Es ist Schade, daß dich das Wetter nicht herunterverlokt: ich könte dich in die Komödie führen. Nun ists meine Pflicht, sie dir zu erzählen,5 und deine, sie zu lesen. Die Truppe beläuft sich nicht unter Einem Man. Denn ich mag seine Frau nicht dazu mitzählen, weil sie be- kantermassen blos das Einlasgeld in Empfang nimt. Es kan der gesamten Christenheit nichts schaden, wenn ich blos bemerke, daß das Schauspielhaus ein wahres Wirthshaus war: Leute, die mich und10 Töpen heruntersezen wollen, sagen gar, es war nur die obere Stube, welches leider wahr ist. Denn im ganzen Töpen ist nur ein einziges wirkliches Opernhaus und das wil der Pfarrer, man mag ihm singen und sagen was man wil, durchaus nicht herleihen: die Entree in diesem kömt auf Einen Pfennig alzeit. Für das Schauspiel aber,15 weswegen ich dieses feine Papier verbrauche, sind für verschiedene Stände verschiedene Pläze: den schlechtesten erkauft man mit 1 Kreuzer, den besten, der für die hiesigen Honorazioren (wie ich denn selber einer der ersten darunter zu sein verhoffe) offen gehalten wurde, muste man nach Belieben bezahlen. Das Orchester hieng in Gestalt einer20 Trommel an der Wand und war schon auf der Gasse hinlänglich ge- rühret worden. Man hätte auch in der Opernstube selber kein Wort von der Trommel wegen des Getöses vernehmen können, das draussen die Bauern in Handelsgeschäften verführten: denn sie handelten iüdisch und nicht christlich um das Entreegeld und ich schäme mich, es25 [254]nach Hof zu melden, ein paar wolten gratis hinein. Die wichtigsten und nächsten Pläze waren (wie es selbst in grossen Städten, z. B. in Hof ist) mit alten Sesseln besezt und darauf sassen wir, ich und mein Eleve als die erheblichsten Honorazioren voran: denn ia ob über- haupt der Kantor zu unserer Rechten und der Bader und ein Zahnarzt30 zur linken diesen in meinen Augen wichtigen Titel völlig verdienen, das sollen Ausländer unpartheiisch entscheiden. Inzwischen giengs zulezt wie in der Auferstehung und den Saturnalien her, die ent- ferntesten Stände wurden vermischt und ein gewisser Junge stand mir (wie ich halb und ganz erweisen wolte) am Ende auf 2 Schritte35 vor.
219. An Chriſtian Otto.
[Nicht abgeſchickt][Töpen, Mai 1788?]
Lieber Otto,
Es iſt Schade, daß dich das Wetter nicht herunterverlokt: ich könte dich in die Komödie führen. Nun iſts meine Pflicht, ſie dir zu erzählen,5 und deine, ſie zu leſen. Die Truppe beläuft ſich nicht unter Einem Man. Denn ich mag ſeine Frau nicht dazu mitzählen, weil ſie be- kantermaſſen blos das Einlasgeld in Empfang nimt. Es kan der geſamten Chriſtenheit nichts ſchaden, wenn ich blos bemerke, daß das Schauſpielhaus ein wahres Wirthshaus war: Leute, die mich und10 Töpen herunterſezen wollen, ſagen gar, es war nur die obere Stube, welches leider wahr iſt. Denn im ganzen Töpen iſt nur ein einziges wirkliches Opernhaus und das wil der Pfarrer, man mag ihm ſingen und ſagen was man wil, durchaus nicht herleihen: die Entrée in dieſem kömt auf Einen Pfennig alzeit. Für das Schauſpiel aber,15 weswegen ich dieſes feine Papier verbrauche, ſind für verſchiedene Stände verſchiedene Pläze: den ſchlechteſten erkauft man mit 1 Kreuzer, den beſten, der für die hieſigen Honorazioren (wie ich denn ſelber einer der erſten darunter zu ſein verhoffe) offen gehalten wurde, muſte man nach Belieben bezahlen. Das Orcheſter hieng in Geſtalt einer20 Trommel an der Wand und war ſchon auf der Gaſſe hinlänglich ge- rühret worden. Man hätte auch in der Opernſtube ſelber kein Wort von der Trommel wegen des Getöſes vernehmen können, das drauſſen die Bauern in Handelsgeſchäften verführten: denn ſie handelten iüdiſch und nicht chriſtlich um das Entréegeld und ich ſchäme mich, es25 [254]nach Hof zu melden, ein paar wolten gratis hinein. Die wichtigſten und nächſten Pläze waren (wie es ſelbſt in groſſen Städten, z. B. in Hof iſt) mit alten Seſſeln beſezt und darauf ſaſſen wir, ich und mein Eleve als die erheblichſten Honorazioren voran: denn 〈ia〉 ob 〈über- haupt〉 der Kantor zu unſerer Rechten und der Bader und ein Zahnarzt30 zur linken dieſen in meinen Augen wichtigen Titel völlig verdienen, das ſollen Ausländer unpartheiiſch entſcheiden. Inzwiſchen giengs zulezt wie in der Auferſtehung und den Saturnalien her, die ent- fernteſten Stände wurden vermiſcht und ein gewiſſer Junge ſtand mir (wie ich halb und ganz erweiſen wolte) am Ende auf 2 Schritte35 vor.
