und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr Geschik schweig' ich -- das Bild Ihres Verfolgers erschüttert meine Menschenliebe -- Sie haben nur einen Trost, aber den grösten: daß, da jeder bei seinen Krankheiten, bei Verfolgungen etc. zu sich sagen mus: "ich bin wenigstens nicht ganz unschuldig an meinen Leiden", daß Sie5 hingegen sagen können: "für diese unsäglichen kan ich nichts, gar nichts.") Halten Sie sich fest, Theuerer, auf diesem scharfen rauhen hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben einen solchen Schmerz und nur einmal einen solchen Anlas, den Ewigen anzubeten ohne ihn zu sehen. ("Glaub' an mich -- sagt eine10 heilige Stimme in Ihrem Innern -- glaub' an mich hinter meinem Gewölke -- dein Auge vergiesse immer seine Thränen, aber es erhebe sich auch zu mir -- ich prüfe dich nicht mehr so, Geliebter.")
Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Geschenk, mit dessen Wahl -- sogar bis auf die äussere Seite -- Sie mir den Antheil an Ihrem15 Schiksal zu versüssen suchten, einen längern Dank zu bringen; es hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige und in eine freudige. -- Ich schicke Ihnen hier stat der Bücher, die ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern[132]20 Menschen entblössen wird, die ich vor andern verhülle.
Da ich in diesem Jahre Ihnen zum leztenmale schreibe: so ist mir jezt als gäb' ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und sagte: "komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund dieses "Jahrs! -- noch eine schwarze Wolke hast du zu durchwaten, und sie25 "wird in der Nähe nichts als einige Thränen dieses Lebensschlafes "mehr sein; -- dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich "eine schönere Aussicht und ein hellerer Himmel empfangen wird!"
Ihr ewiger Freund Richter30
207. An Christian Otto.
[Hof, 25. Dez. 1795]
Ich ziehe um 11 Uhr in diesem elenden Wetter und im besten Anzug heute zum Köhler auf die Es-Parade. Denn mehr als Messer und Gabel präsentieren kan ich doch nicht. Die Kleine ist ja zu einem35 Miniatür-Bräutlein umgemalt.
und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr Geſchik ſchweig’ ich — das Bild Ihres Verfolgers erſchüttert meine Menſchenliebe — Sie haben nur einen Troſt, aber den gröſten: daß, da jeder bei ſeinen Krankheiten, bei Verfolgungen ꝛc. zu ſich ſagen mus: „ich bin wenigſtens nicht ganz unſchuldig an meinen Leiden“, daß Sie5 hingegen ſagen können: „für dieſe unſäglichen kan ich nichts, gar nichts.“) Halten Sie ſich feſt, Theuerer, auf dieſem ſcharfen rauhen hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben einen ſolchen Schmerz und nur einmal einen ſolchen Anlas, den Ewigen anzubeten ohne ihn zu ſehen. („Glaub’ an mich — ſagt eine10 heilige Stimme in Ihrem Innern — glaub’ an mich hinter meinem Gewölke — dein Auge vergieſſe immer ſeine Thränen, aber es erhebe ſich auch zu mir — ich prüfe dich nicht mehr ſo, Geliebter.“)
Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Geſchenk, mit deſſen Wahl — ſogar bis auf die äuſſere Seite — Sie mir den Antheil an Ihrem15 Schikſal zu verſüſſen ſuchten, einen längern Dank zu bringen; es hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige und in eine freudige. — Ich ſchicke Ihnen hier ſtat der Bücher, die ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern[132]20 Menſchen entblöſſen wird, die ich vor andern verhülle.
Da ich in dieſem Jahre Ihnen zum leztenmale ſchreibe: ſo iſt mir jezt als gäb’ ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und ſagte: „komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund dieſes „Jahrs! — noch eine ſchwarze Wolke haſt du zu durchwaten, und ſie25 „wird in der Nähe nichts als einige Thränen dieſes Lebensſchlafes „mehr ſein; — dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich „eine ſchönere Ausſicht und ein hellerer Himmel empfangen wird!“
