Übrigens hab ich nichts zu wiederholen als das alte Lob der neuen Wahrheiten darin, deren Erscheinung du, da jezt so viele dieses Berg- werk durchgraben, nicht so lange verschieben darfst. -- Auch über den Styl merk ich nichts an als seine helle lichte Kürze und -- zuweilen etwas Nebenschöslinge. Ich meine so: aus unnüzer Furcht, dunkel zu5 bleiben, wendest du deinen Saz in mehreren kleinen Säzen auf ver- schiedenen Seiten vor. Diese Explanazion vermeidest du, wenn du wie ich unter dem Schreiben ein Blätgen neben dich legst und die einzelnen Dunst Theile, mit denen sich almählig eine Wahrheit in die Seele niedersenkt, dort aufnimst und dan sie in Einen hellen Tropfen zu-10 sammendrükst. Durch Parenthesen hab ichs im Mspt. angezeigt; es ist[115] nicht oft, und in deinen Briefen fast gar nicht; und in den neuen Zu- säzen auch nicht.
Für deinen lezten Brief sag ich dir vielen Dank; da mir deine Litte- raturbriefe schon mit dem schönfarbigen Monatsschriften-Umschlag15 ihrer Wahrheiten so viele eigennüzige und uneigennüzige Freude machen. Jedes Wort ist darin wahr und berechtigt dich zu immer grösserer Strenge gegen Kunstwerke: nur die Anwendung deiner Säze auf mich braucht eine kleine Änderung. Alle meine Fehler in meiner ganzen Schriftstellerei kamen nie vom Überflus der Kraft, sondern von20 falschen kritischen Grundsäzen her. Hätt' ich eiliger, mit weniger An- spannung und ohne die Manie geschrieben, alles im Reposit[orium] oder Kopf liegende fertige in jede Materie einschichten zu wollen: so hätt' ich längst so geschrieben als in den 3 Manipeln, die ihren Werth dem Umstand verdanken, daß ich eilte, wie ein fliehender Spizbube und25 daß ich also keine rechte Zeit zum Einrammen der Steinbrüche um mich gewinnen konte. Der "Referierton" im Hesperus kömt von der Angst, er werde zu dik: weiter nichts. Auch hast du mir jenen Fehler ganz klar gesagt; und ohne deine Erinnerung wär' er noch zehnmal grösser stehen geblieben. Aber wie sol einmal bei einer 2ten Auflage meiner30 opera -- buffa alles geändert und herumgeworfen werden! Die Leute sollen wie der aufwachende Epimenides sich in den Gassen darin gar nicht mehr finden können. Wenn ich oft die übermässige Ineinander- bauung oder das dicke Kolorit im Hesperus -- so daß ich oft das Ge- wöhnliche "z. B. er kam, er sezte sich nieder" in der Geschichte weglies,35 weils kein Zierrath war -- vergleiche mit meinen jezigen Kupferstichen: so denk ich, ich habe (nicht an mir) keine Farbe mehr. -- "Über das
Übrigens hab ich nichts zu wiederholen als das alte Lob der neuen Wahrheiten darin, deren Erſcheinung du, da jezt ſo viele dieſes Berg- werk durchgraben, nicht ſo lange verſchieben darfſt. — Auch über den Styl merk ich nichts an als ſeine helle lichte Kürze und — zuweilen etwas Nebenſchöslinge. Ich meine ſo: aus unnüzer Furcht, dunkel zu5 bleiben, wendeſt du deinen Saz in mehreren kleinen Säzen auf ver- ſchiedenen Seiten vor. Dieſe Explanazion vermeideſt du, wenn du wie ich unter dem Schreiben ein Blätgen neben dich legſt und die einzelnen Dunſt Theile, mit denen ſich almählig eine Wahrheit in die Seele niederſenkt, dort aufnimſt und dan ſie in Einen hellen Tropfen zu-10 ſammendrükſt. Durch Parentheſen hab ichs im Mſpt. angezeigt; es iſt[115] nicht oft, und in deinen Briefen faſt gar nicht; und in den neuen Zu- ſäzen auch nicht.
