verfassers so hoch spannen muste. Ich weis, du trenst meine Verehrung seiner Genialität von dem Urtheil über seine Werke. So kont' ich z. B. in dem ins Reine geschriebenen im 1 Theil nicht fünf auffallende Gedanken finden.30
Schreib mir heute noch, weil jezt meine ganze aufgerüttelte Phantasie zukt und brüten wil -- schreibe mir auch noch einige Kautelen -- Und schicke mir (aber auch bald) einige seiner Briefe, wenn dein Urtheil sie nöthig findet. In der idealischen Geschichte aber bleibt er Doktor und Grafenhofmeister. Ich lechze jezt ordentlich nach35 der ersten Zeile, wo sein Name vorkömt.
R.
6*
nachgebildet werden — kurz nur dramatiſch. Das Kühne iſt alſo, daß ich ihn mit ſeinem Namen geradezu in eine (ſchon entworfne) roman- tiſche nicht kleinliche Geſchichte einführe, wo er, nicht weit von der Hauptperſon, ohne viele Handlung ſeinen ganzen Karakter ausbreitet. Freilich iſt dieſe Geſchichte nicht im geringſten ſeiner wirklichen ver-5 wandt. Er ſol darin, in dieſem Rauche vor einem Holſpiegel, lebendig werden und ſich regen ſo weit es meine arme Hand vermag. Ich werde mich um kein Urtheil in Hof bekümmern, wenn deines es nicht ratifi- ziert. Dan füg’ ich (troz dem Schaden, den ich der Illuſion thue) dem Buche einen Anhang bei, wo ich das Wahre ſeiner Geſchichte und einige10 zuſammengedrängte Aufſäze (indes ich viele ſeiner Meinung[en] ins Buch verſtreue) als eine Frage gebe, ob man mehr wolle. Das Honorar des Anhangs und alles deſſen, was er erfindet im Buch, gehöret natür- lich ſeinem Vater und wird dadurch gröſſer, weil ich für mein Buch[77] (zumal jezt) mehr erhalte als für ſeines.15
Ich mag dir die Stiche nicht vorzählen, die mir bisher die Er- ſcheinung ſeines Vaters oder der Gedanke an ihn durch die Seele gab — und doch war ich an 2 eiſerne Ketten gebunden — 1.) an meine Bedürfniſſe, die mir durchaus keine halbjährige Unterbrechung meiner eignen Schreibereien vergönten — 2) an den jezigen philo-20 ſophiſchen Geſchmak, dem ſeine Metaphyſik halb zuwider halb nicht neu genug iſt, da er zu wenig las. Der bloſſe Styl war, da die meiſten Philoſophen jezt nicht einmal ſeinen haben, ſeinen Schriften nicht am meiſten nachtheilig. Kurz ich konte bisher unmöglich das zu jeder Arbeit unentbehrliche Feuer bei der Beſorgnis erhalten, daß der blos25 philoſophiſche Richterſtuhl mit den Erwartungen unzufrieden ſein werde, die mein Lob des Verfaſſers ſo hoch ſpannen muſte. Ich weis, du trenſt meine Verehrung ſeiner Genialität von dem Urtheil über ſeine Werke. So kont’ ich z. B. in dem ins Reine geſchriebenen im 1 Theil nicht fünf auffallende Gedanken finden.30
Schreib mir heute noch, weil jezt meine ganze aufgerüttelte Phantaſie zukt und brüten wil — ſchreibe mir auch noch einige Kautelen — Und ſchicke mir (aber auch bald) einige ſeiner Briefe, wenn dein Urtheil ſie nöthig findet. In der idealiſchen Geſchichte aber bleibt er Doktor und Grafenhofmeiſter. Ich lechze jezt ordentlich nach35 der erſten Zeile, wo ſein Name vorkömt.
R.
6*
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0093"n="83"/>
nachgebildet werden — kurz nur dramatiſch. Das Kühne iſt alſo, daß<lb/>
ich ihn mit ſeinem <hirendition="#g">Namen</hi> geradezu in eine (ſchon entworfne) roman-<lb/>
tiſche nicht kleinliche Geſchichte einführe, wo er, nicht weit von der<lb/>
Hauptperſon, <hirendition="#g">ohne</hi> viele Handlung ſeinen ganzen Karakter ausbreitet.<lb/>
Freilich iſt dieſe Geſchichte nicht im geringſten ſeiner wirklichen ver-<lbn="5"/>
wandt. Er ſol darin, in dieſem Rauche vor einem Holſpiegel, lebendig<lb/>
werden und ſich regen ſo weit es meine arme Hand vermag. Ich werde<lb/>
mich um kein Urtheil in Hof bekümmern, wenn deines es nicht ratifi-<lb/>
ziert. Dan füg’ ich (troz dem Schaden, den ich der Illuſion thue) dem<lb/>
Buche einen Anhang bei, wo ich das Wahre ſeiner Geſchichte und einige<lbn="10"/>
zuſammengedrängte Aufſäze (indes ich viele ſeiner Meinung[en] ins<lb/>
Buch verſtreue) als eine Frage gebe, ob man mehr wolle. Das Honorar<lb/>
des Anhangs und alles deſſen, was <hirendition="#g">er</hi> erfindet im Buch, gehöret natür-<lb/>
lich ſeinem Vater und wird dadurch gröſſer, weil ich für mein Buch<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_77">[77]</ref></note><lb/>
