zujagen sondern um hineinzuwinken. Möge das Schiksal Ihnen nichts geben als was Sie mir gaben -- Freude.
366. An Knebel in Weimar.
Hof im Voigtland d. 3 Aug. 1796.
Mir ist immer, lieber Lukrez, als müst' ich nach Weimar, um von5 Ihnen Abschied zu nehmen, wiewohl ich das vorige mal schon auf dem Wege zu Ihnen war und nur wegen meiner gewöhnlichen Ver- irrung und der 11ten Stunde umkehrte. -- Ihre Elegien erhielt ich die vorige Nacht richtig und gut kondizioniert; als ich aber aufwachte, erschrak ich sehr, weil Träume allemal das Gegentheil bedeuten.10 Jezt indes braucht man einen Tyrtäus mehr als einen Properz. Die Oesterreicher haben sich in lauter schnelfüssige Achilles verwandelt, wie ungefähr der behaarte Miniatür-Wiener in Ihrer Stube ist. Die comedie larmoyante dieses Krieges gleicht den Puppenspielen, worin kurz vor dem Fal des Vorhangs sich die Marionetten am15 meisten prügeln: nur daß Schläge die Puppen nicht bessern, aber die Menschen und die Directeurs der erstern; die Menschheit und die Braunschweigische Mumme werden unterweges einigemal sauer, aber am Ziele kommen beide doch unverdorben an....
"Unverderbt" sagt Adelung, der lieber Härten als Anomalien wil.20 Bei Ihnen wär' es beides, wenn Sie mir nicht eine Stunde nach diesem Briefe, einen schrieben und schikten. Leben Sie wohl, in Ihrer schönen Favorita, unter den Musen und Blumen und denken Sie meiner!
Jean Paul Fr. Richter25
367. An Friedr. Hildebr. von Einsiedel in Weimar.[226]
[Kopie][Hof, 3. Aug. 1796]
Einen Brief -- eine Abhandlung -- den Verfasser von beiden und den R[eichs]Frieden .. diese 4 Dinge wünsch' ich schon lange zu sehen und sehe sie nicht. Sie und den Frieden halten zwar die Feinde auf;30 aber eine Abhandlung braucht keinen Pas sondern ist selbst einer. [Ich] sehne mich nach einem Wort, das mir die Tage meines prairiale, meines Flurenmonats palingenesiert. Ihr Kammerhernschlüssel ist kein Löseschlüssel Ihres Schweigens und Aussenbleibens -- aber der Krieg, der um Ihre Gränze schleicht, so wie er über unsre zieht. Aus35
15*
zujagen ſondern um hineinzuwinken. Möge das Schikſal Ihnen nichts geben als was Sie mir gaben — Freude.
366. An Knebel in Weimar.
Hof im Voigtland d. 3 Aug. 1796.
Mir iſt immer, lieber Lukrez, als müſt’ ich nach Weimar, um von5 Ihnen Abſchied zu nehmen, wiewohl ich das vorige mal ſchon auf dem Wege zu Ihnen war und nur wegen meiner gewöhnlichen Ver- irrung und der 11ten Stunde umkehrte. — Ihre Elegien erhielt ich die vorige Nacht richtig und gut kondizioniert; als ich aber aufwachte, erſchrak ich ſehr, weil Träume allemal das Gegentheil bedeuten.10 Jezt indes braucht man einen Tyrtäus mehr als einen Properz. Die Oeſterreicher haben ſich in lauter ſchnelfüſſige Achilles verwandelt, wie ungefähr der behaarte Miniatür-Wiener in Ihrer Stube iſt. Die comédie larmoyante dieſes Krieges gleicht den Puppenſpielen, worin kurz vor dem Fal des Vorhangs ſich die Marionetten am15 meiſten prügeln: nur daß Schläge die Puppen nicht beſſern, aber die Menſchen und die Directeurs der erſtern; die Menſchheit und die Braunſchweigiſche Mumme werden unterweges einigemal ſauer, aber am Ziele kommen beide doch unverdorben an....
