Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

voriges Schreiben verfertigt -- Und doch felte noch die Helfte meiner
Antwort, noch die Neuigkeiten, die ich gesamlet hatte, noch die Gegen-
anmerkungen, mit denen ich Sie belästigen wolte. Aber Geschäfte
häuften sich an Geschäfte, um mir das Vergnügen, an Sie zu schreiben,
zu rauben, und Ihnen die Langweile, mich zu lesen, zu ersparen. Und dies5
waren solche Geschäfte, die meine ordentlichen hinderten. Sie wissen
vielleicht, daß ich arm bin; aber dies wissen Sie vielleicht nicht, daß
man mir meine Armut nicht erleichtert. Man mus vorher einem
Gönner durch Geld zu verstehen geben, daß man Geld brauche; d. h.
man mus nicht arm sein, wenn man reich werden wil. Dieses fält10
[40]bei mir weg; und kein Verteiler fremder Woltaten achtet mich für
bedürftig genug, mir das Fremde zu schenken, weil ich ihm das Meinige
nicht schenken kan. Noch obendrein hat mir Got 4 Füsse versagt, mit
welchen man sich den gnädigen Blik eines Gönners und etliche Bro-
samen von seinem Überflus erkriechen kan. Ich kan weder ein falscher15
Schmeichler, noch ein modischer Nar sein, und weder durch die Beweg-
lichkeit meiner Zunge noch meines Rükkens Freunde gewinnen.
Sezzen Sie noch hinzu, daß die meisten Professoren, weder Zeit, noch
Gelegenheit, weder den Willen noch das Vermögen zu helfen haben;
daß der Zugang zu ihnen durch die Menge derer, die schmeicheln oder20
betrügen, denen unmöglich gemacht wird, die keines von beiden tun
wollen; daß es Stolz verraten würde, wenn man nach der Gelegenheit
haschen wolte, ihnen eine gute Seite zu zeigen -- Denken Sie sich dies
alles zusammen, so wissen Sie meine Lage; aber Sie wissen noch nicht,
wie ich sie verbessere. Es fiel mir einmal ein, so zu denken: "ich wil25
"Bücher schreiben, um Bücher kaufen zu können; ich wil das Publikum
"beleren, (erlauben Sie diesen falschen Ausdruk wegen der Antitese)
"um auf der Akademie lernen zu können; ich wil den Endzwek zum
"Mittel machen und die Pferde hinter den Wagen spannen, um aus
"dem bösen Holwege zu kommen!" Ich änderte nun die Art meines30
Studirens; ich las wizzige Schriftsteller, den Seneka, den Ovid, den
Pope, den Young, den Swift, den Voltaire, den Rousseau, den
Boileau, und was weis ich alles? -- Erasmus encomium moriae
brachte mich auf den Einfal, die Dumheit zu loben. Ich fieng an; ich
verbesserte; ich fand da Hindernisse, wo ich sie nicht suchte, und da keine,35
wo ich sie erwartete; und endigte an dem Tage, wo ich Ihren schäzbaren
Brief bekam. Sie werden denken "wunderbar!" wenn Sie nicht

voriges Schreiben verfertigt — Und doch felte noch die Helfte meiner
Antwort, noch die Neuigkeiten, die ich geſamlet hatte, noch die Gegen-
anmerkungen, mit denen ich Sie beläſtigen wolte. Aber Geſchäfte
häuften ſich an Geſchäfte, um mir das Vergnügen, an Sie zu ſchreiben,
zu rauben, und Ihnen die Langweile, mich zu leſen, zu erſparen. Und dies5
waren ſolche Geſchäfte, die meine ordentlichen hinderten. Sie wiſſen
vielleicht, daß ich arm bin; aber dies wiſſen Sie vielleicht nicht, daß
man mir meine Armut nicht erleichtert. Man mus vorher einem
Gönner durch Geld zu verſtehen geben, daß man Geld brauche; d. h.
man mus nicht arm ſein, wenn man reich werden wil. Dieſes fält10
[40]bei mir weg; und kein Verteiler fremder Woltaten achtet mich für
bedürftig genug, mir das Fremde zu ſchenken, weil ich ihm das Meinige
nicht ſchenken kan. Noch obendrein hat mir Got 4 Füſſe verſagt, mit
welchen man ſich den gnädigen Blik eines Gönners und etliche Bro-
ſamen von ſeinem Überflus erkriechen kan. Ich kan weder ein falſcher15
Schmeichler, noch ein modiſcher Nar ſein, und weder durch die Beweg-
lichkeit meiner Zunge noch meines Rükkens Freunde gewinnen.
