sie wäre schöner als die Eremitage. Wenigstens war sie es am 5 Jul. Pflükte Vergismeinnicht, um von meinem Arme loszukommen -- Schlief um 3 Uhr ein, stand um 4 auf und schrieb gegenwärtiges in meine Lebensgeschichte." Verzeihen Sie meine mänliche Schwaz- haftigkeit. Ein paar Morgenwolken dürfen Ihre Reise nicht ver-5 schieben: der Tag steht oft närrisch auf und besonders hat der Sontag sein Sonabends- und Nachtkleid bis um 12 Uhr an. Ich wünschte Otto II ein 4tes Pläzgen in Ihrem Wagen. Ich bin mit 250 000 Empfehlungen etc.
327. An Wernlein in Hof.
[Kopie][Schwarzenbach, 5. Juli 1790. Montag]
Ich wolte die Antwort anfangen, als meine Nachfahrer nachgerolt kamen. Glauben Sie aber nicht, daß ein armer Novizenmeister wie ich darauf närrisch stolz ist, daß in seine Stube ein Tagschmetterling, ein Dämmerungsvogel und der Naturforscher von beiden flatterten --15 denn ich weis aus Geschichte und Nachdenken, wie kurz und klein ieder Ruhm, selbst der gröste ist und wie, indem das Ganze der Vergangen- heit im Gedächtnis der Nachwelt immer aufschwilt, die Theile derselben immer mehr eindorren: solche Betrachtungen hindern einen, sich über andre Menschen und Hofmeister zu erheben, wenn ihn die Höfer20 besuchen. -- Ein vergnügter Weg, nicht blos wegen dessen, was ich erwartete, sondern schon in Händen hatte. Ich wolte, Asia, Afrika etc., [312]Südindien (des unentdekten Nordindiens nicht zu erwähnen) schriebe an mich und zwar so etc. -- so gefrässig bin ich im Brieflesen. Ich hätte Ihnen nach Ihrem langen Verweilen im Mondsschatten Ihrer25 Studierstube nicht so eilig geantwortet, köderte mich nicht Ihr Ver- sprechen künftiger Polygraphie an.... Ich eile nach einem Sprunge über Ihren humoristischen Anfang .. Was Sie vom Gefühl sagen, ist so richtig, daß ich ohne dies mich selbst nicht erwehren könte, ein Wolfianer etc. zu sein -- wogegen ich in meinem Morgen-, Vesper- und30 Nachtsegen nicht genug beten kan. Sobald aber von Demonstrazion (dem Dissenter vom Gefühl) die Rede ist: so wird die Schwierigkeit der gleichzeitigen Aufziehung der beiden ähnlichen Reihen sicher kleiner a) durch den Zufal, den auch der Influxist eingestehen mus, da er ihm doch die gleichzeitige Aufziehung ziemlich zusammentönender35 Vorstellungsreihen verdanken mus, b) dadurch daß der Harmonist nur
ſie wäre ſchöner als die Eremitage. Wenigſtens war ſie es am 5 Jul. Pflükte Vergismeinnicht, um von meinem Arme loszukommen — Schlief um 3 Uhr ein, ſtand um 4 auf und ſchrieb gegenwärtiges in meine Lebensgeſchichte.“ Verzeihen Sie meine mänliche Schwaz- haftigkeit. Ein paar Morgenwolken dürfen Ihre Reiſe nicht ver-5 ſchieben: der Tag ſteht oft närriſch auf und beſonders hat der Sontag ſein Sonabends- und Nachtkleid bis um 12 Uhr an. Ich wünſchte Otto II ein 4tes Pläzgen in Ihrem Wagen. Ich bin mit 250 000 Empfehlungen ꝛc.
