Mühe ein Regiment von 600 Gleichnissen ausheben, und mein Satir kommandirt mit seiner Geissel lauter Gedanken, von denen ieder sich mit einem Bilde schlept, wie in den persischen Lagern ieder Soldat eine Hure, und der König soviel Huren als Soldaten mit sich fürt. "Du "machst es klug, denken Sie vielleicht; um nicht von andern getadelt zu5 "werden, tadelst du dich selbst, wie Missetäter, um nicht gehangen zu "werden, sich im Gefängnisse selbst hängen und stat des Galgens einen "Nagel, stat des Striks ein Strumpfband wälen. Durch eine auf- "gefangne Kritik glaubst du dich vor ieder andern Kritik wie der aber- "gläubige Bauer vor den Donnerkeilen durch denienigen gesichert, den10 "er von ungefär gefunden und nun bei sich in der Tasche fürt." Vielleicht denken Sie auch anders. Ich halte den Überflus an Gleich- nissen wirklich für einen Feler; aber kan kalte Kritik den Reiz der Unmässigkeit besiegen? Verkent dort der Weinsäufer mit der roten Nase die giftigen Kräfte des überflüssigen Weins? Er kent sie wol;15 aber er flieht sie darum nicht. Eben so verträgt sich die kalte Mis- billigung der Bilderverschwendung mit der warmen Liebe derselben. Es war einmal eine Zeit, wo mir die Warheit weniger als ihr Puz, der Gedanke weniger als sein Bild gefiel, wie der iunge Maler die Natur ihrem Bilde auf der Leinwand nachsezt, und vielleicht seine20 Geliebte für ihr Portrait hingäbe, oder gar den sterbenden Christus von Rubens dem Christus vom Mattäus gleichschäzte. Sagt doch [62]Pope, daß Juden das silberne Miniatürkruzifix am Halse seiner Belinde, gerne angebetet hätten -- dazu nämlich nicht durch das atanasianische Glaubensbekentnis, sondern durch das viellötige25 Silber bewogen. -- Wie ich doch radotire! Ich kan meine Feler nicht einmal so lange ablegen, als ich sie tadle. -- Ein Buch one Schönheiten ist gewis ein schlechtes; aber eines one Feler ist darum noch kein gutes, ia Toussaint behauptet, daß ein solches, wenn es wirklich existirte, ein mittelmässiges sein müste. Jeder Autor solte das30 auf sein Buch anwenden, was Mäzen vom Menschen sagt:
Debilem facito manu, Debilem pede, coxa, Tuber adstrue gibberum, Lubricos quate dentes, (bedeuten bei einem satiri-35 schen Buche die verfelte Ironie) Vita dum superest, bene est.
Mühe ein Regiment von 600 Gleichniſſen ausheben, und mein Satir kommandirt mit ſeiner Geiſſel lauter Gedanken, von denen ieder ſich mit einem Bilde ſchlept, wie in den perſiſchen Lagern ieder Soldat eine Hure, und der König ſoviel Huren als Soldaten mit ſich fürt. „Du „machſt es klug, denken Sie vielleicht; um nicht von andern getadelt zu5 „werden, tadelſt du dich ſelbſt, wie Miſſetäter, um nicht gehangen zu „werden, ſich im Gefängniſſe ſelbſt hängen und ſtat des Galgens einen „Nagel, ſtat des Striks ein Strumpfband wälen. Durch eine auf- „gefangne Kritik glaubſt du dich vor ieder andern Kritik wie der aber- „gläubige Bauer vor den Donnerkeilen durch denienigen geſichert, den10 „er von ungefär gefunden und nun bei ſich in der Taſche fürt.