Beide standen auf der Anhöhe, wo man nach Krötenhof hinein und auf einen grossen mit Wäldern und Wolken bedekten Wal hinüber- sieht -- hier schlug der Kaplan die Arme aus einander und rief ins Freie: "giebts in der weiten Welt eine, die eine Kaplänin sein wil: hier "steht der Kaplan! -- Aber ernsthaft: ich und meine Kaplänin haben5 "tausend Gründe. -- Nach Ihrer Schilderung und nach meiner "machten gerade die besten Mädgen den Finger krum, an den man "den Ehering zu stecken suchte: wir wollen aber zu diesem besten "Mädgen in ihrem 67 Jahre gehen und sehen wie ihr ist ohne den "Ehering ... Recht schlecht ist ihrs -- wir finden sie einsam, unbekant,10 "ohne Freunde (die ausgenommen, die nicht in ihr Herz sondern in ihr "Testament wollen), ohne Freundinnen -- denn die aus den Junius- "Jahren der Jugend haben ihr Herz zurükgezogen und es ihren "Kindern und Gatten gegeben -- sie hat niemand, der sie und den sie "liebt, und sie kan stat eines Mannes blos eine Schooskaze plagen, die15 "nicht einmal so aufrichtig ist als er -- stat der Kinder erzieht sie "Kanarienvögel -- stat des unaussprechlichen Verdienstes einer Mutter, "die wie Gott, kleine Adam'gen und Ev'gen in die Erde einführt, und "einer Hausfrau, die dem grossen Adam, dem Man, die Sorgen und "Runzeln nimt, hat sie blos das Verdienst sich selbst zu lieben oder20 "vielmehr zu hassen; grosse Langweile und grosse Gebetbücher zu "haben und am ersten Feiertag allein zu essen und an einem langen "Winterabend keinem Menschen ihre Jugendfreuden erzählen zu "können als ihrer alten Magd -- -- Das gute Mädgen dachte freilich, "sie bliebe das ganze Leben durch, 17 Jahre alt; aber die Jugend-25 "Gespielen stehen nun weit von ihr auf einem andern Berg und seit "30 Jahren stattete nichts Jugendliches bei ihr eine Visitte ab als "heute wir, die Demokratin und der Kaplan. Wenn wir fort sind, "stirbt sie allein und unbeklagt und unvermist."
"Vielleicht doch! (sagte die menschenfreundliche Demokratin)30 "Beklagt von Armen, denen sie Brod, von Kindern, denen sie Er- "ziehung gab -- --"
"Wenns ihre eigne nicht sind (fiel der Diakonus ein), gehts gar "nicht: Erziehung armer Kinder ist blos ein bunter Maien-Traum; "der Kandidat Schifner weiß es, der sich heuer auch verehlicht. Ueber-35 "haupt ist das so viel als wenn ich die Beicht-Kinder meiner Kap- [372]"lanei stehen liesse und dafür ganz fremde auf dem Kap aufsuchte und
Beide ſtanden auf der Anhöhe, wo man nach Krötenhof hinein und auf einen groſſen mit Wäldern und Wolken bedekten Wal hinüber- ſieht — hier ſchlug der Kaplan die Arme aus einander und rief ins Freie: „giebts in der weiten Welt eine, die eine Kaplänin ſein wil: hier „ſteht der Kaplan! — Aber ernſthaft: ich und meine Kaplänin haben5 „tauſend Gründe. — Nach Ihrer Schilderung und nach meiner „machten gerade die beſten Mädgen den Finger krum, an den man „den Ehering zu ſtecken ſuchte: wir wollen aber zu dieſem beſten „Mädgen in ihrem 67 Jahre gehen und ſehen wie ihr iſt ohne den „Ehering … Recht ſchlecht iſt ihrs — wir finden ſie einſam, unbekant,10 „ohne Freunde (die ausgenommen, die nicht in ihr Herz ſondern in ihr „Teſtament wollen), ohne Freundinnen — denn die aus den Junius- „Jahren der Jugend haben ihr Herz zurükgezogen und es ihren „Kindern und Gatten gegeben — ſie hat niemand, der ſie und den ſie „liebt, und ſie kan ſtat eines Mannes blos eine Schooskaze plagen, die15 „nicht einmal ſo aufrichtig iſt als er — ſtat der Kinder erzieht ſie „Kanarienvögel — ſtat des unausſprechlichen Verdienſtes einer Mutter, „die wie Gott, kleine Adam’gen