Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

Bild:
<< vorherige Seite

Ihre Konzilien-Akten der Illuminanden hab' ich fast durch, aber
mit dem alten Schmerze, daß nur das Laster in Compagnie und die
Tugend blos auf eigne Rechnung handelt. Der empörendsten Gräuel --
z. B. der Seeräuberei, des Krieg[s] -- erdreisteten sich nie Individuen,
nur Völker. Aber die Tugend hatte nie mehr -- wenn ich den pythago-5
räischen Bund ausnehme -- als zwei Hände. Wenn ich an den
Enthusiasmus denke, in den mich das royalistische Vivat eines be-
trunknen Volks oder das klatschende Applaudieren eines Parterre
zuweilen sezte: so fühl' ich, wie leicht alle Aufopferungen -- die
eines Leonidas, eines Kato, eines Generals -- unter und vor der10
Menge sind, kurz wie leicht das Gute ist unter Guten, und wie --
verdienstloser eben deswegen. Es ist zehnmal schwerer, blos im
eignen Hause, das man beherschen kan, gut zu handeln als vor einer
ganzen Republik, die uns beherscht.

Das Illuminatensystem zerfiel durch zuviel Kleinliches, Eigen-15
süchtiges, Jugendliches -- sie hatten nur einen guten Man an der
Spizze, aber ein grosser hätte sie gerettet.

Schreiben Sie mir: Leben, Thaten und Meinungen oder vielmehr
lezte Stunden der (fürstlichen) Mutter und ihres Sohnes. Die Weiber,
zumal gekrönte, sind nicht wie Männer a jour gefasset, sondern wie20
andere Demanten in Folien: folglich möcht ich mehr wissen von ihr.

Ach wenn Ihnen das Schiksal ein Flugwerk ansezte, das Sie in[94]
Emanuels Geselschaft in die Gassen Hofs hereintrüge? --

Ich danke Ihnen nochmals für Ihre zu uneigennüzige Trans-
substanziazion meines Silbers in Gold; und bitte Sie mir es zu25
schreiben, wenn mein Silber nicht richtig gezählet war.

Leben Sie wol. Zum Lohne Ihrer Güte würd ich Ihnen Ihre --
Gemahlin wünschen, wenn Sie sie nicht schon hätten. Der Himmel
belohne jene durch Ihr Glük, und Sie durch ihres und mache zum
Zuschauer von beiden Ihren30

ewigen Freund
J. P. F. Richter.
139. An Emanuel.

Mein lieber Emanuel,35

Seit dem längsten Tage hab' ich Bayreuth und meine schönsten
Tage verlassen -- und eben so lange hör' und seh' ich nichts mehr von

7*

Ihre Konzilien-Akten der Illuminanden hab’ ich faſt durch, aber
mit dem alten Schmerze, daß nur das Laſter in Compagnie und die
Tugend blos auf eigne Rechnung handelt. Der empörendſten Gräuel —
z. B. der Seeräuberei, des Krieg[s] — erdreiſteten ſich nie Individuen,
nur Völker. Aber die Tugend hatte nie mehr — wenn ich den pythago-5
räiſchen Bund ausnehme — als zwei Hände. Wenn ich an den
Enthuſiaſmus denke, in den mich das royaliſtiſche Vivat eines be-
trunknen Volks oder das klatſchende Applaudieren eines Parterre
zuweilen ſezte: ſo fühl’ ich, wie leicht alle Aufopferungen — die
eines Leonidas, eines Kato, eines Generals — unter und vor der10
Menge ſind, kurz wie leicht das Gute iſt unter Guten, und wie —
verdienſtloſer eben deswegen. Es iſt zehnmal ſchwerer, blos im
eignen Hauſe, das man beherſchen kan, gut zu handeln als vor einer
ganzen Republik, die uns beherſcht.

Das Illuminatenſyſtem zerfiel durch zuviel Kleinliches, Eigen-15
ſüchtiges, Jugendliches — ſie hatten nur einen guten Man an der
Spizze, aber ein groſſer hätte ſie gerettet.

Schreiben Sie mir: Leben, Thaten und Meinungen oder vielmehr
lezte Stunden der (fürſtlichen) Mutter und ihres Sohnes. Die Weiber,
zumal gekrönte, ſind nicht wie Männer à jour gefaſſet, ſondern wie20
andere Demanten in Folien: folglich möcht ich mehr wiſſen von ihr.

