Gesinnung nimt, die du mit mir über unser Stängelgen der Erde und über den ganzen Bauer des Universums hast und die es auch machte, daß Moriz mich zu gelinde beurtheilte. -- Und doch ist der Mangel dieser Gesinnung durch nichts in der Welt zu erstatten, man mag rezensieren oder loben. -- Dieser dein Gesichtspunkt, die Welt an-5 zuschauen -- die wirkliche, die historische und die poetische -- und dein Enthusiasmus durfte mir ja wol vor Freude die Augen nasmachen.
Ich bin jezt, nach dem Hervortreiben der hier beiliegenden Szenen, ein wenig ausgeleert, nim also die Ermüdung nicht übel. -- Meine Kritik über die deinige erräthst du aus meinem Gehorsam dagegen:10 blos einzelne Worte, nie ganze getadelte Szenen deck' ich gegen dich. Mich wunderte oft dein Blik in ein Räderwerk, das doch nicht ex professo auf deine Drechselbank gehört; und es ist schade, daß gerade die zum Rezensieren tüchtig sind, die zu gut dazu sind. -- Ich werfe (es ist schon 41/4 Uhr) alles untereinander. -- Lege nur deine tolle15 Angst wegen deiner Dunkelheit ab. -- Ich kan dir für deine Mühe um mein Werk mit nichts danken als mit der Versicherung, daß meine um deines nicht kleiner sein sol, obgleich nur die Form, nicht die Materie davon meine Erwiederungen zulassen kan. -- Ueber einiges können wir mündlich und peripathetisch, nicht pathetisch, auf unsern Reisen20 sprechen. -- Übrigens machen meine Ideale und dein Lob (des Menschen, nicht Autors) einen Kontrast mit den Schwächen des armen Paulus, der ihn hoff' ich nicht blos beschämen sondern auch reformieren und arrondieren wird. Ach ich war sonst (in der Stille, in meiner Einsamkeit, in meiner körperlichen Dürftigkeit) anders und25 besser und sanfter; aber die Anspannungen der Phantasie geben allen Leidenschaften zuviel Milchsaft und Heftigkeit. Meine ernsteste Bitte ist: daß du mich ohne Schonen tadelst -- Folg' ich dir auch nicht [8]sogleich: so thu' ichs doch später. Rüge nicht schweigend, Lieber: nach deinem übertriebnen Lobe müst' ich dir sogar übertriebnen Tadel30 vergeben, geschweige gerechten. --
"Es fiel mir bei einigen Stellen schwer aufs Herz, daß ich dir noch "eine Erklärung über eine Begebenheit schuldig bin, bei der mich nur "deine alzuschonende Beurtheilung gegen den Verdacht des Eigennuzes "(ausser meiner eignen Voreiligkeit und einem Misverständnis)35 "schüzen kan .... traue mir jede Aenderung zu, die von mir abhängt "und auch eine Aufopferung" -- -- schreibst du. -- Lieber Otto! keine
Geſinnung nimt, die du mit mir über unſer Stängelgen der Erde und über den ganzen Bauer des Univerſums haſt und die es auch machte, daß Moriz mich zu gelinde beurtheilte. — Und doch iſt der Mangel dieſer Geſinnung durch nichts in der Welt zu erſtatten, man mag rezenſieren oder loben. — Dieſer dein Geſichtspunkt, die Welt an-5 zuſchauen — die wirkliche, die hiſtoriſche und die poetiſche — und dein Enthuſiaſmus durfte mir ja wol vor Freude die Augen nasmachen.
