unendlich und hat sie, zumal die Ironie, mehr im Munde als den Ernst. Er fragte mich bei den meisten Stellen meiner Bücher, um die Veranlassung dazu: er gab mir ein erdrückendes Lob, das Sprechen von deinem Paul mag etwan, obwol in Intervallen, 5 Stunden den ganzen Abend gedauert haben. "Ich bekäme Sündenbezahlung, sagten alle,5 da der Meister und die Horen, zu 4, 5 Ldor den Bogen, abgehen." "Ich würde jezt in Deutschland am meisten gelesen; in Leipzig hätten alle Buchhändler Kommissionen auf mich." Wieland hat mich drei- mal gelesen, sie bedauerten alle, daß er aus dem Zirkel fehlte. Herder erzählte, daß der alte Gleim den ganzen Tag und die ganze Nacht10 fortgelesen. Er wil mich heute Briefe von Haman an sich lesen lassen. -- Er spricht von Kants System im höchsten Grade -- verächtlich. -- Von seinen eignen Werken sprach Herder mit einer solchen Gering- schäzung, die einem das Herz durchschnit, daß man kaum das Herz hatte, sie zu loben: er wil nicht einmal die "Ideen" fortsezen. "Das15 Beste ist, was ich ausstreiche" sagt er, weil er nämlich nicht frei schreiben darf, denn er denkt von der christlichen Religion was ich und du. -- Abends assen wir alle bei der Ostheim und tranken 2erlei Wein und Nigges (ein milderer Bischof) Sie sind alle die eifrigsten Republikaner. Denke dir den unter Wein, Ernst, Spot, Wiz und20 Laune verschwelgten Abend und die Vormitternacht; ich machte so viel Satiren auf die Fürsten wie bei Herold, kurz ich war so lustig wie bei euch. Heute isset die ganze XXger Union bei Herder. Die Fran- zosen schicken einen Theil der italienischen Armee an den Rhein und bedecken so mit vier freundschaftlichen Flügeln von Armeen die25 österr[eichische] Straussenbrut. -- Beim Himmel! jezt hab' ich Muth -- ich getraue mir, mit dem 44ten Hern zu sprechen und noch mehr mit dem Bürgermeister Oertel, Köhler und deren Sipschaft. -- Ich habe dir noch nicht 1/3 erzählt. -- Aber ein bitterster Tropfen [207]schwimt in meinem Heidelberger Freudenbecher: was Jean Paul30 gewan, das verliert die Menschheit in seinen Augen: ach meine Ideale von grösseren Menschen! -- Ich wil dirs schon erklären. -- Aber alle meine Bekantschaften thun beinahe nichts als den Werth meines geliebten Bruders O. vergrössern, und bleib' ich ewig der deine35
Richter
unendlich und hat ſie, zumal die Ironie, mehr im Munde als den Ernſt. Er fragte mich bei den meiſten Stellen meiner Bücher, um die Veranlaſſung dazu: er gab mir ein erdrückendes Lob, das Sprechen von deinem Paul mag etwan, obwol in Intervallen, 5 Stunden den ganzen Abend gedauert haben. „Ich bekäme Sündenbezahlung, ſagten alle,5 da der Meiſter und die Horen, zu 4, 5 Ldor den Bogen, abgehen.“ „Ich würde jezt in Deutſchland am meiſten geleſen; in Leipzig hätten alle Buchhändler Kommiſſionen auf mich.“ Wieland hat mich drei- mal geleſen, ſie bedauerten alle, daß er aus dem Zirkel fehlte. Herder erzählte, daß der alte Gleim den ganzen Tag und die ganze Nacht10 fortgeleſen. Er wil mich heute Briefe von Haman an ſich leſen laſſen. — Er ſpricht von Kants Syſtem im höchſten Grade — verächtlich. — Von ſeinen eignen Werken ſprach Herder mit einer ſolchen Gering- ſchäzung, die einem das Herz durchſchnit, daß man kaum das Herz hatte, ſie zu loben: er wil nicht einmal die „Ideen“ fortſezen. „Das15 Beſte iſt, was ich ausſtreiche“ ſagt er, weil er nämlich nicht frei ſchreiben darf, denn er denkt von der chriſtlichen Religion was ich und du. — Abends aſſen wir alle bei der Oſtheim und tranken 2erlei Wein und Nigges (ein