Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

gesicht, sondern mit einem schön zerflossenen Wiederschein derselben --
mit der holden Stimme, womit nur das Herz spricht und das zweite
bezwingt -- mit dem Anstand und Ton, den nur die Welt giebt, und
mit der überraschenden Naivete, die nur die schönste Seele verleiht --
und mit allem, was wir nie vergessen werden? -- Wie war dir5
Freund, zu Muthe, wiewol du schon mehrere schöne und geistreiche
Weiber gesehen? -- Recht elend war dir zu Muthe -- du vergassest
über das Ansehen das Anreden -- und du mustest dich von einer
Stunde zur andern zwingen, damit du nicht stum warest, anstat blind.
Du kontest dich in die schöne Zusammensezung aus so widersprechenden10
Tugenden, aus Häuslichkeit und Weltton, aus ungewöhnlicher Offen-
herzigkeit und edlem Selbstbewustsein, aus Schalkhaftigkeit und
Gutmüthigkeit nicht recht finden. -- Sie wird dir viel zu vergeben
haben -- sogar deinen Enthusiasmus und deine Offenherzigkeit wird
sie unter deine Schwachheitssünden rechnen; aber ich wil sie bitten,15
dich für einen Dichter zu halten, der mit seinem Geflatter so viele
Stöhrung macht wie eine in ein Puz-Zimmer verschlagene Schwalbe.
-- Indes hast du 2 Frühlinge auf einmal; und gerade Pfingsttage wie
sie dein Hesperus träumt. Ach da aus ihrem vollen Herzen ihre volle
Stimme in den melodischen Strom ihrer Saiten flos: wie gern hätt'20
ich da mein Herz in einen einzigen Ton aufgelöset, damit es als eine[189]
Luftwelle in ihre Laute ränne und mit diesen ausbebte. -- Ich bin

Dein
A.

Dein Traum, Ahlefeld, ist keiner -- ich habe sie gesehen und was25
ich dir in den Mund gelegt, ist blosse Wahrheit aus dem meinigen.
Ich war gestern von 3 Uhr bis abends um 11 Uhr in ihrem Zauber-
kreise festgehalten: und jezt wenn ich die Beschreibung meines Glüks
geendigt habe, so geh' ich der Fortsezung desselben wieder entgegen. --
Ich könt' ihr gehorchen wie ein zahmer Kanarienvogel: ich wil ihr30
meine tollen Büchertitel aufopfern -- und heute wil ich sie bitten,
meine Oberhofmeisterin in ihrem nächsten Briefe zu werden und mir
wenigstens ein kleines Sündenregister zu senden. Ich habe blos so viel
Einsicht in die weibliche Natur, daß ich eine Dame von solchem Werthe
verehren und loben kan, aber bei weitem nicht so viel, daß ich sie er-35
rathen könte. Die weiblichen Karaktere sind gewöhnlich mit so vielen

geſicht, ſondern mit einem ſchön zerfloſſenen Wiederſchein derſelben —
mit der holden Stimme, womit nur das Herz ſpricht und das zweite
bezwingt — mit dem Anſtand und Ton, den nur die Welt giebt, und
mit der überraſchenden Naiveté, die nur die ſchönſte Seele verleiht —
und mit allem, was wir nie vergeſſen werden? — Wie war dir5
Freund, zu Muthe, wiewol du ſchon mehrere ſchöne und geiſtreiche
Weiber geſehen? — Recht elend war dir zu Muthe — du vergaſſeſt
über das Anſehen das Anreden — und du muſteſt dich von einer
Stunde zur andern zwingen, damit du nicht ſtum wareſt, anſtat blind.
Du konteſt dich in die ſchöne Zuſammenſezung aus ſo widerſprechenden10
Tugenden, aus Häuslichkeit und Weltton, aus ungewöhnlicher Offen-
herzigkeit und edlem Selbſtbewuſtſein, aus Schalkhaftigkeit und
Gutmüthigkeit nicht recht finden. — Sie wird dir viel zu vergeben
haben — ſogar deinen Enthuſiaſmus und deine Offenherzigkeit wird
ſie unter deine Schwachheitsſünden rechnen; aber ich wil ſie bitten,15
dich für einen Dichter zu halten, der mit ſeinem Geflatter ſo viele
Stöhrung macht wie eine in ein Puz-Zimmer verſchlagene Schwalbe.
— Indes haſt du 2 Frühlinge auf einmal; und gerade Pfingſttage wie
ſie dein Hesperus träumt. Ach da aus ihrem vollen Herzen ihre volle
Stimme in den melodiſchen Strom ihrer Saiten flos: wie gern hätt’20
ich da mein Herz in einen einzigen Ton aufgelöſet, damit es als eine[189]
Luftwelle in ihre Laute ränne und mit dieſen ausbebte. — Ich bin

Dein
A.