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219. An Chriſtian Otto.
[Töpen, Mai 1788?]
Lieber Otto,
Es iſt Schade, daß dich das Wetter nicht herunterverlokt: ich könte
dich in die Komödie führen. Nun iſts meine Pflicht, ſie dir zu erzählen, 5
und deine, ſie zu leſen. Die Truppe beläuft ſich nicht unter Einem
Man. Denn ich mag ſeine Frau nicht dazu mitzählen, weil ſie be-
kantermaſſen blos das Einlasgeld in Empfang nimt. Es kan der
geſamten Chriſtenheit nichts ſchaden, wenn ich blos bemerke, daß das
Schauſpielhaus ein wahres Wirthshaus war: Leute, die mich und 10
Töpen herunterſezen wollen, ſagen gar, es war nur die obere Stube,
welches leider wahr iſt. Denn im ganzen Töpen iſt nur ein einziges
wirkliches Opernhaus und das wil der Pfarrer, man mag ihm ſingen
und ſagen was man wil, durchaus nicht herleihen: die Entrée in
dieſem kömt auf Einen Pfennig alzeit. Für das Schauſpiel aber, 15
weswegen ich dieſes feine Papier verbrauche, ſind für verſchiedene
Stände verſchiedene Pläze: den ſchlechteſten erkauft man mit 1 Kreuzer,
den beſten, der für die hieſigen Honorazioren (wie ich denn ſelber
einer der erſten darunter zu ſein verhoffe) offen gehalten wurde, muſte
man nach Belieben bezahlen. Das Orcheſter hieng in Geſtalt einer 20
Trommel an der Wand und war ſchon auf der Gaſſe hinlänglich ge-
rühret worden. Man hätte auch in der Opernſtube ſelber kein Wort
von der Trommel wegen des Getöſes vernehmen können, das drauſſen
die Bauern in Handelsgeſchäften verführten: denn ſie handelten
iüdiſch und nicht chriſtlich um das Entréegeld und ich ſchäme mich, es 25
nach Hof zu melden, ein paar wolten gratis hinein. Die wichtigſten
und nächſten Pläze waren (wie es ſelbſt in groſſen Städten, z. B. in
Hof iſt) mit alten Seſſeln beſezt und darauf ſaſſen wir, ich und mein
Eleve als die erheblichſten Honorazioren voran: denn 〈ia〉 ob 〈über-
haupt〉 der Kantor zu unſerer Rechten und der Bader und ein Zahnarzt 30
zur linken dieſen in meinen Augen wichtigen Titel völlig verdienen,
das ſollen Ausländer unpartheiiſch entſcheiden. Inzwiſchen giengs
zulezt wie in der Auferſtehung und den Saturnalien her, die ent-
fernteſten Stände wurden vermiſcht und ein gewiſſer Junge ſtand
mir (wie ich halb und ganz erweiſen wolte) am Ende auf 2 Schritte 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/265>, abgerufen am 25.11.2024.
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