Punkt weniger in der Nacht als im Nebel, der den Tag blos verbirgt. Jedes Ihrer Worte ist zugleich esoterisch und exoterisch, und legt schonend dem Irthum einen Sin unter, der ihn aufhebt. Die eine Parthei hat die evangelische Geschichte zu widersinnigen actis sanc- torum, zu einer Wunder-Faktorei ohne Zwek und zu einer Götter-5 geschichte hereingesenkter unfaslicher deorum ex machina gemacht -- die andere Parthei hat eben darum stat der falschen Folgerungen die wahre Geschichte geläugnet und gemishandelt. Sie haben die Theologie mit der Philosophie wie ein Mitler vereinigt, indem Sie den Erlöser blos zum Protomedikus unserer siechen Seele, und sein Institut zum10 moralischen Clinicum und aus dem Gott-Menschen einen Menschen Gottes, aus der apostolischen Sendung einen höheren und weitern pythagoräischen Bund machen. Sie haben Himmel und Erde, die (nach den Aegyptern) anfangs ineinander lagen, schön auseinander geordnet und Jesum zum -- zweitenmale Mensch werden lassen, troz15 des Edikts vom 9ten Jul. Und niemand geb' ihm wieder die götliche Schminke, die alle seine edeln Züge bedekt. Über seinen Irthum sind [231]Sie sanft S. 243 hinübergeeilt, der den nahen Fal Jerusalems und der Erde dicht verknüpfte und der die Märtyrer und die Almosen vermehrte und die baufälligen Tempel und christlichen Geschichts-20 bücher verminderte und der das 10te Jahrhundert erlebte; aber in Ihren Briefen an einen Theologen haben Sie diesen Irthum bei jeder christlichen Parthei entschuldigt. Ganz neu -- im Grunde alles -- ist das proscholium Johannis S. 53 etc. behandelt, und frappierend die Versuchung; und himlisch ist der Auszug von Christi Moralsystem.25 Blos über die Wunder hätte man, seiner eignen Belehrung wegen, einen dünnern pythag[oräischen] Vorhang und eine kleinere disciplina arcani gewünscht.
Es giebt einen deutschen Schriftsteller, den Sie meines Wissens kennen, welcher wie die Engel nach den Scholastikern vor einem30 Meere steht, das alle Völker nachspiegelt, und der, indes wir Indi- viduen schonen und Völker mishandeln, beide erräth und beschüzt und der stat jener Toleranz -- deren Name selber eine Intoleranz ist -- etwas humaneres und höheres predigt und übt, den edlern Anthropo- morphismus eines jeden Menschen, eines jeden Volks, eines jeden35 Säkulums. Wenigstens der Name dieses Autors solt' Ihnen bekant sein: er heisset -- J. G. Herder.
Punkt weniger in der Nacht als im Nebel, der den Tag blos verbirgt. Jedes Ihrer Worte iſt zugleich eſoteriſch und exoteriſch, und legt ſchonend dem Irthum einen Sin unter, der ihn aufhebt. Die eine Parthei hat die evangeliſche Geſchichte zu widerſinnigen actis sanc- torum, zu einer Wunder-Faktorei ohne Zwek und zu einer Götter-5 geſchichte hereingeſenkter unfaslicher deorum ex machina gemacht — die andere Parthei hat eben darum ſtat der falſchen Folgerungen die wahre Geſchichte geläugnet und gemishandelt. Sie haben die Theologie mit der Philoſophie wie ein Mitler vereinigt, indem Sie den Erlöſer blos zum Protomedikus unſerer ſiechen Seele, und ſein Inſtitut zum10 moraliſchen Clinicum und aus dem Gott-Menſchen einen Menſchen Gottes, aus der apoſtoliſchen Sendung einen höheren und weitern pythagoräiſchen Bund machen. Sie haben Himmel und Erde, die (nach den Aegyptern) anfangs ineinander lagen, ſchön auseinander geordnet und Jeſum zum — zweitenmale Menſch werden laſſen, troz15 des Edikts vom 9ten Jul. Und niemand geb’ ihm wieder die götliche Schminke, die alle ſeine edeln Züge bedekt. Über ſeinen Irthum ſind [231]Sie ſanft 〈S. 243〉 hinübergeeilt, der den nahen Fal Jeruſalems und der Erde dicht verknüpfte und der die Märtyrer und die Almoſen vermehrte und die baufälligen Tempel und chriſtlichen Geſchichts-20 bücher verminderte und der das 10te Jahrhundert erlebte; aber in Ihren Briefen an einen Theologen haben Sie dieſen Irthum bei jeder chriſtlichen Parthei entſchuldigt. Ganz neu — im Grunde alles — iſt das proscholium Johannis S. 53 etc. behandelt, und frappierend die Verſuchung; und himliſch iſt der Auszug von Chriſti Moralſyſtem.25 Blos über die Wunder hätte man, ſeiner eignen Belehrung wegen, einen dünnern pythag[oräiſchen] Vorhang und eine kleinere disciplina arcani gewünſcht.