Ihr ewiger Freund Richter30
207. An Chriſtian Otto.
[Hof, 25. Dez. 1795]
Ich ziehe um 11 Uhr in dieſem elenden Wetter und im beſten Anzug heute zum Köhler auf die Es-Parade. Denn mehr als Meſſer und Gabel präſentieren kan ich doch nicht. Die Kleine iſt ja zu einem35 Miniatür-Bräutlein umgemalt.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0146"n="135"/>
und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr<lb/>
Geſchik ſchweig’ ich — das Bild Ihres Verfolgers erſchüttert meine<lb/>
Menſchenliebe — Sie haben nur <hirendition="#g">einen</hi> Troſt, aber den gröſten: daß,<lb/>
da jeder bei ſeinen Krankheiten, bei Verfolgungen ꝛc. zu ſich ſagen mus:<lb/>„ich bin wenigſtens nicht ganz unſchuldig an meinen Leiden“, daß Sie<lbn="5"/>
hingegen ſagen können: „für dieſe unſäglichen kan ich nichts, gar<lb/>
nichts.“) Halten Sie ſich feſt, Theuerer, auf dieſem ſcharfen rauhen<lb/>
hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben<lb/>
einen ſolchen Schmerz und nur einmal einen ſolchen Anlas, den<lb/>
Ewigen anzubeten ohne ihn zu ſehen. („Glaub’ an mich —ſagt eine<lbn="10"/>
heilige Stimme in Ihrem Innern — glaub’ an mich hinter meinem<lb/>
Gewölke — dein Auge vergieſſe immer ſeine Thränen, aber es erhebe<lb/>ſich auch zu mir — ich prüfe dich nicht mehr ſo, Geliebter.“)</p><lb/><p>Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Geſchenk, mit deſſen Wahl<lb/>—ſogar bis auf die äuſſere Seite — Sie mir den Antheil an Ihrem<lbn="15"/>
Schikſal zu verſüſſen ſuchten, einen längern Dank zu bringen; es<lb/>
hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige<lb/>
und in eine freudige. — Ich ſchicke Ihnen hier ſtat der Bücher, die<lb/>
ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig<lb/>
gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_132">[132]</ref></note><lbn="20"/>
Menſchen entblöſſen wird, die ich vor andern verhülle.</p><lb/><p>Da ich in dieſem Jahre Ihnen zum leztenmale ſchreibe: ſo iſt mir<lb/>
jezt als gäb’ ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und ſagte:<lb/>„komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund dieſes<lb/>„Jahrs! — noch eine ſchwarze Wolke haſt du zu durchwaten, und ſie<lbn="25"/>„wird in der Nähe nichts als einige Thränen dieſes Lebensſchlafes<lb/>„mehr ſein; — dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich<lb/>„eine ſchönere Ausſicht und ein hellerer Himmel empfangen wird!“</p><lb/><closer><salute><hirendition="#right">Ihr ewiger Freund<lb/>
Richter</hi><lbn="30"/></salute></closer></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>207. An <hirendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">[Hof, 25. Dez. 1795]</hi></dateline><lb/><p>Ich ziehe um 11 Uhr in dieſem elenden Wetter und im beſten<lb/>
Anzug heute zum Köhler auf die Es-Parade. Denn mehr als Meſſer<lb/>
und Gabel präſentieren kan ich doch nicht. Die Kleine iſt ja zu einem<lbn="35"/>
Miniatür-Bräutlein umgemalt.</p></div><lb/></body></text></TEI>
[135/0146]
und ich möchte Sie mit allen Wunden an meinem haben. (Ueber Ihr
Geſchik ſchweig’ ich — das Bild Ihres Verfolgers erſchüttert meine
Menſchenliebe — Sie haben nur einen Troſt, aber den gröſten: daß,
da jeder bei ſeinen Krankheiten, bei Verfolgungen ꝛc. zu ſich ſagen mus:
„ich bin wenigſtens nicht ganz unſchuldig an meinen Leiden“, daß Sie 5
hingegen ſagen können: „für dieſe unſäglichen kan ich nichts, gar
nichts.“) Halten Sie ſich feſt, Theuerer, auf dieſem ſcharfen rauhen
hohen Eisberg des Leidens: Sie haben nur einmal in Ihrem Leben
einen ſolchen Schmerz und nur einmal einen ſolchen Anlas, den
Ewigen anzubeten ohne ihn zu ſehen. („Glaub’ an mich — ſagt eine 10
heilige Stimme in Ihrem Innern — glaub’ an mich hinter meinem
Gewölke — dein Auge vergieſſe immer ſeine Thränen, aber es erhebe
ſich auch zu mir — ich prüfe dich nicht mehr ſo, Geliebter.“)
Ich bin zu bewegt, um Ihnen für das Geſchenk, mit deſſen Wahl
— ſogar bis auf die äuſſere Seite — Sie mir den Antheil an Ihrem 15
Schikſal zu verſüſſen ſuchten, einen längern Dank zu bringen; es
hat meine Seele in zwei unähnliche Hälften getheilt, in die traurige
und in eine freudige. — Ich ſchicke Ihnen hier ſtat der Bücher, die
ich Ihnen neulich anrieth, ein von mir vor 10 Jahren in Leipzig
gemachtes Andachtsbuch, das Ihnen kranke Theile meines innern 20
Menſchen entblöſſen wird, die ich vor andern verhülle.
[132]
Da ich in dieſem Jahre Ihnen zum leztenmale ſchreibe: ſo iſt mir
jezt als gäb’ ich Ihnen die Hand über eine Kluft hinüber und ſagte:
„komme glüklich hinüber, gute Seele, über den lezten Abgrund dieſes
„Jahrs! — noch eine ſchwarze Wolke haſt du zu durchwaten, und ſie 25
„wird in der Nähe nichts als einige Thränen dieſes Lebensſchlafes
„mehr ſein; — dein Genius helfe dir ins neue Jahr hinüber, wo dich
„eine ſchönere Ausſicht und ein hellerer Himmel empfangen wird!“
Ihr ewiger Freund
Richter 30
207. An Chriſtian Otto.
[Hof, 25. Dez. 1795]
Ich ziehe um 11 Uhr in dieſem elenden Wetter und im beſten
Anzug heute zum Köhler auf die Es-Parade. Denn mehr als Meſſer
und Gabel präſentieren kan ich doch nicht. Die Kleine iſt ja zu einem 35
Miniatür-Bräutlein umgemalt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/146>, abgerufen am 30.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.