Ach wenn Ihnen das Schikſal ein Flugwerk anſezte, das Sie in[94]
Emanuels Geſelſchaft in die Gaſſen Hofs hereintrüge? —

Ich danke Ihnen nochmals für Ihre zu uneigennüzige Trans-
ſubſtanziazion meines Silbers in Gold; und bitte Sie mir es zu25
ſchreiben, wenn mein Silber nicht richtig gezählet war.

Leben Sie wol. Zum Lohne Ihrer Güte würd ich Ihnen Ihre —
Gemahlin wünſchen, wenn Sie ſie nicht ſchon hätten. Der Himmel
belohne jene durch Ihr Glük, und Sie durch ihres und mache zum
Zuſchauer von beiden Ihren30

ewigen Freund
J. P. F. Richter.
139. An Emanuel.

Mein lieber Emanuel,35

Seit dem längſten Tage hab’ ich Bayreuth und meine ſchönſten
Tage verlaſſen — und eben ſo lange hör’ und ſeh’ ich nichts mehr von

7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0110" n="99"/>
        <p>Ihre Konzilien-Akten der Illuminanden hab&#x2019; ich fa&#x017F;t durch, aber<lb/>
mit dem alten Schmerze, daß nur das La&#x017F;ter in <hi rendition="#aq">Compagnie</hi> und die<lb/>
Tugend blos auf eigne Rechnung handelt. Der empörend&#x017F;ten Gräuel &#x2014;<lb/>
z. B. der Seeräuberei, des Krieg[s] &#x2014; erdrei&#x017F;teten &#x017F;ich nie Individuen,<lb/>
nur Völker. Aber die Tugend hatte nie mehr &#x2014; wenn ich den pythago-<lb n="5"/>
räi&#x017F;chen Bund ausnehme &#x2014; als zwei Hände. Wenn ich an den<lb/>
Enthu&#x017F;ia&#x017F;mus denke, in den mich das royali&#x017F;ti&#x017F;che <hi rendition="#aq">Vivat</hi> eines be-<lb/>
trunknen Volks oder das klat&#x017F;chende Applaudieren eines Parterre<lb/>
zuweilen &#x017F;ezte: &#x017F;o fühl&#x2019; ich, wie <hi rendition="#g">leicht</hi> alle Aufopferungen &#x2014; die<lb/>
eines Leonidas, eines Kato, eines Generals &#x2014; unter und vor der<lb n="10"/>
Menge &#x017F;ind, kurz wie <hi rendition="#g">leicht</hi> das Gute i&#x017F;t unter Guten, und wie &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">verdien&#x017F;tlo&#x017F;er</hi> eben deswegen. Es i&#x017F;t zehnmal &#x017F;chwerer, blos im<lb/>
eignen Hau&#x017F;e, das man beher&#x017F;chen kan, gut zu handeln als vor einer<lb/>
ganzen Republik, die uns beher&#x017F;cht.</p><lb/>
        <p>Das Illuminaten&#x017F;y&#x017F;tem zerfiel durch zuviel Kleinliches, Eigen-<lb n="15"/>
&#x017F;üchtiges, Jugendliches &#x2014; &#x017F;ie hatten nur einen <hi rendition="#g">guten</hi> Man an der<lb/>
Spizze, aber ein <hi rendition="#g">gro&#x017F;&#x017F;er</hi> hätte &#x017F;ie gerettet.</p><lb/>
        <p>Schreiben Sie mir: Leben, Thaten und Meinungen oder vielmehr<lb/>
lezte Stunden der (für&#x017F;tlichen) Mutter und ihres Sohnes. Die Weiber,<lb/>
zumal gekrönte, &#x017F;ind nicht wie Männer <hi rendition="#aq">à jour</hi> gefa&#x017F;&#x017F;et, &#x017F;ondern wie<lb n="20"/>
andere Demanten in Folien: folglich möcht ich mehr wi&#x017F;&#x017F;en von ihr.</p><lb/>
        <p>Ach wenn Ihnen das Schik&#x017F;al ein Flugwerk an&#x017F;ezte, das Sie in<note place="right"><ref target="1922_Bd2_94">[94]</ref></note><lb/><hi rendition="#aq">Emanuels</hi> Ge&#x017F;el&#x017F;chaft in die Ga&#x017F;&#x017F;en Hofs hereintrüge? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ich danke Ihnen nochmals für Ihre zu uneigennüzige Trans-<lb/>
&#x017F;ub&#x017F;tanziazion meines Silbers in Gold; und bitte Sie mir es zu<lb n="25"/>
