gelöscht und zertrümmert werden könte? Nein, meine Renate, wir können uns nie verlassen, und die Jahre ziehen sich nur als neue und engere Banden um unsere Seelen. Unsere Liebe kan nur wärmer werden durch das nahe Opferfeuer der mütterlichen und der ehelichen, und wenn eines von uns stürbe, so wäre das andere nur ohne Trost, aber5 nicht ohne Liebe. O du meine Unvergesliche, du bleibst ewig an meiner Seite, deine Freuden sind meine, deine Thränen sind meine und die grossen Stunden unserer Vergangenheit gehen mit mir durch mein ganzes Leben! Ach wenn ich mich betrüben wil, so lass ich die Abschieds- stunde von Hof schlagen, wo ich an den Thränen sterben werde, die für10 dich du geliebte Seele fallen. Aber dan kömt und tönt die höhere Harmonikastunde, wo ich dich nach langem Trennen wiedersehe, und wo die Freuden aller entbehrten Augenblicke in Einer Minute der Ankunft auferstehen.
Ich unterbrach mich, um mich nicht immer tiefer in mein Ich hinein-15 zuschreiben. -- Emanuel hat Ihnen mein Reisejournal schon geschrie- ben. Bei ihm sah und genos ich gestern die Hofräthin Vogt, eine aus- gezeichnete kräftige zarte und feste Frau: in einer Viertelstunde waren wir vertraut. Der Man ist viel besser als die Kopie, die ich von ihm mir vorher entworfen. Ich sol über ihr Gut reisen, aber ich sehne mich20 schneller nach Hof. In Bayreuth find' ich mehr Bekantschaften und Freuden als jemals; aber das verdamte Weimar wirft seinen Glanz über alles und nimt mir den halben Genus, blos indem es meinen Wünschen und Hofnungen zu lange Flügel gab. -- Morgen ess' ich bei Völderndorf, der so rechtschaffen ist als das Kammerkollegium und25 Konsistorium zusammen: ich lieb ihn herzlich.
Ich wil meine Ankunft so wenig wie das Wetter prophezeien; doch komm' ich und gutes nun bald.
Wollen Sie mir auf diesen Brief eine Antwort geben, die mich etwa in Bayreuth verfehlen könte: so geben Sie sie nur in meiner -- Stube30 ab, wo sie richtig durch den Briefträger (meinen Bruder) auf meinen Schreibtisch getragen werden sol. Es wäre sehr schön, wenn das erste,[253] was ich auf meinem Tisch fände, das wäre, was ich darauf suchte -- Ihre Hand.
Lebe wohl, Schwester meines Herzens!35
Dein Jean Paul Fr. Richter
gelöſcht und zertrümmert werden könte? Nein, meine Renate, wir können uns nie verlaſſen, und die Jahre ziehen ſich nur als neue und engere Banden um unſere Seelen. Unſere Liebe kan nur wärmer werden durch das nahe Opferfeuer der mütterlichen und der ehelichen, und wenn eines von uns ſtürbe, ſo wäre das andere nur ohne Troſt, aber5 nicht ohne Liebe. O du meine Unvergesliche, du bleibſt ewig an meiner Seite, deine Freuden ſind meine, deine Thränen ſind meine und die groſſen Stunden unſerer Vergangenheit gehen mit mir durch mein ganzes Leben! Ach wenn ich mich betrüben wil, ſo laſſ ich die Abſchieds- ſtunde von Hof ſchlagen, wo ich an den Thränen ſterben werde, die für10 dich du geliebte Seele fallen. Aber dan kömt und tönt die höhere Harmonikaſtunde, wo ich dich nach langem Trennen wiederſehe, und wo die Freuden aller entbehrten Augenblicke in Einer Minute der Ankunft auferſtehen.
