wachsen; da ferner so eine Tracht in keiner Rüksicht christlich ist, weil sonst Personen, die Christen sind, sie haben würden; und da besonders dem Endes Unterschriebenen seine Haare so viel geschadet wie dem Absalon die seinigen, wiewol aus umgekehrten Gründen; und da ihm unter der Hand berichtet worden, daß man ihn ins Grab zu bringen5 suchte, weil da die Haare unter keiner Scheere wüchsen: so macht er bekant, daß er freiwillig so lange nicht passen wil. Es wird daher einem gnädigen hochedelgebornen etc. Publikum gemeldet, daß Endes Unter- zeichneter gesonnen ist, am nächsten Sontage in verschiedenen wichtigen Gassen mit einem kurzen falschen Zopfe zu erscheinen und mit diesem10 Zopfe gleichsam wie mit einem Magnete und Seile der Liebe und Zauberstabe sich in den Besiz der Liebe eines ieden, er heisse wie er wolle, gewaltsam zu sezen.
281. An Hermann in Göttingen.
Avant propos[Hof] 23 Sept. [1789]15
Alle Vorreden fangen an: geneigter Leser; aber diese [?] mus sagen: ungeneigter Leser. Denn du bestrafst mein Stilschweigen hart durch deines und die Busse ist grösser als der Fehler. Kontest du denn keine Entschuldigung für mein unnatürliches Schweigen aussinnen und mustest du ihm gerade die unnatürliche Ursache leihen, die dich zum20 Erwiedern trieb? Kontest du nicht denken, Richter sizet in Haft bei Engelh[ardt], oder hat das Chiragra (wie Trog[enprediger] das Podagra) oder einen Wurm im Finger oder ist gar tod? Bei solchen[284] wahrscheinlichen Vermuthungen hättest du doch bleiben sollen, eh' du zur unwahrscheinlichen der Kälte oder des nicht [?] griffest. Aber lese25 die folgenden Blätter: so wirst du sehen, daß ich Briefe an dich wenn nicht schikte doch immer schrieb und zweitens was für ein Segment der heissen und kalten Kometenbahn mich das Schiksal bisher be- schreiben lassen. --
Töpen den 4 Apr.30
Guter, scharfsichtiger, glüklicher und glüklichmachender Freund, und auf der andern Seite wieder [?]
Närrischer blinder, hypochondrischer Selbstfeind.
Haller [erzählt]: ein gewisser Kerl habe sich in den Kopf gesezt, er habe keinen und daß man ihn durch Aufladung eines bleiernen Hutes35 herstelte. Den Kerl hab' ich genau gekant, mein lieber Herman; es
wachſen; da ferner ſo eine Tracht in keiner Rükſicht chriſtlich iſt, weil ſonſt Perſonen, die Chriſten ſind, ſie haben würden; und da beſonders dem Endes Unterſchriebenen ſeine Haare ſo viel geſchadet wie dem Abſalon die ſeinigen, wiewol aus umgekehrten Gründen; und da ihm unter der Hand berichtet worden, daß man ihn ins Grab zu bringen5 ſuchte, weil da die Haare unter keiner Scheere wüchſen: ſo macht er bekant, daß er freiwillig ſo lange nicht paſſen wil. Es wird daher einem gnädigen hochedelgebornen ꝛc. Publikum gemeldet, daß Endes Unter- zeichneter geſonnen iſt, am nächſten Sontage in verſchiedenen wichtigen Gaſſen mit einem kurzen falſchen Zopfe zu erſcheinen und mit dieſem10 Zopfe gleichſam wie mit einem Magnete und Seile der Liebe und Zauberſtabe ſich in den Beſiz der Liebe eines ieden, er heiſſe wie er wolle, gewaltſam zu ſezen.