&#x017F;chreiben, wenn mein Silber nicht richtig gezählet war.</p><lb/>
        <p>Leben Sie wol. Zum Lohne Ihrer Güte würd ich Ihnen Ihre &#x2014;<lb/>
Gemahlin wün&#x017F;chen, wenn Sie &#x017F;ie nicht &#x017F;chon hätten. Der Himmel<lb/>
belohne jene durch Ihr Glük, und Sie durch ihres und mache zum<lb/>
Zu&#x017F;chauer von beiden Ihren<lb n="30"/>
</p>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">ewigen Freund<lb/>
J. P. F. Richter.</hi> </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>139. An <hi rendition="#g">Emanuel.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof.</hi> d. 11 Jul. 95.</hi> </dateline><lb/>
        <opener>
          <salute> <hi rendition="#et">Mein lieber Emanuel,<lb n="35"/>
</hi> </salute>
        </opener>
        <p>Seit dem läng&#x017F;ten Tage hab&#x2019; ich <hi rendition="#aq">Bayreuth</hi> und meine &#x017F;chön&#x017F;ten<lb/>
Tage verla&#x017F;&#x017F;en &#x2014; und eben &#x017F;o lange hör&#x2019; und &#x017F;eh&#x2019; ich nichts mehr von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0110] Ihre Konzilien-Akten der Illuminanden hab’ ich faſt durch, aber mit dem alten Schmerze, daß nur das Laſter in Compagnie und die Tugend blos auf eigne Rechnung handelt. Der empörendſten Gräuel — z. B. der Seeräuberei, des Krieg[s] — erdreiſteten ſich nie Individuen, nur Völker. Aber die Tugend hatte nie mehr — wenn ich den pythago- 5 räiſchen Bund ausnehme — als zwei Hände. Wenn ich an den Enthuſiaſmus denke, in den mich das royaliſtiſche Vivat eines be- trunknen Volks oder das klatſchende Applaudieren eines Parterre zuweilen ſezte: ſo fühl’ ich, wie leicht alle Aufopferungen — die eines Leonidas, eines Kato, eines Generals — unter und vor der 10 Menge ſind, kurz wie leicht das Gute iſt unter Guten, und wie — verdienſtloſer eben deswegen. Es iſt zehnmal ſchwerer, blos im eignen Hauſe, das man beherſchen kan, gut zu handeln als vor einer ganzen Republik, die uns beherſcht. Das Illuminatenſyſtem zerfiel durch zuviel Kleinliches, Eigen- 15 ſüchtiges, Jugendliches — ſie hatten nur einen guten Man an der Spizze, aber ein groſſer hätte ſie gerettet. Schreiben Sie mir: Leben, Thaten und Meinungen oder vielmehr lezte Stunden der (fürſtlichen) Mutter und ihres Sohnes. Die Weiber, zumal gekrönte, ſind nicht wie Männer à jour gefaſſet, ſondern wie 20 andere Demanten in Folien: folglich möcht ich mehr wiſſen von ihr. Ach wenn Ihnen das Schikſal ein Flugwerk anſezte, das Sie in Emanuels Geſelſchaft in die Gaſſen Hofs hereintrüge? — [94] Ich danke Ihnen nochmals für Ihre zu uneigennüzige Trans- ſubſtanziazion meines Silbers in Gold; und bitte Sie mir es zu 25 ſchreiben, wenn mein Silber nicht richtig gezählet war. Leben Sie wol. Zum Lohne Ihrer Güte würd ich Ihnen Ihre — Gemahlin wünſchen, wenn Sie ſie nicht ſchon hätten. Der Himmel belohne jene durch Ihr Glük, und Sie durch ihres und mache zum Zuſchauer von beiden Ihren 30 ewigen Freund J. P. F. Richter. 139. An Emanuel. Hof. d. 11 Jul. 95. Mein lieber Emanuel, 35 Seit dem längſten Tage hab’ ich Bayreuth und meine ſchönſten Tage verlaſſen — und eben ſo lange hör’ und ſeh’ ich nichts mehr von 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/110
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/110>, abgerufen am 25.11.2024.