Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite
453. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Kopie]

Jeden Tag wird für mein Auge der doppelte Gipfel des Helikons
kahler und zu einem Kreidenberg.

454. An Christian Otto.5

Bringe den Almanach bis morgen Mittags durch, weil ich ihn dan
hinauslesen und mit der nächsten Post schicken wil. Wär' er nicht spas-
haft, so würde mich das Doppelporto für das Poetische reuen. Das von[269]
Oertel steht p. 94, er las mirs aus seiner Uebersezung vor: es ist öde10
und leer. Jezt kriegt man überal Gemälde, und keine Bilder.

*455. An Emanuel.

Mein guter Emanuel!

Meine Hofnung, Ihnen die Blumenstücke und einen Brief zu15
schicken, lösete sich sehr spät in den Empfang der blossen Aushänge-
bogen auf, aus denen erst in 3 Wochen der entpupte Sommervogel
bricht. So lange kont' ich nun nicht schweigen. Aber was hab' ich zu
reden? oder über was? Bei der Wahl zwischen Universum und Nichts,
zwischen Abhandlungen und Einfällen -- denn das ist die meinige --20
kan ich sie auf nichts als auf das Schlimste richten. Ich beantworte
jezt allen meinen Freunden kaum den dritten Brief. Ich habe so viel zu
lesen, zu exzerpieren, zu visitieren, Papier und Feder zu schneiden,
manchmal Athem zu holen, Gänge auf der Chaussee und auf dem
Klavier und zuweilen wohl gar ein Buch zu machen, daß ich mir offen-25
bar nichts leichter machen kan als Feind-innen durch Schweigen:
Feinde nicht, mein Emanuel ist ein Man und also -- ein vergebender
Beichtvater.

Sagen Sie Elrodt auf seinen Brief, daß ich das Blätgen, das er
fodert, machen wil.30

Ach mein Emanuel, ich denke immer an die lezte schöne zerrinnende
Stunde bei Ihnen.

Ich habe Sie, was noch bei wenig Menschen möglich war, jedes
Jahr stärker geliebt. Achtung und erotische Liebe kan die schnelle

453. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Kopie]

Jeden Tag wird für mein Auge der doppelte Gipfel des Helikons
kahler und zu einem Kreidenberg.

454. An Chriſtian Otto.5

Bringe den Almanach bis morgen Mittags durch, weil ich ihn dan
hinausleſen und mit der nächſten Poſt ſchicken wil. Wär’ er nicht ſpas-
haft, ſo würde mich das Doppelporto für das Poetiſche reuen. Das von[269]
Oertel ſteht p. 94, er las mirs aus ſeiner Ueberſezung vor: es iſt öde10
und leer. Jezt kriegt man überal Gemälde, und keine Bilder.

*455. An Emanuel.

Mein guter Emanuel!

Meine Hofnung, Ihnen die Blumenſtücke und einen Brief zu15
ſchicken, löſete ſich ſehr ſpät in den Empfang der bloſſen Aushänge-
bogen auf, aus denen erſt in 3 Wochen der entpupte Sommervogel
bricht. So lange kont’ ich nun nicht ſchweigen. Aber was hab’ ich zu
reden? oder über was? Bei der Wahl zwiſchen Univerſum und Nichts,
zwiſchen Abhandlungen und Einfällen — denn das iſt die meinige —20
kan ich ſie auf nichts als auf das Schlimſte richten. Ich beantworte
jezt allen meinen Freunden kaum den dritten Brief. Ich habe ſo viel zu
leſen, zu exzerpieren, zu viſitieren, Papier und Feder zu ſchneiden,
manchmal Athem zu holen, Gänge auf der Chauſſée und auf dem
Klavier und zuweilen wohl gar ein Buch zu machen, daß ich mir offen-25
bar nichts leichter machen kan als Feind-innen durch Schweigen:
Feinde nicht, mein Emanuel iſt ein Man und alſo — ein vergebender
Beichtvater.

Sagen Sie Elrodt auf ſeinen Brief, daß ich das Blätgen, das er
fodert, machen wil.30

Ach mein Emanuel, ich denke immer an die lezte ſchöne zerrinnende
Stunde bei Ihnen.