Ich bin jezt, nach dem Hervortreiben der hier beiliegenden Szenen, ein wenig ausgeleert, nim alſo die Ermüdung nicht übel. — Meine Kritik über die deinige erräthſt du aus meinem Gehorſam dagegen:10 blos einzelne Worte, nie ganze getadelte Szenen deck’ ich gegen dich. Mich wunderte oft dein Blik in ein Räderwerk, das doch nicht ex professo auf deine Drechſelbank gehört; und es iſt ſchade, daß gerade die zum Rezenſieren tüchtig ſind, die zu gut dazu ſind. — Ich werfe (es iſt ſchon 4¼ Uhr) alles untereinander. — Lege nur deine tolle15 Angſt wegen deiner Dunkelheit ab. — Ich kan dir für deine Mühe um mein Werk mit nichts danken als mit der Verſicherung, daß meine um deines nicht kleiner ſein ſol, obgleich nur die Form, nicht die Materie davon meine Erwiederungen zulaſſen kan. — Ueber einiges können wir mündlich und peripathetiſch, nicht pathetiſch, auf unſern Reiſen20 ſprechen. — Übrigens machen meine Ideale und dein Lob (des Menſchen, nicht Autors) einen Kontraſt mit den Schwächen des armen Paulus, der ihn hoff’ ich nicht blos beſchämen ſondern auch reformieren und arrondieren wird. Ach ich war ſonſt (in der Stille, in meiner Einſamkeit, in meiner körperlichen Dürftigkeit) anders und25 beſſer und ſanfter; aber die Anſpannungen der Phantaſie geben allen Leidenſchaften zuviel Milchſaft und Heftigkeit. Meine ernſteſte Bitte iſt: daß du mich ohne Schonen tadelſt — Folg’ ich dir auch nicht [8]ſogleich: ſo thu’ ichs doch ſpäter. Rüge nicht ſchweigend, Lieber: nach deinem übertriebnen Lobe müſt’ ich dir ſogar übertriebnen Tadel30 vergeben, geſchweige gerechten. —
„Es fiel mir bei einigen Stellen ſchwer aufs Herz, daß ich dir noch „eine Erklärung über eine Begebenheit ſchuldig bin, bei der mich nur „deine alzuſchonende Beurtheilung gegen den Verdacht des Eigennuzes „(auſſer meiner eignen Voreiligkeit und einem Misverſtändnis)35 „ſchüzen kan .... traue mir jede Aenderung zu, die von mir abhängt „und auch eine Aufopferung“ — — ſchreibſt du. — Lieber Otto! keine
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0025"n="16"/>
Geſinnung nimt, die du mit mir über unſer Stängelgen der Erde und<lb/>
über den ganzen Bauer des Univerſums haſt und die es auch machte,<lb/>
daß Moriz mich zu gelinde beurtheilte. — Und doch iſt der Mangel<lb/>
dieſer Geſinnung durch nichts in der Welt zu erſtatten, man mag<lb/>
rezenſieren oder loben. — Dieſer dein Geſichtspunkt, die Welt an-<lbn="5"/>
zuſchauen — die wirkliche, die hiſtoriſche und die poetiſche — und dein<lb/>
Enthuſiaſmus durfte mir ja wol vor Freude die Augen nasmachen.</p><lb/><p>Ich bin jezt, nach dem Hervortreiben der hier beiliegenden Szenen,<lb/>
ein wenig ausgeleert, nim alſo die Ermüdung nicht übel. — Meine<lb/>
Kritik über die deinige erräthſt du aus meinem Gehorſam dagegen:<lbn="10"/>
blos einzelne Worte, nie ganze getadelte Szenen deck’ ich gegen dich.<lb/>
Mich wunderte oft dein Blik in ein Räderwerk, das doch nicht <hirendition="#aq">ex<lb/>
professo</hi> auf deine Drechſelbank gehört; und es iſt ſchade, daß gerade<lb/>
die zum Rezenſieren tüchtig ſind, die zu gut dazu ſind. — Ich werfe<lb/>
(es iſt ſchon 4¼ Uhr) alles untereinander. — Lege nur deine tolle<lbn="15"/>
Angſt wegen deiner Dunkelheit ab. — Ich kan dir für deine Mühe um<lb/>
mein Werk mit nichts danken als mit der Verſicherung, daß meine um<lb/>
deines nicht kleiner ſein ſol, obgleich nur die Form, nicht die Materie<lb/>
davon meine Erwiederungen zulaſſen kan. — Ueber einiges können<lb/>
wir mündlich und peripathetiſch, nicht pathetiſch, auf unſern Reiſen<lbn="20"/>ſprechen. — Übrigens machen meine Ideale und dein Lob (des<lb/>
Menſchen, nicht Autors) einen Kontraſt mit den Schwächen des<lb/>
armen Paulus, der ihn hoff’ ich nicht blos beſchämen ſondern auch<lb/>