Sezzen Sie noch hinzu, daß die meiſten Profeſſoren, weder Zeit, noch
Gelegenheit, weder den Willen noch das Vermögen zu helfen haben;
daß der Zugang zu ihnen durch die Menge derer, die ſchmeicheln oder20
betrügen, denen unmöglich gemacht wird, die keines von beiden tun
wollen; daß es Stolz verraten würde, wenn man nach der Gelegenheit
haſchen wolte, ihnen eine gute Seite zu zeigen — Denken Sie ſich dies
alles zuſammen, ſo wiſſen Sie meine Lage; aber Sie wiſſen noch nicht,
wie ich ſie verbeſſere. Es fiel mir einmal ein, ſo zu denken: „ich wil25
„Bücher ſchreiben, um Bücher kaufen zu können; ich wil das Publikum
„beleren, (erlauben Sie dieſen falſchen Ausdruk wegen der Antiteſe)
„um auf der Akademie lernen zu können; ich wil den Endzwek zum
„Mittel machen und die Pferde hinter den Wagen ſpannen, um aus
„dem böſen Holwege zu kommen!“ Ich änderte nun die Art meines30
Studirens; ich las wizzige Schriftſteller, den Seneka, den Ovid, den
Pope, den Young, den Swift, den Voltaire, den Rouſſeau, den
Boileau, und was weis ich alles? — Eraſmus encomium moriae
brachte mich auf den Einfal, die Dumheit zu loben. Ich fieng an; ich
verbeſſerte; ich fand da Hinderniſſe, wo ich ſie nicht ſuchte, und da keine,35
wo ich ſie erwartete; und endigte an dem Tage, wo ich Ihren ſchäzbaren
Brief bekam. Sie werden denken „wunderbar!“ wenn Sie nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0061" n="38"/>
voriges Schreiben verfertigt &#x2014; Und doch felte noch die Helfte meiner<lb/>
Antwort, noch die Neuigkeiten, die ich ge&#x017F;amlet hatte, noch die Gegen-<lb/>
anmerkungen, mit denen ich Sie belä&#x017F;tigen wolte. Aber Ge&#x017F;chäfte<lb/>
häuften &#x017F;ich an Ge&#x017F;chäfte, um mir das Vergnügen, an Sie zu &#x017F;chreiben,<lb/>
zu rauben, und Ihnen die Langweile, mich zu le&#x017F;en, zu er&#x017F;paren. Und dies<lb n="5"/>
waren &#x017F;olche Ge&#x017F;chäfte, die meine ordentlichen hinderten. Sie wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
vielleicht, daß ich arm bin; aber dies wi&#x017F;&#x017F;en Sie vielleicht nicht, daß<lb/>
man mir meine Armut nicht erleichtert. Man mus vorher einem<lb/>
Gönner durch Geld zu ver&#x017F;tehen geben, daß man Geld brauche; d. h.<lb/>
man mus nicht arm &#x017F;ein, wenn man reich werden wil. Die&#x017F;es fält<lb n="10"/>
<note place="left"><ref target="1922_Bd#_40">[40]</ref></note>bei mir weg; und kein Verteiler fremder Woltaten achtet mich für<lb/>
bedürftig genug, mir das Fremde zu &#x017F;chenken, weil ich ihm das Meinige<lb/>
nicht &#x017F;chenken kan. Noch obendrein hat mir Got 4 Fü&#x017F;&#x017F;e ver&#x017F;agt, mit<lb/>
welchen man &#x017F;ich den gnädigen Blik eines Gönners und etliche Bro-<lb/>
&#x017F;amen von &#x017F;einem Überflus erkriechen kan. Ich kan weder ein fal&#x017F;cher<lb n="15"/>
Schmeichler, noch ein modi&#x017F;cher Nar &#x017F;ein, und weder durch die Beweg-<lb/>
lichkeit meiner Zunge noch meines Rükkens Freunde gewinnen.<lb/>
Sezzen Sie noch hinzu, daß die mei&#x017F;ten Profe&#x017F;&#x017F;oren, weder Zeit, noch<lb/>
Gelegenheit, weder den Willen noch das Vermögen zu helfen haben;<lb/>
daß der Zugang zu ihnen durch die Menge derer, die &#x017F;chmeicheln oder<lb n="20"/>
betrügen, denen unmöglich gemacht wird, die keines von beiden tun<lb/>
wollen; daß es Stolz verraten würde, wenn man nach der Gelegenheit<lb/>
ha&#x017F;chen wolte, ihnen eine gute Seite zu zeigen &#x2014; Denken Sie &#x017F;ich dies<lb/>
alles zu&#x017F;ammen, &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en Sie meine Lage; aber Sie wi&#x017F;&#x017F;en noch nicht,<lb/>
wie ich &#x017F;ie verbe&#x017F;&#x017F;ere. Es fiel mir einmal ein, &#x017F;o zu denken: &#x201E;ich wil<lb n="25"/>
&#x201E;Bücher &#x017F;chreiben, um Bücher kaufen zu können; ich wil das Publikum<lb/>
