als dicke Wolken über ihre unschuldige Seele ziehen. Sie steht un- glüklich und gelähmt zwischen dem Wunsche zu helfen und zwischen der Unmöglichkeit. Sie steht, von der Nothwendigkeit und Tugend zugleich gebunden, auf einer steilen Insel, du stürzest dich vom Lande ins Meer und schwimst ihr entgegen -- und sinkst -- und breitest die Arme aus5 und rufst: reiche mir deine Hand, deinetwegen hab' ich mich herein- gestürzt, -- ich wil zu dir. -- Und die Gequälte kan dir keine herunter reichen und sie mus erstart und weinend deinen Krämpfen der Marter, deinen Thränen, deinem Arbeiten und deinem Sinken zusehen. O ich wil lieber versinken als versinken sehen -- du hast doch10 noch das Gefühl, Leiden zu ertragen, sie hat das bittere, sie zu veran- lassen, ohne etwas dafür zu können. Sie kan nichts ändern, du alles. Sieh Ahlefeld, wenn du leichenblas dalägst, und dich könte nichts mehr retten als ein Tropfen warmes Blut, das aus ihrem Herzen geprest würde -- o du stürbest lieber. -- Und jezt zieht doch jeder deiner Briefe15 schneidend ihr unschuldiges Blut aus ihrem müden Herzen -- und es heilt dich nicht. Du bist grausam aus Liebe und lässest auf dem Opfer- altar die -- Göttin selber bluten. "Was sol ich denn thun" (wirst du mich fragen), "ausser sterben oder hoffen?" Lieben, ohne zu wünschen! Kanst du mehr Liebe von ihr begehren als sie der besten Freundin, dem20 besten Freunde gäbe? -- Ach das ist eben das Unglük der Menschen, daß sie einen solchen Unterschied zwischen Liebe und Freundschaft machen, als könte man je etwas anderes oder höheres oder schöneres als die Seele lieben. Sieh, sie hat dir ihre höchste Freundschaft gegeben: sei stolz, aber auch zufrieden. Ach, vergilt ihr die grosse Gabe mit dem25 Geschenk der -- Ruhe. O wie wird sie dich lieben, wenn sie zu dir sagen[183] mus: "du bist mein wärmster Freund, denn ich bin glüklich, wenn ich dich lese, wenn ich dich sehe, wenn ich dich denke." Aber jezt ist sie's nicht. Sage dir doch, wo es hinaus wil -- nichts steht vor dir als eine lange Reihe Jahre vol Blut; ihre Gesinnung ist keiner Aenderung30 fähig -- ja an jeder Aenderung müste eben deine Liebe sterben. -- O sei zufrieden, daß du glüklicher als tausend andere bist, vor deren dürstende Seele nicht einmal ein verkörpertes Ideal ihrer Liebe trit -- du hast doch die Opferflamme und die Gotheit zugleich; andere haben nur jene und nicht diese: sei zufrieden, daß du lieben kanst. Glaube mir, es liebt35 sich nirgends schöner als in dem -- Herzen, in der Unsichtbarkeit -- liebe sie wie die Tugend, die keinen Körper annimt. Der erste Kus (sagt
als dicke Wolken über ihre unſchuldige Seele ziehen. Sie ſteht un- glüklich und gelähmt zwiſchen dem Wunſche zu helfen und zwiſchen der Unmöglichkeit. Sie ſteht, von der Nothwendigkeit und Tugend zugleich gebunden, auf einer ſteilen Inſel, du ſtürzeſt dich vom Lande ins Meer und ſchwimſt ihr entgegen — und ſinkſt — und breiteſt die Arme aus5 und rufſt: reiche mir deine Hand, deinetwegen hab’ ich mich herein- geſtürzt, — ich wil zu dir. — Und die Gequälte kan dir keine herunter reichen und ſie mus erſtart und weinend deinen Krämpfen der Marter, deinen Thränen, deinem Arbeiten und deinem Sinken zuſehen. O ich wil lieber verſinken als verſinken ſehen — du haſt doch10 noch das Gefühl, Leiden zu ertragen, ſie hat das bittere, ſie zu veran- laſſen, ohne etwas dafür zu können. Sie kan nichts ändern, du alles. Sieh Ahlefeld, wenn du leichenblas dalägſt, und dich könte nichts mehr retten als ein Tropfen warmes Blut, das aus ihrem Herzen gepreſt würde — o du ſtürbeſt lieber. — Und jezt zieht doch jeder deiner Briefe15 ſchneidend ihr unſchuldiges Blut aus ihrem müden Herzen — und es heilt dich nicht. Du biſt grauſam aus Liebe und läſſeſt auf dem Opfer- altar die — Göttin ſelber bluten. „Was ſol ich denn thun“ (wirſt du mich fragen), „auſſer ſterben oder hoffen?