Es giebt einen deutſchen Schriftſteller, den Sie meines Wiſſens kennen, welcher wie die Engel nach den Scholaſtikern vor einem30 Meere ſteht, das alle Völker nachſpiegelt, und der, indes wir Indi- viduen ſchonen und Völker mishandeln, beide erräth und beſchüzt und der ſtat jener Toleranz — deren Name ſelber eine Intoleranz iſt — etwas humaneres und höheres predigt und übt, den edlern Anthropo- morphismus eines jeden Menſchen, eines jeden Volks, eines jeden35 Säkulums. Wenigſtens der Name dieſes Autors ſolt’ Ihnen bekant ſein: er heiſſet — J. G. Herder.
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Punkt weniger in der Nacht als im Nebel, der den Tag blos verbirgt.
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geſchichte hereingeſenkter unfaslicher deorum ex machina gemacht —
die andere Parthei hat eben darum ſtat der falſchen Folgerungen die
wahre Geſchichte geläugnet und gemishandelt. Sie haben die Theologie
mit der Philoſophie wie ein Mitler vereinigt, indem Sie den Erlöſer
blos zum Protomedikus unſerer ſiechen Seele, und ſein Inſtitut zum 10
moraliſchen Clinicum und aus dem Gott-Menſchen einen Menſchen
Gottes, aus der apoſtoliſchen Sendung einen höheren und weitern
pythagoräiſchen Bund machen. Sie haben Himmel und Erde, die
(nach den Aegyptern) anfangs ineinander lagen, ſchön auseinander
geordnet und Jeſum zum — zweitenmale Menſch werden laſſen, troz 15
des Edikts vom 9ten Jul. Und niemand geb’ ihm wieder die götliche
Schminke, die alle ſeine edeln Züge bedekt. Über ſeinen Irthum ſind
Sie ſanft 〈S. 243〉 hinübergeeilt, der den nahen Fal Jeruſalems und
der Erde dicht verknüpfte und der die Märtyrer und die Almoſen
vermehrte und die baufälligen Tempel und chriſtlichen Geſchichts- 20
bücher verminderte und der das 10te Jahrhundert erlebte; aber in
Ihren Briefen an einen Theologen haben Sie dieſen Irthum bei jeder
chriſtlichen Parthei entſchuldigt. Ganz neu — im Grunde alles — iſt
das proscholium Johannis S. 53 etc. behandelt, und frappierend die
Verſuchung; und himliſch iſt der Auszug von Chriſti Moralſyſtem. 25
Blos über die Wunder hätte man, ſeiner eignen Belehrung wegen,
einen dünnern pythag[oräiſchen] Vorhang und eine kleinere disciplina
arcani gewünſcht.
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Es giebt einen deutſchen Schriftſteller, den Sie meines Wiſſens
kennen, welcher wie die Engel nach den Scholaſtikern vor einem 30
Meere ſteht, das alle Völker nachſpiegelt, und der, indes wir Indi-
viduen ſchonen und Völker mishandeln, beide erräth und beſchüzt und
der ſtat jener Toleranz — deren Name ſelber eine Intoleranz iſt —
etwas humaneres und höheres predigt und übt, den edlern Anthropo-
morphismus eines jeden Menſchen, eines jeden Volks, eines jeden 35
Säkulums. Wenigſtens der Name dieſes Autors ſolt’ Ihnen bekant
ſein: er heiſſet — J. G. Herder.
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/246>, abgerufen am 24.11.2024.
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