“ Vielleicht denken Sie auch anders. Ich halte den Überflus an Gleich- niſſen wirklich für einen Feler; aber kan kalte Kritik den Reiz der Unmäſſigkeit beſiegen? Verkent dort der Weinſäufer mit der roten Naſe die giftigen Kräfte des überflüſſigen Weins? Er kent ſie wol;15 aber er flieht ſie darum nicht. Eben ſo verträgt ſich die kalte Mis- billigung der Bilderverſchwendung mit der warmen Liebe derſelben. Es war einmal eine Zeit, wo mir die Warheit weniger als ihr Puz, der Gedanke weniger als ſein Bild gefiel, wie der iunge Maler die Natur ihrem Bilde auf der Leinwand nachſezt, und vielleicht ſeine20 Geliebte für ihr Portrait hingäbe, oder gar den ſterbenden Chriſtus von Rubens dem Chriſtus vom Mattäus gleichſchäzte. Sagt doch [62]Pope, daß Juden das ſilberne Miniatürkruzifix am Halſe ſeiner Belinde, gerne angebetet hätten — dazu nämlich nicht durch das atanaſianiſche Glaubensbekentnis, ſondern durch das viellötige25 Silber bewogen. — Wie ich doch radotire! Ich kan meine Feler nicht einmal ſo lange ablegen, als ich ſie tadle. — Ein Buch one Schönheiten iſt gewis ein ſchlechtes; aber eines one Feler iſt darum noch kein gutes, ia Touſſaint behauptet, daß ein ſolches, wenn es wirklich exiſtirte, ein mittelmäſſiges ſein müſte. Jeder Autor ſolte das30 auf ſein Buch anwenden, was Mäzen vom Menſchen ſagt:
Debilem facito manu, Debilem pede, coxa, Tuber adstrue gibberum, Lubricos quate dentes, (bedeuten bei einem ſatiri-35 ſchen Buche die verfelte Ironie) Vita dum superest, bene est.
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Mühe ein Regiment von 600 Gleichniſſen ausheben, und mein Satir
kommandirt mit ſeiner Geiſſel lauter Gedanken, von denen ieder ſich
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Hure, und der König ſoviel Huren als Soldaten mit ſich fürt. „Du
„machſt es klug, denken Sie vielleicht; um nicht von andern getadelt zu 5
„werden, tadelſt du dich ſelbſt, wie Miſſetäter, um nicht gehangen zu
„werden, ſich im Gefängniſſe ſelbſt hängen und ſtat des Galgens einen
„Nagel, ſtat des Striks ein Strumpfband wälen. Durch eine auf-
„gefangne Kritik glaubſt du dich vor ieder andern Kritik wie der aber-
„gläubige Bauer vor den Donnerkeilen durch denienigen geſichert, den 10
„er von ungefär gefunden und nun bei ſich in der Taſche fürt.“
Vielleicht denken Sie auch anders. Ich halte den Überflus an Gleich-
niſſen wirklich für einen Feler; aber kan kalte Kritik den Reiz der
Unmäſſigkeit beſiegen? Verkent dort der Weinſäufer mit der roten
Naſe die giftigen Kräfte des überflüſſigen Weins? Er kent ſie wol; 15
aber er flieht ſie darum nicht. Eben ſo verträgt ſich die kalte Mis-
billigung der Bilderverſchwendung mit der warmen Liebe derſelben.
Es war einmal eine Zeit, wo mir die Warheit weniger als ihr Puz,
der Gedanke weniger als ſein Bild gefiel, wie der iunge Maler die
Natur ihrem Bilde auf der Leinwand nachſezt, und vielleicht ſeine 20
Geliebte für ihr Portrait hingäbe, oder gar den ſterbenden Chriſtus
von Rubens dem Chriſtus vom Mattäus gleichſchäzte. Sagt doch
Pope, daß Juden das ſilberne Miniatürkruzifix am Halſe ſeiner
Belinde, gerne angebetet hätten — dazu nämlich nicht durch das
atanaſianiſche Glaubensbekentnis, ſondern durch das viellötige 25
Silber bewogen. — Wie ich doch radotire! Ich kan meine Feler
nicht einmal ſo lange ablegen, als ich ſie tadle. — Ein Buch one
Schönheiten iſt gewis ein ſchlechtes; aber eines one Feler iſt darum
noch kein gutes, ia Touſſaint behauptet, daß ein ſolches, wenn es
wirklich exiſtirte, ein mittelmäſſiges ſein müſte. Jeder Autor ſolte das 30
auf ſein Buch anwenden, was Mäzen vom Menſchen ſagt:
[62]
Debilem facito manu,
Debilem pede, coxa,
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Lubricos quate dentes, (bedeuten bei einem ſatiri- 35
ſchen Buche die verfelte Ironie)
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/79>, abgerufen am 23.11.2024.
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