„Unverderbt“ ſagt Adelung, der lieber Härten als Anomalien wil.20 Bei Ihnen wär’ es beides, wenn Sie mir nicht eine Stunde nach dieſem Briefe, einen ſchrieben und ſchikten. Leben Sie wohl, in Ihrer ſchönen Favorita, unter den Muſen und Blumen und denken Sie meiner!
Jean Paul Fr. Richter25
367. An Friedr. Hildebr. von Einſiedel in Weimar.[226]
[Kopie][Hof, 3. Aug. 1796]
Einen Brief — eine Abhandlung — den Verfaſſer von beiden und den R[eichs]Frieden .. dieſe 4 Dinge wünſch’ ich ſchon lange zu ſehen und ſehe ſie nicht. Sie und den Frieden halten zwar die Feinde auf;30 aber eine Abhandlung braucht keinen Pas ſondern iſt ſelbſt einer. [Ich] ſehne mich nach einem Wort, das mir die Tage meines prairiale, meines Flurenmonats palingeneſiert. Ihr Kammerhernſchlüſſel iſt kein Löſeſchlüſſel Ihres Schweigens und Auſſenbleibens — aber der Krieg, der um Ihre Gränze ſchleicht, ſo wie er über unſre zieht. Aus35
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[227/0241]
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366. An Knebel in Weimar.
Hof im Voigtland d. 3 Aug. 1796.
Mir iſt immer, lieber Lukrez, als müſt’ ich nach Weimar, um von 5
Ihnen Abſchied zu nehmen, wiewohl ich das vorige mal ſchon auf
dem Wege zu Ihnen war und nur wegen meiner gewöhnlichen Ver-
irrung und der 11ten Stunde umkehrte. — Ihre Elegien erhielt ich
die vorige Nacht richtig und gut kondizioniert; als ich aber aufwachte,
erſchrak ich ſehr, weil Träume allemal das Gegentheil bedeuten. 10
Jezt indes braucht man einen Tyrtäus mehr als einen Properz. Die
Oeſterreicher haben ſich in lauter ſchnelfüſſige Achilles verwandelt, wie
ungefähr der behaarte Miniatür-Wiener in Ihrer Stube iſt. Die
comédie larmoyante dieſes Krieges gleicht den Puppenſpielen,
worin kurz vor dem Fal des Vorhangs ſich die Marionetten am 15
meiſten prügeln: nur daß Schläge die Puppen nicht beſſern, aber die
Menſchen und die Directeurs der erſtern; die Menſchheit und die
Braunſchweigiſche Mumme werden unterweges einigemal ſauer, aber
am Ziele kommen beide doch unverdorben an....
„Unverderbt“ ſagt Adelung, der lieber Härten als Anomalien wil. 20
Bei Ihnen wär’ es beides, wenn Sie mir nicht eine Stunde nach
dieſem Briefe, einen ſchrieben und ſchikten. Leben Sie wohl, in Ihrer
ſchönen Favorita, unter den Muſen und Blumen und denken Sie
meiner!
Jean Paul Fr. Richter 25
367. An Friedr. Hildebr. von Einſiedel in Weimar.
[Hof, 3. Aug. 1796]
Einen Brief — eine Abhandlung — den Verfaſſer von beiden und
den R[eichs]Frieden .. dieſe 4 Dinge wünſch’ ich ſchon lange zu ſehen
und ſehe ſie nicht. Sie und den Frieden halten zwar die Feinde auf; 30
aber eine Abhandlung braucht keinen Pas ſondern iſt ſelbſt einer. [Ich]
ſehne mich nach einem Wort, das mir die Tage meines prairiale,
meines Flurenmonats palingeneſiert. Ihr Kammerhernſchlüſſel iſt
kein Löſeſchlüſſel Ihres Schweigens und Auſſenbleibens — aber der
Krieg, der um Ihre Gränze ſchleicht, ſo wie er über unſre zieht. Aus 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/241>, abgerufen am 16.02.2025.
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