281. An Hermann in Göttingen.
Avant propos[Hof] 23 Sept. [1789]15
Alle Vorreden fangen an: geneigter Leſer; aber dieſe [?] mus ſagen: ungeneigter Leſer. Denn du beſtrafſt mein Stilſchweigen hart durch deines und die Buſſe iſt gröſſer als der Fehler. Konteſt du denn keine Entſchuldigung für mein unnatürliches Schweigen ausſinnen und muſteſt du ihm gerade die unnatürliche Urſache leihen, die dich zum20 Erwiedern trieb? Konteſt du nicht denken, Richter ſizet in Haft bei Engelh[ardt], oder hat das Chiragra (wie Trog[enprediger] das Podagra) oder einen Wurm im Finger oder iſt gar tod? Bei ſolchen[284] wahrſcheinlichen Vermuthungen hätteſt du doch bleiben ſollen, eh’ du zur unwahrſcheinlichen der Kälte oder des nicht [?] griffeſt. Aber leſe25 die folgenden Blätter: ſo wirſt du ſehen, daß ich Briefe an dich wenn nicht ſchikte doch immer ſchrieb und zweitens was für ein Segment der heiſſen und kalten Kometenbahn mich das Schikſal bisher be- ſchreiben laſſen. —
Töpen den 4 Apr.30
Guter, ſcharfſichtiger, glüklicher und glüklichmachender Freund, und auf der andern Seite wieder [?]
Närriſcher blinder, hypochondriſcher Selbſtfeind.
Haller [erzählt]: ein gewiſſer Kerl habe ſich in den Kopf geſezt, er habe keinen und daß man ihn durch Aufladung eines bleiernen Hutes35 herſtelte. Den Kerl hab’ ich genau gekant, mein lieber Herman; es
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ſonſt Perſonen, die Chriſten ſind, ſie haben würden; und da beſonders
dem Endes Unterſchriebenen ſeine Haare ſo viel geſchadet wie dem
Abſalon die ſeinigen, wiewol aus umgekehrten Gründen; und da ihm
unter der Hand berichtet worden, daß man ihn ins Grab zu bringen 5
ſuchte, weil da die Haare unter keiner Scheere wüchſen: ſo macht er
bekant, daß er freiwillig ſo lange nicht paſſen wil. Es wird daher einem
gnädigen hochedelgebornen ꝛc. Publikum gemeldet, daß Endes Unter-
zeichneter geſonnen iſt, am nächſten Sontage in verſchiedenen wichtigen
Gaſſen mit einem kurzen falſchen Zopfe zu erſcheinen und mit dieſem 10
Zopfe gleichſam wie mit einem Magnete und Seile der Liebe und
Zauberſtabe ſich in den Beſiz der Liebe eines ieden, er heiſſe wie er
wolle, gewaltſam zu ſezen.
281. An Hermann in Göttingen.
Avant propos [Hof] 23 Sept. [1789] 15
Alle Vorreden fangen an: geneigter Leſer; aber dieſe [?] mus ſagen:
ungeneigter Leſer. Denn du beſtrafſt mein Stilſchweigen hart durch
deines und die Buſſe iſt gröſſer als der Fehler. Konteſt du denn keine
Entſchuldigung für mein unnatürliches Schweigen ausſinnen und
muſteſt du ihm gerade die unnatürliche Urſache leihen, die dich zum 20
Erwiedern trieb? Konteſt du nicht denken, Richter ſizet in Haft bei
Engelh[ardt], oder hat das Chiragra (wie Trog[enprediger] das
Podagra) oder einen Wurm im Finger oder iſt gar tod? Bei ſolchen
wahrſcheinlichen Vermuthungen hätteſt du doch bleiben ſollen, eh’ du
zur unwahrſcheinlichen der Kälte oder des nicht [?] griffeſt. Aber leſe 25
die folgenden Blätter: ſo wirſt du ſehen, daß ich Briefe an dich wenn
nicht ſchikte doch immer ſchrieb und zweitens was für ein Segment
der heiſſen und kalten Kometenbahn mich das Schikſal bisher be-
ſchreiben laſſen. —
[284]
Töpen den 4 Apr. 30
Guter, ſcharfſichtiger, glüklicher und glüklichmachender Freund,
und auf der andern Seite wieder [?]
Närriſcher blinder, hypochondriſcher Selbſtfeind.
Haller [erzählt]: ein gewiſſer Kerl habe ſich in den Kopf geſezt, er
habe keinen und daß man ihn durch Aufladung eines bleiernen Hutes 35
herſtelte. Den Kerl hab’ ich genau gekant, mein lieber Herman; es
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/294>, abgerufen am 04.07.2024.
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