Dein Traum, Ahlefeld, iſt keiner — ich habe ſie geſehen und was25
ich dir in den Mund gelegt, iſt bloſſe Wahrheit aus dem meinigen.
Ich war geſtern von 3 Uhr bis abends um 11 Uhr in ihrem Zauber-
kreiſe feſtgehalten: und jezt wenn ich die Beſchreibung meines Glüks
geendigt habe, ſo geh’ ich der Fortſezung deſſelben wieder entgegen. —
Ich könt’ ihr gehorchen wie ein zahmer Kanarienvogel: ich wil ihr30
meine tollen Büchertitel aufopfern — und heute wil ich ſie bitten,
meine Oberhofmeiſterin in ihrem nächſten Briefe zu werden und mir
wenigſtens ein kleines Sündenregiſter zu ſenden. Ich habe blos ſo viel
Einſicht in die weibliche Natur, daß ich eine Dame von ſolchem Werthe
verehren und loben kan, aber bei weitem nicht ſo viel, daß ich ſie er-35
rathen könte. Die weiblichen Karaktere ſind gewöhnlich mit ſo vielen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="191"/>
ge&#x017F;icht, &#x017F;ondern mit einem &#x017F;chön zerflo&#x017F;&#x017F;enen Wieder&#x017F;chein der&#x017F;elben &#x2014;<lb/>
mit der holden Stimme, womit nur das Herz &#x017F;pricht und das zweite<lb/>
bezwingt &#x2014; mit dem An&#x017F;tand und Ton, den nur die Welt giebt, und<lb/>
mit der überra&#x017F;chenden Naivet<hi rendition="#aq">é</hi>, die nur die &#x017F;chön&#x017F;te Seele verleiht &#x2014;<lb/>
und mit allem, was wir nie verge&#x017F;&#x017F;en werden? &#x2014; Wie war dir<lb n="5"/>
Freund, zu Muthe, wiewol du &#x017F;chon mehrere &#x017F;chöne und gei&#x017F;treiche<lb/>
Weiber ge&#x017F;ehen? &#x2014; Recht elend war dir zu Muthe &#x2014; du verga&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t<lb/>
über das An&#x017F;ehen das Anreden &#x2014; und du mu&#x017F;te&#x017F;t dich von einer<lb/>
Stunde zur andern zwingen, damit du nicht &#x017F;tum ware&#x017F;t, an&#x017F;tat blind.<lb/>
Du konte&#x017F;t dich in die &#x017F;chöne Zu&#x017F;ammen&#x017F;ezung aus &#x017F;o wider&#x017F;prechenden<lb n="10"/>
Tugenden, aus Häuslichkeit und Weltton, aus ungewöhnlicher Offen-<lb/>
herzigkeit und edlem Selb&#x017F;tbewu&#x017F;t&#x017F;ein, aus Schalkhaftigkeit und<lb/>
Gutmüthigkeit nicht recht finden. &#x2014; Sie wird dir viel zu vergeben<lb/>
haben &#x2014; &#x017F;ogar deinen Enthu&#x017F;ia&#x017F;mus und deine Offenherzigkeit wird<lb/>
&#x017F;ie unter deine Schwachheits&#x017F;ünden rechnen; aber ich wil &#x017F;ie bitten,<lb n="15"/>
dich für einen Dichter zu halten, der mit &#x017F;einem Geflatter &#x017F;o viele<lb/>
Stöhrung macht wie eine in ein Puz-Zimmer ver&#x017F;chlagene Schwalbe.<lb/>
&#x2014; Indes ha&#x017F;t du 2 Frühlinge auf einmal; und gerade Pfing&#x017F;ttage wie<lb/>
&#x017F;ie dein <hi rendition="#aq">Hesperus</hi> träumt. Ach da aus ihrem vollen Herzen ihre volle<lb/>
Stimme in den melodi&#x017F;chen Strom ihrer Saiten flos: wie gern hätt&#x2019;<lb n="20"/>
ich da mein Herz in einen einzigen Ton aufgelö&#x017F;et, damit es als eine<note place="right"><ref target="1922_Bd2_189">[189]</ref></note><lb/>
Luftwelle in ihre Laute ränne und mit die&#x017F;en ausbebte. &#x2014; Ich bin</p><lb/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#right">Dein<lb/>
A.</hi> </salute>
          </closer><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <p>Dein Traum, Ahlefeld, i&#x017F;t keiner &#x2014; ich habe &#x017F;ie ge&#x017F;ehen und was<lb n="25"/>
ich dir in den Mund gelegt, i&#x017F;t blo&#x017F;&#x017F;e Wahrheit aus dem meinigen.<lb/>