und Ev’gen in die Erde einführt, und „einer Hausfrau, die dem groſſen Adam, dem Man, die Sorgen und „Runzeln nimt, hat ſie blos das Verdienſt ſich ſelbſt zu lieben oder20 „vielmehr zu haſſen; groſſe Langweile und groſſe Gebetbücher zu „haben und am erſten Feiertag allein zu eſſen und an einem langen „Winterabend keinem Menſchen ihre Jugendfreuden erzählen zu „können als ihrer alten Magd — — Das gute Mädgen dachte freilich, „ſie bliebe das ganze Leben durch, 17 Jahre alt; aber die Jugend-25 „Geſpielen ſtehen nun weit von ihr auf einem andern Berg und ſeit „30 Jahren ſtattete nichts Jugendliches bei ihr eine Viſitte ab als „heute wir, die Demokratin und der Kaplan. Wenn wir fort ſind, „ſtirbt ſie allein und unbeklagt und unvermiſt.“
„Vielleicht doch! (ſagte die menſchenfreundliche Demokratin)30 „Beklagt von Armen, denen ſie Brod, von Kindern, denen ſie Er- „ziehung gab — —“
„Wenns ihre eigne nicht ſind (fiel der Diakonus ein), gehts gar „nicht: Erziehung armer Kinder iſt blos ein bunter Maien-Traum; „der Kandidat Schifner weiß es, der ſich heuer auch verehlicht. Ueber-35 „haupt iſt das ſo viel als wenn ich die Beicht-Kinder meiner Kap- [372]„lanei ſtehen lieſſe und dafür ganz fremde auf dem Kap aufſuchte und
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Beide ſtanden auf der Anhöhe, wo man nach Krötenhof hinein und
auf einen groſſen mit Wäldern und Wolken bedekten Wal hinüber-
ſieht — hier ſchlug der Kaplan die Arme aus einander und rief ins
Freie: „giebts in der weiten Welt eine, die eine Kaplänin ſein wil: hier
„ſteht der Kaplan! — Aber ernſthaft: ich und meine Kaplänin haben 5
„tauſend Gründe. — Nach Ihrer Schilderung und nach meiner
„machten gerade die beſten Mädgen den Finger krum, an den man
„den Ehering zu ſtecken ſuchte: wir wollen aber zu dieſem beſten
„Mädgen in ihrem 67 Jahre gehen und ſehen wie ihr iſt ohne den
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„ohne Freunde (die ausgenommen, die nicht in ihr Herz ſondern in ihr
„Teſtament wollen), ohne Freundinnen — denn die aus den Junius-
„Jahren der Jugend haben ihr Herz zurükgezogen und es ihren
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„Kanarienvögel — ſtat des unausſprechlichen Verdienſtes einer Mutter,
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„Runzeln nimt, hat ſie blos das Verdienſt ſich ſelbſt zu lieben oder 20
„vielmehr zu haſſen; groſſe Langweile und groſſe Gebetbücher zu
„haben und am erſten Feiertag allein zu eſſen und an einem langen
„Winterabend keinem Menſchen ihre Jugendfreuden erzählen zu
„können als ihrer alten Magd — — Das gute Mädgen dachte freilich,
„ſie bliebe das ganze Leben durch, 17 Jahre alt; aber die Jugend- 25
„Geſpielen ſtehen nun weit von ihr auf einem andern Berg und ſeit
„30 Jahren ſtattete nichts Jugendliches bei ihr eine Viſitte ab als
„heute wir, die Demokratin und der Kaplan. Wenn wir fort ſind,
„ſtirbt ſie allein und unbeklagt und unvermiſt.“
„Vielleicht doch! (ſagte die menſchenfreundliche Demokratin) 30
„Beklagt von Armen, denen ſie Brod, von Kindern, denen ſie Er-
„ziehung gab — —“
„Wenns ihre eigne nicht ſind (fiel der Diakonus ein), gehts gar
„nicht: Erziehung armer Kinder iſt blos ein bunter Maien-Traum;
„der Kandidat Schifner weiß es, der ſich heuer auch verehlicht. Ueber- 35
„haupt iſt das ſo viel als wenn ich die Beicht-Kinder meiner Kap-
„lanei ſtehen lieſſe und dafür ganz fremde auf dem Kap aufſuchte und
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/378>, abgerufen am 27.11.2024.
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