Für deinen lezten Brief ſag ich dir vielen Dank; da mir deine Litte- raturbriefe ſchon mit dem ſchönfarbigen Monatsſchriften-Umſchlag15 ihrer Wahrheiten ſo viele eigennüzige und uneigennüzige Freude machen. Jedes Wort iſt darin wahr und berechtigt dich zu immer gröſſerer Strenge gegen Kunſtwerke: nur die Anwendung deiner Säze auf mich braucht eine kleine Änderung. Alle meine Fehler in meiner ganzen Schriftſtellerei kamen nie vom Überflus der Kraft, ſondern von20 falſchen kritiſchen Grundſäzen her. Hätt’ ich eiliger, mit weniger An- ſpannung und ohne die Manie geſchrieben, alles im Repoſit[orium] oder Kopf liegende fertige in jede Materie einſchichten zu wollen: ſo hätt’ ich längſt ſo geſchrieben als in den 3 Manipeln, die ihren Werth dem Umſtand verdanken, daß ich eilte, wie ein fliehender Spizbube und25 daß ich alſo keine rechte Zeit zum Einrammen der Steinbrüche um mich gewinnen konte. Der „Referierton“ im Heſperus kömt von der Angſt, er werde zu dik: weiter nichts. Auch haſt du mir jenen Fehler ganz klar geſagt; und ohne deine Erinnerung wär’ er noch zehnmal gröſſer ſtehen geblieben. Aber wie ſol einmal bei einer 2ten Auflage meiner30 opera — buffa alles geändert und herumgeworfen werden! Die Leute ſollen wie der aufwachende Epimenides ſich in den Gaſſen darin gar nicht mehr finden können. Wenn ich oft die übermäſſige Ineinander- bauung oder das dicke Kolorit im Heſperus — ſo daß ich oft das Ge- wöhnliche „z. B. er kam, er ſezte ſich nieder“ in der Geſchichte weglies,35 weils kein Zierrath war — vergleiche mit meinen jezigen Kupferſtichen: ſo denk ich, ich habe (nicht an mir) keine Farbe mehr. — „Über das
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Übrigens hab ich nichts zu wiederholen als das alte Lob der neuen
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werk durchgraben, nicht ſo lange verſchieben darfſt. — Auch über den
Styl merk ich nichts an als ſeine helle lichte Kürze und — zuweilen
etwas Nebenſchöslinge. Ich meine ſo: aus unnüzer Furcht, dunkel zu 5
bleiben, wendeſt du deinen Saz in mehreren kleinen Säzen auf ver-
ſchiedenen Seiten vor. Dieſe Explanazion vermeideſt du, wenn du wie
ich unter dem Schreiben ein Blätgen neben dich legſt und die einzelnen
Dunſt Theile, mit denen ſich almählig eine Wahrheit in die Seele
niederſenkt, dort aufnimſt und dan ſie in Einen hellen Tropfen zu- 10
ſammendrükſt. Durch Parentheſen hab ichs im Mſpt. angezeigt; es iſt
nicht oft, und in deinen Briefen faſt gar nicht; und in den neuen Zu-
ſäzen auch nicht.
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Für deinen lezten Brief ſag ich dir vielen Dank; da mir deine Litte-
raturbriefe ſchon mit dem ſchönfarbigen Monatsſchriften-Umſchlag 15
ihrer Wahrheiten ſo viele eigennüzige und uneigennüzige Freude
machen. Jedes Wort iſt darin wahr und berechtigt dich zu immer
gröſſerer Strenge gegen Kunſtwerke: nur die Anwendung deiner Säze
auf mich braucht eine kleine Änderung. Alle meine Fehler in meiner
ganzen Schriftſtellerei kamen nie vom Überflus der Kraft, ſondern von 20
falſchen kritiſchen Grundſäzen her. Hätt’ ich eiliger, mit weniger An-
ſpannung und ohne die Manie geſchrieben, alles im Repoſit[orium]
oder Kopf liegende fertige in jede Materie einſchichten zu wollen: ſo
hätt’ ich längſt ſo geſchrieben als in den 3 Manipeln, die ihren Werth
dem Umſtand verdanken, daß ich eilte, wie ein fliehender Spizbube und 25
daß ich alſo keine rechte Zeit zum Einrammen der Steinbrüche um mich
gewinnen konte. Der „Referierton“ im Heſperus kömt von der Angſt,
er werde zu dik: weiter nichts. Auch haſt du mir jenen Fehler ganz klar
geſagt; und ohne deine Erinnerung wär’ er noch zehnmal gröſſer
ſtehen geblieben. Aber wie ſol einmal bei einer 2ten Auflage meiner 30
opera — buffa alles geändert und herumgeworfen werden! Die Leute
ſollen wie der aufwachende Epimenides ſich in den Gaſſen darin gar
nicht mehr finden können. Wenn ich oft die übermäſſige Ineinander-
bauung oder das dicke Kolorit im Heſperus — ſo daß ich oft das Ge-
wöhnliche „z. B. er kam, er ſezte ſich nieder“ in der Geſchichte weglies, 35
weils kein Zierrath war — vergleiche mit meinen jezigen Kupferſtichen:
ſo denk ich, ich habe (nicht an mir) keine Farbe mehr. — „Über das
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/130>, abgerufen am 22.11.2024.
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