“ Lieben, ohne zu wünſchen! Kanſt du mehr Liebe von ihr begehren als ſie der beſten Freundin, dem20 beſten Freunde gäbe? — Ach das iſt eben das Unglük der Menſchen, daß ſie einen ſolchen Unterſchied zwiſchen Liebe und Freundſchaft machen, als könte man je etwas anderes oder höheres oder ſchöneres als die Seele lieben. Sieh, ſie hat dir ihre höchſte Freundſchaft gegeben: ſei ſtolz, aber auch zufrieden. Ach, vergilt ihr die groſſe Gabe mit dem25 Geſchenk der — Ruhe. O wie wird ſie dich lieben, wenn ſie zu dir ſagen[183] mus: „du biſt mein wärmſter Freund, denn ich bin glüklich, wenn ich dich leſe, wenn ich dich ſehe, wenn ich dich denke.“ Aber jezt iſt ſie’s nicht. Sage dir doch, wo es hinaus wil — nichts ſteht vor dir als eine lange Reihe Jahre vol Blut; ihre Geſinnung iſt keiner Aenderung30 fähig — ja an jeder Aenderung müſte eben deine Liebe ſterben. — O ſei zufrieden, daß du glüklicher als tauſend andere biſt, vor deren dürſtende Seele nicht einmal ein verkörpertes Ideal ihrer Liebe trit — du haſt doch die Opferflamme und die Gotheit zugleich; andere haben nur jene und nicht dieſe: ſei zufrieden, daß du lieben kanſt. Glaube mir, es liebt35 ſich nirgends ſchöner als in dem — Herzen, in der Unſichtbarkeit — liebe ſie wie die Tugend, die keinen Körper annimt. Der erſte Kus (ſagt
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als dicke Wolken über ihre unſchuldige Seele ziehen. Sie ſteht un-
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Unmöglichkeit. Sie ſteht, von der Nothwendigkeit und Tugend zugleich
gebunden, auf einer ſteilen Inſel, du ſtürzeſt dich vom Lande ins Meer
und ſchwimſt ihr entgegen — und ſinkſt — und breiteſt die Arme aus 5
und rufſt: reiche mir deine Hand, deinetwegen hab’ ich mich herein-
geſtürzt, — ich wil zu dir. — Und die Gequälte kan dir keine
herunter reichen und ſie mus erſtart und weinend deinen Krämpfen
der Marter, deinen Thränen, deinem Arbeiten und deinem Sinken
zuſehen. O ich wil lieber verſinken als verſinken ſehen — du haſt doch 10
noch das Gefühl, Leiden zu ertragen, ſie hat das bittere, ſie zu veran-
laſſen, ohne etwas dafür zu können. Sie kan nichts ändern, du alles.
Sieh Ahlefeld, wenn du leichenblas dalägſt, und dich könte nichts mehr
retten als ein Tropfen warmes Blut, das aus ihrem Herzen gepreſt
würde — o du ſtürbeſt lieber. — Und jezt zieht doch jeder deiner Briefe 15
ſchneidend ihr unſchuldiges Blut aus ihrem müden Herzen — und es
heilt dich nicht. Du biſt grauſam aus Liebe und läſſeſt auf dem Opfer-
altar die — Göttin ſelber bluten. „Was ſol ich denn thun“ (wirſt du
mich fragen), „auſſer ſterben oder hoffen?“ Lieben, ohne zu wünſchen!
Kanſt du mehr Liebe von ihr begehren als ſie der beſten Freundin, dem 20
beſten Freunde gäbe? — Ach das iſt eben das Unglük der Menſchen,
daß ſie einen ſolchen Unterſchied zwiſchen Liebe und Freundſchaft
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die Seele lieben. Sieh, ſie hat dir ihre höchſte Freundſchaft gegeben:
ſei ſtolz, aber auch zufrieden. Ach, vergilt ihr die groſſe Gabe mit dem 25
Geſchenk der — Ruhe. O wie wird ſie dich lieben, wenn ſie zu dir ſagen
mus: „du biſt mein wärmſter Freund, denn ich bin glüklich, wenn ich
dich leſe, wenn ich dich ſehe, wenn ich dich denke.“ Aber jezt iſt ſie’s
nicht. Sage dir doch, wo es hinaus wil — nichts ſteht vor dir als eine
lange Reihe Jahre vol Blut; ihre Geſinnung iſt keiner Aenderung 30
fähig — ja an jeder Aenderung müſte eben deine Liebe ſterben. — O ſei
zufrieden, daß du glüklicher als tauſend andere biſt, vor deren dürſtende
Seele nicht einmal ein verkörpertes Ideal ihrer Liebe trit — du haſt
doch die Opferflamme und die Gotheit zugleich; andere haben nur jene
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ſich nirgends ſchöner als in dem — Herzen, in der Unſichtbarkeit —
liebe ſie wie die Tugend, die keinen Körper annimt. Der erſte Kus (ſagt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/198>, abgerufen am 21.11.2024.
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