reformieren und arrondieren wird. Ach ich war ſonſt (in der Stille, in<lb/>
meiner Einſamkeit, in meiner körperlichen Dürftigkeit) anders und<lbn="25"/>
beſſer und ſanfter; aber die Anſpannungen der Phantaſie geben allen<lb/>
Leidenſchaften zuviel Milchſaft und Heftigkeit. Meine ernſteſte Bitte<lb/>
iſt: daß du mich ohne Schonen tadelſt — Folg’ ich dir auch nicht<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd2_8">[8]</ref></note>ſogleich: ſo thu’ ichs doch ſpäter. Rüge nicht ſchweigend, Lieber:<lb/>
nach deinem übertriebnen Lobe müſt’ ich dir ſogar übertriebnen Tadel<lbn="30"/>
vergeben, geſchweige gerechten. —</p><lb/><p>„Es fiel mir bei einigen Stellen ſchwer aufs Herz, daß ich dir noch<lb/>„eine Erklärung über eine Begebenheit ſchuldig bin, bei der mich nur<lb/>„deine alzuſchonende Beurtheilung gegen den Verdacht des Eigennuzes<lb/>„(auſſer meiner eignen Voreiligkeit und einem Misverſtändnis)<lbn="35"/>„ſchüzen kan .... traue mir jede Aenderung zu, die von mir abhängt<lb/>„und auch eine Aufopferung“——ſchreibſt du. — Lieber Otto! keine<lb/></p></div></body></text></TEI>
[16/0025]
Geſinnung nimt, die du mit mir über unſer Stängelgen der Erde und
über den ganzen Bauer des Univerſums haſt und die es auch machte,
daß Moriz mich zu gelinde beurtheilte. — Und doch iſt der Mangel
dieſer Geſinnung durch nichts in der Welt zu erſtatten, man mag
rezenſieren oder loben. — Dieſer dein Geſichtspunkt, die Welt an- 5
zuſchauen — die wirkliche, die hiſtoriſche und die poetiſche — und dein
Enthuſiaſmus durfte mir ja wol vor Freude die Augen nasmachen.
Ich bin jezt, nach dem Hervortreiben der hier beiliegenden Szenen,
ein wenig ausgeleert, nim alſo die Ermüdung nicht übel. — Meine
Kritik über die deinige erräthſt du aus meinem Gehorſam dagegen: 10
blos einzelne Worte, nie ganze getadelte Szenen deck’ ich gegen dich.
Mich wunderte oft dein Blik in ein Räderwerk, das doch nicht ex
professo auf deine Drechſelbank gehört; und es iſt ſchade, daß gerade
die zum Rezenſieren tüchtig ſind, die zu gut dazu ſind. — Ich werfe
(es iſt ſchon 4¼ Uhr) alles untereinander. — Lege nur deine tolle 15
Angſt wegen deiner Dunkelheit ab. — Ich kan dir für deine Mühe um
mein Werk mit nichts danken als mit der Verſicherung, daß meine um
deines nicht kleiner ſein ſol, obgleich nur die Form, nicht die Materie
davon meine Erwiederungen zulaſſen kan. — Ueber einiges können
wir mündlich und peripathetiſch, nicht pathetiſch, auf unſern Reiſen 20
ſprechen. — Übrigens machen meine Ideale und dein Lob (des
Menſchen, nicht Autors) einen Kontraſt mit den Schwächen des
armen Paulus, der ihn hoff’ ich nicht blos beſchämen ſondern auch
reformieren und arrondieren wird. Ach ich war ſonſt (in der Stille, in
meiner Einſamkeit, in meiner körperlichen Dürftigkeit) anders und 25
beſſer und ſanfter; aber die Anſpannungen der Phantaſie geben allen
Leidenſchaften zuviel Milchſaft und Heftigkeit. Meine ernſteſte Bitte
iſt: daß du mich ohne Schonen tadelſt — Folg’ ich dir auch nicht
ſogleich: ſo thu’ ichs doch ſpäter. Rüge nicht ſchweigend, Lieber:
nach deinem übertriebnen Lobe müſt’ ich dir ſogar übertriebnen Tadel 30
vergeben, geſchweige gerechten. —
[8]
„Es fiel mir bei einigen Stellen ſchwer aufs Herz, daß ich dir noch
„eine Erklärung über eine Begebenheit ſchuldig bin, bei der mich nur
„deine alzuſchonende Beurtheilung gegen den Verdacht des Eigennuzes
„(auſſer meiner eignen Voreiligkeit und einem Misverſtändnis) 35
„ſchüzen kan .... traue mir jede Aenderung zu, die von mir abhängt
„und auch eine Aufopferung“ — — ſchreibſt du. — Lieber Otto! keine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/25>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.