Ich habe Sie, was noch bei wenig Menſchen möglich war, jedes
Jahr ſtärker geliebt. Achtung und erotiſche Liebe kan die ſchnelle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0284" n="269"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>453. An <hi rendition="#g">Friedrich von Oertel in Leipzig.</hi></head><lb/>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 7. (?) Nov. 1796]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Jeden Tag wird für mein Auge der doppelte Gipfel des Helikons<lb/>
kahler und zu einem Kreidenberg.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>454. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi><lb n="5"/>
</head>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 8. Nov. 1796]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Bringe den Almanach bis morgen Mittags durch, weil ich ihn dan<lb/>
hinausle&#x017F;en und mit der näch&#x017F;ten Po&#x017F;t &#x017F;chicken wil. Wär&#x2019; er nicht &#x017F;pas-<lb/>
haft, &#x017F;o würde mich das Doppelporto für das Poeti&#x017F;che reuen. Das von<note place="right"><ref target="1922_Bd2_269">[269]</ref></note><lb/>
Oertel &#x017F;teht <hi rendition="#aq">p.</hi> 94, er las mirs aus &#x017F;einer Ueber&#x017F;ezung vor: es i&#x017F;t öde<lb n="10"/>
und leer. Jezt kriegt man überal Gemälde, und keine Bilder.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>*455. An <hi rendition="#g">Emanuel.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right">Hof d. 8 Nov. 1796.</hi> </dateline><lb/>
        <opener>
          <salute> <hi rendition="#et">Mein guter Emanuel!</hi> </salute>
        </opener><lb/>
        <p>Meine Hofnung, Ihnen die Blumen&#x017F;tücke und einen Brief zu<lb n="15"/>
&#x017F;chicken, lö&#x017F;ete &#x017F;ich &#x017F;ehr &#x017F;pät in den Empfang der blo&#x017F;&#x017F;en Aushänge-<lb/>
bogen auf, aus denen er&#x017F;t in 3 Wochen der entpupte Sommervogel<lb/>
bricht. So lange kont&#x2019; ich nun nicht &#x017F;chweigen. Aber was hab&#x2019; ich zu<lb/>
reden? oder über was? Bei der Wahl zwi&#x017F;chen Univer&#x017F;um und Nichts,<lb/>
zwi&#x017F;chen Abhandlungen und Einfällen &#x2014; denn das i&#x017F;t die meinige &#x2014;<lb n="20"/>
kan ich &#x017F;ie auf nichts als auf das Schlim&#x017F;te richten. Ich beantworte<lb/>
jezt allen meinen Freunden kaum den dritten Brief. Ich habe &#x017F;o viel zu<lb/>
le&#x017F;en, zu exzerpieren, zu vi&#x017F;itieren, Papier und Feder zu &#x017F;chneiden,<lb/>
manchmal Athem zu holen, Gänge auf der Chau&#x017F;&#x017F;<hi rendition="#aq">é</hi>e und auf dem<lb/>
Klavier und zuweilen wohl gar ein Buch zu machen, daß ich mir offen-<lb n="25"/>
bar nichts leichter machen kan als Feind-innen durch Schweigen:<lb/>
Feinde nicht, mein Emanuel i&#x017F;t ein Man und al&#x017F;o &#x2014; ein vergebender<lb/>
Beichtvater.</p><lb/>
        <p>Sagen Sie Elrodt auf &#x017F;einen Brief, daß ich das Blätgen, das er<lb/>
fodert, machen wil.<lb n="30"/>
</p>
        <p>Ach mein Emanuel, ich denke immer an die lezte &#x017F;chöne zerrinnende<lb/>
Stunde bei Ihnen.</p><lb/>
        <p>Ich habe Sie, was noch bei wenig Men&#x017F;chen möglich war, jedes<lb/>
Jahr &#x017F;tärker geliebt. Achtung und <hi rendition="#g">eroti&#x017F;che</hi> Liebe kan die &#x017F;chnelle<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[269/0284] 453. An Friedrich von Oertel in Leipzig. [Hof, 7. (?) Nov. 1796] Jeden Tag wird für mein Auge der doppelte Gipfel des Helikons kahler und zu einem Kreidenberg. 454. An Chriſtian Otto. 5 [Hof, 8. Nov. 1796] Bringe den Almanach bis morgen Mittags durch, weil ich ihn dan hinausleſen und mit der nächſten Poſt ſchicken wil. Wär’ er nicht ſpas- haft, ſo würde mich das Doppelporto für das Poetiſche reuen. Das von Oertel ſteht p. 94, er las mirs aus ſeiner Ueberſezung vor: es iſt öde 10 und leer. Jezt kriegt man überal Gemälde, und keine Bilder. [269] *455. An Emanuel. Hof d. 8 Nov. 1796. Mein guter Emanuel! Meine Hofnung, Ihnen die Blumenſtücke und einen Brief zu 15 ſchicken, löſete ſich ſehr ſpät in den Empfang der bloſſen Aushänge- bogen auf, aus denen erſt in 3 Wochen der entpupte Sommervogel bricht. So lange kont’ ich nun nicht ſchweigen. Aber was hab’ ich zu reden? oder über was? Bei der Wahl zwiſchen Univerſum und Nichts, zwiſchen Abhandlungen und Einfällen — denn das iſt die meinige — 20 kan ich ſie auf nichts als auf das Schlimſte richten. Ich beantworte jezt allen meinen Freunden kaum den dritten Brief. Ich habe ſo viel zu leſen, zu exzerpieren, zu viſitieren, Papier und Feder zu ſchneiden, manchmal Athem zu holen, Gänge auf der Chauſſée und auf dem Klavier und zuweilen wohl gar ein Buch zu machen, daß ich mir offen- 25 bar nichts leichter machen kan als Feind-innen durch Schweigen: Feinde nicht, mein Emanuel iſt ein Man und alſo — ein vergebender Beichtvater. Sagen Sie Elrodt auf ſeinen Brief, daß ich das Blätgen, das er fodert, machen wil. 30 Ach mein Emanuel, ich denke immer an die lezte ſchöne zerrinnende Stunde bei Ihnen. Ich habe Sie, was noch bei wenig Menſchen möglich war, jedes Jahr ſtärker geliebt. Achtung und erotiſche Liebe kan die ſchnelle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/284
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/284>, abgerufen am 03.05.2024.