milderer Biſchof) Sie ſind alle die eifrigſten Republikaner. Denke dir den unter Wein, Ernſt, Spot, Wiz und20 Laune verſchwelgten Abend und die Vormitternacht; ich machte ſo viel Satiren auf die Fürſten wie bei Herold, kurz ich war ſo luſtig wie bei euch. Heute iſſet die ganze XXger Union bei Herder. Die Fran- zoſen ſchicken einen Theil der italieniſchen Armee an den Rhein und bedecken ſo mit vier freundſchaftlichen Flügeln von Armeen die25 öſterr[eichiſche] Strauſſenbrut. — Beim Himmel! jezt hab’ ich Muth — ich getraue mir, mit dem 44ten Hern zu ſprechen und noch mehr mit dem Bürgermeiſter Oertel, Köhler und deren Sipſchaft. — Ich habe dir noch nicht ⅓ erzählt. — Aber ein bitterſter Tropfen [207]ſchwimt in meinem Heidelberger Freudenbecher: was Jean Paul30 gewan, das verliert die Menſchheit in ſeinen Augen: ach meine Ideale von gröſſeren Menſchen! — Ich wil dirs ſchon erklären. — Aber alle meine Bekantſchaften thun beinahe nichts als den Werth meines geliebten Bruders O. vergröſſern, und bleib’ ich ewig der deine35
Richter
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unendlich und hat ſie, zumal die Ironie, mehr im Munde als den
Ernſt. Er fragte mich bei den meiſten Stellen meiner Bücher, um die
Veranlaſſung dazu: er gab mir ein erdrückendes Lob, das Sprechen von
deinem Paul mag etwan, obwol in Intervallen, 5 Stunden den ganzen
Abend gedauert haben. „Ich bekäme Sündenbezahlung, ſagten alle, 5
da der Meiſter und die Horen, zu 4, 5 Ldor den Bogen, abgehen.“
„Ich würde jezt in Deutſchland am meiſten geleſen; in Leipzig hätten
alle Buchhändler Kommiſſionen auf mich.“ Wieland hat mich drei-
mal geleſen, ſie bedauerten alle, daß er aus dem Zirkel fehlte. Herder
erzählte, daß der alte Gleim den ganzen Tag und die ganze Nacht 10
fortgeleſen. Er wil mich heute Briefe von Haman an ſich leſen laſſen. —
Er ſpricht von Kants Syſtem im höchſten Grade — verächtlich. —
Von ſeinen eignen Werken ſprach Herder mit einer ſolchen Gering-
ſchäzung, die einem das Herz durchſchnit, daß man kaum das Herz
hatte, ſie zu loben: er wil nicht einmal die „Ideen“ fortſezen. „Das 15
Beſte iſt, was ich ausſtreiche“ ſagt er, weil er nämlich nicht frei
ſchreiben darf, denn er denkt von der chriſtlichen Religion was ich und
du. — Abends aſſen wir alle bei der Oſtheim und tranken 2erlei
Wein und Nigges (ein milderer Biſchof) Sie ſind alle die eifrigſten
Republikaner. Denke dir den unter Wein, Ernſt, Spot, Wiz und 20
Laune verſchwelgten Abend und die Vormitternacht; ich machte ſo
viel Satiren auf die Fürſten wie bei Herold, kurz ich war ſo luſtig wie
bei euch. Heute iſſet die ganze XXger Union bei Herder. Die Fran-
zoſen ſchicken einen Theil der italieniſchen Armee an den Rhein und
bedecken ſo mit vier freundſchaftlichen Flügeln von Armeen die 25
öſterr[eichiſche] Strauſſenbrut. — Beim Himmel! jezt hab’ ich
Muth — ich getraue mir, mit dem 44ten Hern zu ſprechen und noch
mehr mit dem Bürgermeiſter Oertel, Köhler und deren Sipſchaft. —
Ich habe dir noch nicht ⅓ erzählt. — Aber ein bitterſter Tropfen
ſchwimt in meinem Heidelberger Freudenbecher: was Jean Paul 30
gewan, das verliert die Menſchheit in ſeinen Augen: ach meine
Ideale von gröſſeren Menſchen! — Ich wil dirs ſchon erklären. —
Aber alle meine Bekantſchaften thun beinahe nichts als den Werth
meines geliebten Bruders O. vergröſſern, und bleib’ ich ewig der
deine 35
[207]Richter
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/221>, abgerufen am 21.11.2024.
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