Ich unterbrach mich, um mich nicht immer tiefer in mein Ich hinein-15 zuſchreiben. — Emanuel hat Ihnen mein Reiſejournal ſchon geſchrie- ben. Bei ihm ſah und genos ich geſtern die Hofräthin Vogt, eine aus- gezeichnete kräftige zarte und feſte Frau: in einer Viertelſtunde waren wir vertraut. Der Man iſt viel beſſer als die Kopie, die ich von ihm mir vorher entworfen. Ich ſol über ihr Gut reiſen, aber ich ſehne mich20 ſchneller nach Hof. In Bayreuth find’ ich mehr Bekantſchaften und Freuden als jemals; aber das verdamte Weimar wirft ſeinen Glanz über alles und nimt mir den halben Genus, blos indem es meinen Wünſchen und Hofnungen zu lange Flügel gab. — Morgen eſſ’ ich bei Völderndorf, der ſo rechtſchaffen iſt als das Kammerkollegium und25 Konſiſtorium zuſammen: ich lieb ihn herzlich.
Ich wil meine Ankunft ſo wenig wie das Wetter prophezeien; doch komm’ ich und gutes nun bald.
Wollen Sie mir auf dieſen Brief eine Antwort geben, die mich etwa in Bayreuth verfehlen könte: ſo geben Sie ſie nur in meiner — Stube30 ab, wo ſie richtig durch den Briefträger (meinen Bruder) auf meinen Schreibtiſch getragen werden ſol. Es wäre ſehr ſchön, wenn das erſte,[253] was ich auf meinem Tiſch fände, das wäre, was ich darauf ſuchte — Ihre Hand.
Lebe wohl, Schweſter meines Herzens!35
Dein Jean Paul Fr. Richter
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engere Banden um unſere Seelen. Unſere Liebe kan nur wärmer werden
durch das nahe Opferfeuer der mütterlichen und der ehelichen, und
wenn eines von uns ſtürbe, ſo wäre das andere nur ohne Troſt, aber 5
nicht ohne Liebe. O du meine Unvergesliche, du bleibſt ewig an meiner
Seite, deine Freuden ſind meine, deine Thränen ſind meine und die
groſſen Stunden unſerer Vergangenheit gehen mit mir durch mein
ganzes Leben! Ach wenn ich mich betrüben wil, ſo laſſ ich die Abſchieds-
ſtunde von Hof ſchlagen, wo ich an den Thränen ſterben werde, die für 10
dich du geliebte Seele fallen. Aber dan kömt und tönt die höhere
Harmonikaſtunde, wo ich dich nach langem Trennen wiederſehe, und wo
die Freuden aller entbehrten Augenblicke in Einer Minute der Ankunft
auferſtehen.
Ich unterbrach mich, um mich nicht immer tiefer in mein Ich hinein- 15
zuſchreiben. — Emanuel hat Ihnen mein Reiſejournal ſchon geſchrie-
ben. Bei ihm ſah und genos ich geſtern die Hofräthin Vogt, eine aus-
gezeichnete kräftige zarte und feſte Frau: in einer Viertelſtunde waren
wir vertraut. Der Man iſt viel beſſer als die Kopie, die ich von ihm
mir vorher entworfen. Ich ſol über ihr Gut reiſen, aber ich ſehne mich 20
ſchneller nach Hof. In Bayreuth find’ ich mehr Bekantſchaften und
Freuden als jemals; aber das verdamte Weimar wirft ſeinen Glanz
über alles und nimt mir den halben Genus, blos indem es meinen
Wünſchen und Hofnungen zu lange Flügel gab. — Morgen eſſ’ ich bei
Völderndorf, der ſo rechtſchaffen iſt als das Kammerkollegium und 25
Konſiſtorium zuſammen: ich lieb ihn herzlich.
Ich wil meine Ankunft ſo wenig wie das Wetter prophezeien; doch
komm’ ich und gutes nun bald.
Wollen Sie mir auf dieſen Brief eine Antwort geben, die mich etwa
in Bayreuth verfehlen könte: ſo geben Sie ſie nur in meiner — Stube 30
ab, wo ſie richtig durch den Briefträger (meinen Bruder) auf meinen
Schreibtiſch getragen werden ſol. Es wäre ſehr ſchön, wenn das erſte,
was ich auf meinem Tiſch fände, das wäre, was ich darauf ſuchte —
Ihre Hand.
[253]
Lebe wohl, Schweſter meines Herzens! 35
Dein
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/268>, abgerufen am 26.11.2024.
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