(zumal jezt) mehr erhalte als für ſeines.<lbn="15"/></p><p>Ich mag dir die Stiche nicht vorzählen, die mir bisher die Er-<lb/>ſcheinung ſeines Vaters oder der Gedanke an ihn durch die Seele<lb/>
gab — und doch war ich an 2 eiſerne Ketten gebunden — 1.) an meine<lb/>
Bedürfniſſe, die mir durchaus keine <hirendition="#g">halbjährige</hi> Unterbrechung<lb/>
meiner eignen Schreibereien vergönten — 2) an den jezigen philo-<lbn="20"/>ſophiſchen Geſchmak, dem ſeine Metaphyſik halb zuwider halb nicht<lb/>
neu genug iſt, da er zu wenig las. Der bloſſe Styl war, da die meiſten<lb/>
Philoſophen jezt nicht einmal ſeinen haben, ſeinen Schriften nicht am<lb/>
meiſten nachtheilig. Kurz ich konte bisher unmöglich das zu jeder<lb/>
Arbeit unentbehrliche Feuer bei der Beſorgnis erhalten, daß der <hirendition="#g">blos</hi><lbn="25"/>
philoſophiſche Richterſtuhl mit den Erwartungen unzufrieden ſein<lb/>
werde, die mein Lob des Verfaſſers ſo hoch ſpannen muſte. Ich weis,<lb/>
du trenſt meine Verehrung ſeiner Genialität von dem Urtheil über<lb/>ſeine Werke. So kont’ ich z. B. in dem ins Reine geſchriebenen im<lb/>
1 Theil nicht fünf auffallende Gedanken finden.<lbn="30"/></p><p><hirendition="#g">Schreib mir heute noch,</hi> weil jezt meine ganze aufgerüttelte<lb/>
Phantaſie zukt und brüten wil —ſchreibe mir auch noch einige<lb/>
Kautelen — Und ſchicke mir (aber auch bald) einige ſeiner Briefe,<lb/>
wenn dein Urtheil ſie nöthig findet. In der idealiſchen Geſchichte aber<lb/>
bleibt er Doktor und Grafenhofmeiſter. Ich lechze jezt ordentlich nach<lbn="35"/>
der erſten Zeile, wo ſein Name vorkömt.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#right">R.</hi></salute></closer></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">6*</fw><lb/></body></text></TEI>
[83/0093]
nachgebildet werden — kurz nur dramatiſch. Das Kühne iſt alſo, daß
ich ihn mit ſeinem Namen geradezu in eine (ſchon entworfne) roman-
tiſche nicht kleinliche Geſchichte einführe, wo er, nicht weit von der
Hauptperſon, ohne viele Handlung ſeinen ganzen Karakter ausbreitet.
Freilich iſt dieſe Geſchichte nicht im geringſten ſeiner wirklichen ver- 5
wandt. Er ſol darin, in dieſem Rauche vor einem Holſpiegel, lebendig
werden und ſich regen ſo weit es meine arme Hand vermag. Ich werde
mich um kein Urtheil in Hof bekümmern, wenn deines es nicht ratifi-
ziert. Dan füg’ ich (troz dem Schaden, den ich der Illuſion thue) dem
Buche einen Anhang bei, wo ich das Wahre ſeiner Geſchichte und einige 10
zuſammengedrängte Aufſäze (indes ich viele ſeiner Meinung[en] ins
Buch verſtreue) als eine Frage gebe, ob man mehr wolle. Das Honorar
des Anhangs und alles deſſen, was er erfindet im Buch, gehöret natür-
lich ſeinem Vater und wird dadurch gröſſer, weil ich für mein Buch
(zumal jezt) mehr erhalte als für ſeines. 15
[77]Ich mag dir die Stiche nicht vorzählen, die mir bisher die Er-
ſcheinung ſeines Vaters oder der Gedanke an ihn durch die Seele
gab — und doch war ich an 2 eiſerne Ketten gebunden — 1.) an meine
Bedürfniſſe, die mir durchaus keine halbjährige Unterbrechung
meiner eignen Schreibereien vergönten — 2) an den jezigen philo- 20
ſophiſchen Geſchmak, dem ſeine Metaphyſik halb zuwider halb nicht
neu genug iſt, da er zu wenig las. Der bloſſe Styl war, da die meiſten
Philoſophen jezt nicht einmal ſeinen haben, ſeinen Schriften nicht am
meiſten nachtheilig. Kurz ich konte bisher unmöglich das zu jeder
Arbeit unentbehrliche Feuer bei der Beſorgnis erhalten, daß der blos 25
philoſophiſche Richterſtuhl mit den Erwartungen unzufrieden ſein
werde, die mein Lob des Verfaſſers ſo hoch ſpannen muſte. Ich weis,
du trenſt meine Verehrung ſeiner Genialität von dem Urtheil über
ſeine Werke. So kont’ ich z. B. in dem ins Reine geſchriebenen im
1 Theil nicht fünf auffallende Gedanken finden. 30
Schreib mir heute noch, weil jezt meine ganze aufgerüttelte
Phantaſie zukt und brüten wil — ſchreibe mir auch noch einige
Kautelen — Und ſchicke mir (aber auch bald) einige ſeiner Briefe,
wenn dein Urtheil ſie nöthig findet. In der idealiſchen Geſchichte aber
bleibt er Doktor und Grafenhofmeiſter. Ich lechze jezt ordentlich nach 35
der erſten Zeile, wo ſein Name vorkömt.
R.
6*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/93>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.