&#x201E;beleren, (erlauben Sie die&#x017F;en fal&#x017F;chen Ausdruk wegen der Antite&#x017F;e)<lb/>
&#x201E;um auf der Akademie lernen zu können; ich wil den Endzwek zum<lb/>
&#x201E;Mittel machen und die Pferde hinter den Wagen &#x017F;pannen, um aus<lb/>
&#x201E;dem bö&#x017F;en Holwege zu kommen!&#x201C; Ich änderte nun die Art meines<lb n="30"/>
Studirens; ich las wizzige Schrift&#x017F;teller, den Seneka, den Ovid, den<lb/>
Pope, den Young, den Swift, den Voltaire, den Rou&#x017F;&#x017F;eau, den<lb/>
Boileau, und was weis ich alles? &#x2014; <hi rendition="#g">Era&#x017F;mus</hi> <hi rendition="#aq">encomium moriae</hi><lb/>
brachte mich auf den Einfal, die Dumheit zu loben. Ich fieng an; ich<lb/>
verbe&#x017F;&#x017F;erte; ich fand da Hinderni&#x017F;&#x017F;e, wo ich &#x017F;ie nicht &#x017F;uchte, und da keine,<lb n="35"/>
wo ich &#x017F;ie erwartete; und endigte an dem Tage, wo ich Ihren &#x017F;chäzbaren<lb/>
Brief bekam. Sie werden denken &#x201E;wunderbar!&#x201C; wenn Sie nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0061] voriges Schreiben verfertigt — Und doch felte noch die Helfte meiner Antwort, noch die Neuigkeiten, die ich geſamlet hatte, noch die Gegen- anmerkungen, mit denen ich Sie beläſtigen wolte. Aber Geſchäfte häuften ſich an Geſchäfte, um mir das Vergnügen, an Sie zu ſchreiben, zu rauben, und Ihnen die Langweile, mich zu leſen, zu erſparen. Und dies 5 waren ſolche Geſchäfte, die meine ordentlichen hinderten. Sie wiſſen vielleicht, daß ich arm bin; aber dies wiſſen Sie vielleicht nicht, daß man mir meine Armut nicht erleichtert. Man mus vorher einem Gönner durch Geld zu verſtehen geben, daß man Geld brauche; d. h. man mus nicht arm ſein, wenn man reich werden wil. Dieſes fält 10 bei mir weg; und kein Verteiler fremder Woltaten achtet mich für bedürftig genug, mir das Fremde zu ſchenken, weil ich ihm das Meinige nicht ſchenken kan. Noch obendrein hat mir Got 4 Füſſe verſagt, mit welchen man ſich den gnädigen Blik eines Gönners und etliche Bro- ſamen von ſeinem Überflus erkriechen kan. Ich kan weder ein falſcher 15 Schmeichler, noch ein modiſcher Nar ſein, und weder durch die Beweg- lichkeit meiner Zunge noch meines Rükkens Freunde gewinnen. Sezzen Sie noch hinzu, daß die meiſten Profeſſoren, weder Zeit, noch Gelegenheit, weder den Willen noch das Vermögen zu helfen haben; daß der Zugang zu ihnen durch die Menge derer, die ſchmeicheln oder 20 betrügen, denen unmöglich gemacht wird, die keines von beiden tun wollen; daß es Stolz verraten würde, wenn man nach der Gelegenheit haſchen wolte, ihnen eine gute Seite zu zeigen — Denken Sie ſich dies alles zuſammen, ſo wiſſen Sie meine Lage; aber Sie wiſſen noch nicht, wie ich ſie verbeſſere. Es fiel mir einmal ein, ſo zu denken: „ich wil 25 „Bücher ſchreiben, um Bücher kaufen zu können; ich wil das Publikum „beleren, (erlauben Sie dieſen falſchen Ausdruk wegen der Antiteſe) „um auf der Akademie lernen zu können; ich wil den Endzwek zum „Mittel machen und die Pferde hinter den Wagen ſpannen, um aus „dem böſen Holwege zu kommen!“ Ich änderte nun die Art meines 30 Studirens; ich las wizzige Schriftſteller, den Seneka, den Ovid, den Pope, den Young, den Swift, den Voltaire, den Rouſſeau, den Boileau, und was weis ich alles? — Eraſmus encomium moriae brachte mich auf den Einfal, die Dumheit zu loben. Ich fieng an; ich verbeſſerte; ich fand da Hinderniſſe, wo ich ſie nicht ſuchte, und da keine, 35 wo ich ſie erwartete; und endigte an dem Tage, wo ich Ihren ſchäzbaren Brief bekam. Sie werden denken „wunderbar!“ wenn Sie nicht [40]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/61
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/61>, abgerufen am 27.04.2024.