Ich war ge&#x017F;tern von 3 Uhr bis abends um 11 Uhr in ihrem Zauber-<lb/>
krei&#x017F;e fe&#x017F;tgehalten: und jezt wenn ich die Be&#x017F;chreibung meines Glüks<lb/>
geendigt habe, &#x017F;o geh&#x2019; ich der Fort&#x017F;ezung de&#x017F;&#x017F;elben wieder entgegen. &#x2014;<lb/>
Ich könt&#x2019; ihr gehorchen wie ein zahmer Kanarienvogel: ich wil ihr<lb n="30"/>
meine tollen Büchertitel aufopfern &#x2014; und heute wil ich &#x017F;ie bitten,<lb/>
meine Oberhofmei&#x017F;terin in ihrem näch&#x017F;ten Briefe zu werden und mir<lb/>
wenig&#x017F;tens ein kleines Sündenregi&#x017F;ter zu &#x017F;enden. Ich habe blos &#x017F;o viel<lb/>
Ein&#x017F;icht in die weibliche Natur, daß ich eine Dame von &#x017F;olchem Werthe<lb/>
verehren und loben kan, aber bei weitem nicht &#x017F;o viel, daß ich &#x017F;ie er-<lb n="35"/>
rathen könte. Die weiblichen Karaktere &#x017F;ind gewöhnlich mit &#x017F;o vielen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[191/0204] geſicht, ſondern mit einem ſchön zerfloſſenen Wiederſchein derſelben — mit der holden Stimme, womit nur das Herz ſpricht und das zweite bezwingt — mit dem Anſtand und Ton, den nur die Welt giebt, und mit der überraſchenden Naiveté, die nur die ſchönſte Seele verleiht — und mit allem, was wir nie vergeſſen werden? — Wie war dir 5 Freund, zu Muthe, wiewol du ſchon mehrere ſchöne und geiſtreiche Weiber geſehen? — Recht elend war dir zu Muthe — du vergaſſeſt über das Anſehen das Anreden — und du muſteſt dich von einer Stunde zur andern zwingen, damit du nicht ſtum wareſt, anſtat blind. Du konteſt dich in die ſchöne Zuſammenſezung aus ſo widerſprechenden 10 Tugenden, aus Häuslichkeit und Weltton, aus ungewöhnlicher Offen- herzigkeit und edlem Selbſtbewuſtſein, aus Schalkhaftigkeit und Gutmüthigkeit nicht recht finden. — Sie wird dir viel zu vergeben haben — ſogar deinen Enthuſiaſmus und deine Offenherzigkeit wird ſie unter deine Schwachheitsſünden rechnen; aber ich wil ſie bitten, 15 dich für einen Dichter zu halten, der mit ſeinem Geflatter ſo viele Stöhrung macht wie eine in ein Puz-Zimmer verſchlagene Schwalbe. — Indes haſt du 2 Frühlinge auf einmal; und gerade Pfingſttage wie ſie dein Hesperus träumt. Ach da aus ihrem vollen Herzen ihre volle Stimme in den melodiſchen Strom ihrer Saiten flos: wie gern hätt’ 20 ich da mein Herz in einen einzigen Ton aufgelöſet, damit es als eine Luftwelle in ihre Laute ränne und mit dieſen ausbebte. — Ich bin [189] Dein A. Dein Traum, Ahlefeld, iſt keiner — ich habe ſie geſehen und was 25 ich dir in den Mund gelegt, iſt bloſſe Wahrheit aus dem meinigen. Ich war geſtern von 3 Uhr bis abends um 11 Uhr in ihrem Zauber- kreiſe feſtgehalten: und jezt wenn ich die Beſchreibung meines Glüks geendigt habe, ſo geh’ ich der Fortſezung deſſelben wieder entgegen. — Ich könt’ ihr gehorchen wie ein zahmer Kanarienvogel: ich wil ihr 30 meine tollen Büchertitel aufopfern — und heute wil ich ſie bitten, meine Oberhofmeiſterin in ihrem nächſten Briefe zu werden und mir wenigſtens ein kleines Sündenregiſter zu ſenden. Ich habe blos ſo viel Einſicht in die weibliche Natur, daß ich eine Dame von ſolchem Werthe verehren und loben kan, aber bei weitem nicht ſo viel, daß ich ſie er- 35 rathen könte. Die weiblichen Karaktere ſind gewöhnlich mit ſo vielen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/204
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/204>, abgerufen am 24.11.2024.