327. An Wernlein in Hof.
[Kopie][Schwarzenbach, 5. Juli 1790. Montag]
Ich wolte die Antwort anfangen, als meine Nachfahrer nachgerolt kamen. Glauben Sie aber nicht, daß ein armer Novizenmeiſter wie ich darauf närriſch ſtolz iſt, daß in ſeine Stube ein Tagſchmetterling, ein Dämmerungsvogel und der Naturforſcher von beiden flatterten —15 denn ich weis aus Geſchichte und Nachdenken, wie kurz und klein ieder Ruhm, ſelbſt der gröſte iſt und wie, indem das Ganze der Vergangen- heit im Gedächtnis der Nachwelt immer aufſchwilt, die Theile derſelben immer mehr eindorren: ſolche Betrachtungen hindern einen, ſich über andre Menſchen und Hofmeiſter zu erheben, wenn ihn die Höfer20 beſuchen. — Ein vergnügter Weg, nicht blos wegen deſſen, was ich erwartete, ſondern ſchon in Händen hatte. Ich wolte, Aſia, Afrika ꝛc., [312]Südindien (des unentdekten Nordindiens nicht zu erwähnen) ſchriebe an mich und zwar ſo ꝛc. — ſo gefräſſig bin ich im Briefleſen. Ich hätte Ihnen nach Ihrem langen Verweilen im Mondsſchatten Ihrer25 Studierſtube nicht ſo eilig geantwortet, köderte mich nicht Ihr Ver- ſprechen künftiger Polygraphie an.... Ich eile nach einem Sprunge über Ihren humoriſtiſchen Anfang .. Was Sie vom Gefühl ſagen, iſt ſo richtig, daß ich ohne dies mich ſelbſt nicht erwehren könte, ein Wolfianer ꝛc. zu ſein — wogegen ich in meinem Morgen-, Veſper- und30 Nachtſegen nicht genug beten kan. Sobald aber von Demonſtrazion (dem Diſſenter vom Gefühl) die Rede iſt: ſo wird die Schwierigkeit der gleichzeitigen Aufziehung der beiden ähnlichen Reihen ſicher kleiner a) durch den Zufal, den auch der Influxiſt eingeſtehen mus, da er ihm doch die gleichzeitige Aufziehung ziemlich zuſammentönender35 Vorſtellungsreihen verdanken mus, b) dadurch daß der Harmoniſt nur
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ſie wäre ſchöner als die Eremitage. Wenigſtens war ſie es am 5 Jul.
Pflükte Vergismeinnicht, um von meinem Arme loszukommen —
Schlief um 3 Uhr ein, ſtand um 4 auf und ſchrieb gegenwärtiges
in meine Lebensgeſchichte.“ Verzeihen Sie meine mänliche Schwaz-
haftigkeit. Ein paar Morgenwolken dürfen Ihre Reiſe nicht ver- 5
ſchieben: der Tag ſteht oft närriſch auf und beſonders hat der Sontag
ſein Sonabends- und Nachtkleid bis um 12 Uhr an. Ich wünſchte
Otto II ein 4tes Pläzgen in Ihrem Wagen. Ich bin mit 250 000
Empfehlungen ꝛc.
327. An Wernlein in Hof.
[Schwarzenbach, 5. Juli 1790. Montag]
Ich wolte die Antwort anfangen, als meine Nachfahrer nachgerolt
kamen. Glauben Sie aber nicht, daß ein armer Novizenmeiſter wie
ich darauf närriſch ſtolz iſt, daß in ſeine Stube ein Tagſchmetterling,
ein Dämmerungsvogel und der Naturforſcher von beiden flatterten — 15
denn ich weis aus Geſchichte und Nachdenken, wie kurz und klein ieder
Ruhm, ſelbſt der gröſte iſt und wie, indem das Ganze der Vergangen-
heit im Gedächtnis der Nachwelt immer aufſchwilt, die Theile derſelben
immer mehr eindorren: ſolche Betrachtungen hindern einen, ſich über
andre Menſchen und Hofmeiſter zu erheben, wenn ihn die Höfer 20
beſuchen. — Ein vergnügter Weg, nicht blos wegen deſſen, was ich
erwartete, ſondern ſchon in Händen hatte. Ich wolte, Aſia, Afrika ꝛc.,
Südindien (des unentdekten Nordindiens nicht zu erwähnen) ſchriebe
an mich und zwar ſo ꝛc. — ſo gefräſſig bin ich im Briefleſen. Ich hätte
Ihnen nach Ihrem langen Verweilen im Mondsſchatten Ihrer 25
Studierſtube nicht ſo eilig geantwortet, köderte mich nicht Ihr Ver-
ſprechen künftiger Polygraphie an.... Ich eile nach einem Sprunge
über Ihren humoriſtiſchen Anfang .. Was Sie vom Gefühl ſagen,
iſt ſo richtig, daß ich ohne dies mich ſelbſt nicht erwehren könte, ein
Wolfianer ꝛc. zu ſein — wogegen ich in meinem Morgen-, Veſper- und 30
Nachtſegen nicht genug beten kan. Sobald aber von Demonſtrazion
(dem Diſſenter vom Gefühl) die Rede iſt: ſo wird die Schwierigkeit
der gleichzeitigen Aufziehung der beiden ähnlichen Reihen ſicher
kleiner a) durch den Zufal, den auch der Influxiſt eingeſtehen mus, da
er ihm doch die gleichzeitige Aufziehung ziemlich zuſammentönender 35
Vorſtellungsreihen verdanken mus, b) dadurch daß der Harmoniſt nur
[312]
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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