dazu deine Natur, mich aber erst mein[e] Pflicht zwingt. Was ich vergessen habe, ist, daß du ein wenig zu hart warest. Warlich ich hätte dir es vergeben, wenn du sogar das ausgeplaudert hättest, was ich nicht ausgeplaudert habe: es wäre voreilige Schwäche gewesen, und kein Vergehen. -- Ich bitte dich noch einmal, lies alles, um so mehr,5 da ich dir manches gar nicht sagen konte aus Vergessenheit.
Dein Freund R.
In 1/2 Stunde holts mein Bruder wieder ab.
[43]62. An Christian Otto.10
[Hof, 8. Febr. 1795?]
Ob ich gleich den leichtesten Schmerz habe, der in einen haarlosen Kopf kommen kan: so möcht ich doch noch etwas schöners hineinhaben: nämlich Goethe[ns] neuesten Roman, den ich dir abends wieder bringe.
63. An Christian Otto.15
[Hof, 9. Febr. 1795]
Hier hast du deinen Meister mit Dank wieder -- ich las gestern in Einem fort daran und es hinaus um 91/2 Uhr: und als es das schlug, war der Frühling wieder vorbei, ich war wieder von Neustadt zurük, und von Venzka und langte wieder auf dem harten Bette auf20 Stühlen an.
64. An Emanuel in Bayreuth.
Hof. d. 9. Febr. 1795.
Mein lieber Emanuel,
Man solte einem Autor für nichts mehr danken als für Briefe, so25 wie für nichts weniger als für Bücher: denn da ihn diese ausschöpfen und da sie ohnehin nichts sind als Briefe in dickerem Format, so mag er keine von kleinerem liefern. Der Mensch geniesset sein Ich nur, indem ers verdoppelt, -- so wie er seinen Körper erst in der Verdoppe- lung durch den Spiegel überkömt; und eben dieser Zwang, unsere30 Seele vor einer fremden abzubilden und unsere innere Quellen gerade durch einen Abflus zu -- vermehren, nöthigt die Mädgen zum Brief-, die Autores zum Bücherschreiben, die andern zum Reden und einige zum Thun.
dazu deine Natur, mich aber erſt mein[e] Pflicht zwingt. Was ich vergeſſen habe, iſt, daß du ein wenig zu hart wareſt. Warlich ich hätte dir es vergeben, wenn du ſogar das ausgeplaudert hätteſt, was ich nicht ausgeplaudert habe: es wäre voreilige Schwäche geweſen, und kein Vergehen. — Ich bitte dich noch einmal, lies alles, um ſo mehr,5 da ich dir manches gar nicht ſagen konte aus Vergeſſenheit.
Dein Freund R.
In ½ Stunde holts mein Bruder wieder ab.
[43]62. An Chriſtian Otto.10
[Hof, 8. Febr. 1795?]
Ob ich gleich den leichteſten Schmerz habe, der in einen haarloſen Kopf kommen kan: ſo möcht ich doch noch etwas ſchöners hineinhaben: nämlich Goethe[ns] neueſten Roman, den ich dir abends wieder bringe.
63. An Chriſtian Otto.15
[Hof, 9. Febr. 1795]
Hier haſt du deinen Meiſter mit Dank wieder — ich las geſtern in Einem fort daran und es hinaus um 9½ Uhr: und als es das ſchlug, war der Frühling wieder vorbei, ich war wieder von Neuſtadt zurük, und von Venzka und langte wieder auf dem harten Bette auf20 Stühlen an.
64. An Emanuel in Bayreuth.
Hof. d. 9. Febr. 1795.
Mein lieber Emanuel,
Man ſolte einem Autor für nichts mehr danken als für Briefe, ſo25 wie für nichts weniger als für Bücher: denn da ihn dieſe ausſchöpfen und da ſie ohnehin nichts ſind als Briefe in dickerem Format, ſo mag er keine von kleinerem liefern. Der Menſch genieſſet ſein Ich nur, indem ers verdoppelt, — ſo wie er ſeinen Körper erſt in der Verdoppe- lung durch den Spiegel überkömt; und eben dieſer Zwang, unſere30 Seele vor einer fremden abzubilden und unſere innere Quellen gerade durch einen Abflus zu — vermehren, nöthigt die Mädgen zum Brief-, die Autores zum Bücherſchreiben, die andern zum Reden und einige zum Thun.
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dazu deine Natur, mich aber erſt mein[e] Pflicht zwingt. Was ich
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dir es vergeben, wenn du ſogar das ausgeplaudert hätteſt, was ich
nicht ausgeplaudert habe: es wäre voreilige Schwäche geweſen, und
kein Vergehen. — Ich bitte dich noch einmal, lies alles, um ſo mehr, 5
da ich dir manches gar nicht ſagen konte aus Vergeſſenheit.
Dein Freund
R.
In ½ Stunde holts mein Bruder wieder ab.
62. An Chriſtian Otto. 10
[Hof, 8. Febr. 1795?]
Ob ich gleich den leichteſten Schmerz habe, der in einen haarloſen
Kopf kommen kan: ſo möcht ich doch noch etwas ſchöners hineinhaben:
nämlich Goethe[ns] neueſten Roman, den ich dir abends wieder bringe.
63. An Chriſtian Otto. 15
[Hof, 9. Febr. 1795]
Hier haſt du deinen Meiſter mit Dank wieder — ich las geſtern in
Einem fort daran und es hinaus um 9½ Uhr: und als es das ſchlug,
war der Frühling wieder vorbei, ich war wieder von Neuſtadt zurük,
und von Venzka und langte wieder auf dem harten Bette auf 20
Stühlen an.
64. An Emanuel in Bayreuth.
Hof. d. 9. Febr. 1795.
Mein lieber Emanuel,
Man ſolte einem Autor für nichts mehr danken als für Briefe, ſo 25
wie für nichts weniger als für Bücher: denn da ihn dieſe ausſchöpfen
und da ſie ohnehin nichts ſind als Briefe in dickerem Format, ſo mag
er keine von kleinerem liefern. Der Menſch genieſſet ſein Ich nur,
indem ers verdoppelt, — ſo wie er ſeinen Körper erſt in der Verdoppe-
lung durch den Spiegel überkömt; und eben dieſer Zwang, unſere 30
Seele vor einer fremden abzubilden und unſere innere Quellen gerade
durch einen Abflus zu — vermehren, nöthigt die Mädgen zum Brief-,
die Autores zum Bücherſchreiben, die andern zum Reden und einige
zum Thun.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/59>, abgerufen am 16.02.2025.
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