einmal sagt, er habe sein Briefkopierbuch so eingerichtet, daß man es sogleich in die Druckerei schicken könne1). Er dachte dabei wohl an die Auslassung alles Persönlichen und Gewöhnlichen, die Beschränkung auf die "Brillanten". Aber solche herausgepflückten Rosinen ohne den Teig, das Salz allein ohne die Brühe sind nicht nach jedermanns Ge- schmack. Ernst Förster hat bei seinen Veröffentlichungen aus den Brief- büchern durch oft recht kühne und willkürliche Ergänzungen der Lücken, ohne sie als solche zu kennzeichnen, einen halbwegs zusammenhängenden Text herzustellen versucht, ein Verfahren, das ebenso bedenklich ist wie das Restaurieren antiker Statuen. Wie sehr er dabei zuweilen vorbei- gegriffen hat, zeigen Fälle, in denen sich nachträglich der Originalbrief gefunden hat2). Der heutige Herausgeber muß sich darauf beschränken, höchstens einzelne Wörter, die sich aus dem Zusammenhang oder aus andern Quellen, z. B. dem beantworteten oder antwortenden Brief, mit Sicherheit ergänzen lassen, in eckigen Klammern einzusetzen. Im übrigen ist es Sache der Anmerkungen, alles anzuführen, was zum Verständnis oder zur Ergänzung der Bruchstücke dienen kann. Manche Stellen trotzen natürlich allen Bemühungen; da bleibt es der Phantasie des Lesers überlassen, die disjecta membra zu einem Ganzen zusammen- zufügen.
Zu der Lückenhaftigkeit der Kopien kommt nun als weitere Er- schwerung noch die meist sehr flüchtige, stark abkürzende Schrift, bei Konzepten auch noch zahlreiche Korrekturen. Was bei leichtfertiger Wiedergabe dieser Schrift herauskommen kann, davon ließen sich viele abschreckende Beispiele anführen3). Ich darf behaupten, keine Zeit und Mühe gescheut zu haben; auf Unfehlbarkeit kann aber auch mein Text keinen Anspruch erheben.
1)I. Abt., XVII, 140,29--31.
2) So ergänzt Förster 201,16, wo die Kopie nur "Meine dritten Bitte ist p." hat: "Meine dritte Bitte ist die des Katechismus." (Wahrheit IV, 61.) 265,10f. ergänzt er sinnlos: "ihr Redakteur und der Jude Mendel." (Wahrheit IV, 221.)
3) So macht Ernst Förster aus Mosers Zettelkästchen (285,32) Mosis Zettel- kasten, aus der gefütterten Thüre (349,10) gefütterte Thiere (Wahrheit IV, 244 u. 285), aus Tieckischer Sorglosigkeit eine tückische (III. Abt., VIII, 65,13). Statt "vom Grund des Grundes zum Grund des Grundes des Grundes ge- wiesen" (305,31f.) liest Josef Müller: "von Gott durch Gott zu Gott des Gottes gewiß" (Euphorion VII, 304).
einmal ſagt, er habe ſein Briefkopierbuch ſo eingerichtet, daß man es ſogleich in die Druckerei ſchicken könne1). Er dachte dabei wohl an die Auslaſſung alles Perſönlichen und Gewöhnlichen, die Beſchränkung auf die „Brillanten“. Aber ſolche herausgepflückten Roſinen ohne den Teig, das Salz allein ohne die Brühe ſind nicht nach jedermanns Ge- ſchmack. Ernſt Förſter hat bei ſeinen Veröffentlichungen aus den Brief- büchern durch oft recht kühne und willkürliche Ergänzungen der Lücken, ohne ſie als ſolche zu kennzeichnen, einen halbwegs zuſammenhängenden Text herzuſtellen verſucht, ein Verfahren, das ebenſo bedenklich iſt wie das Reſtaurieren antiker Statuen. Wie ſehr er dabei zuweilen vorbei- gegriffen hat, zeigen Fälle, in denen ſich nachträglich der Originalbrief gefunden hat2). Der heutige Herausgeber muß ſich darauf beſchränken, höchſtens einzelne Wörter, die ſich aus dem Zuſammenhang oder aus andern Quellen, z. B. dem beantworteten oder antwortenden Brief, mit Sicherheit ergänzen laſſen, in eckigen Klammern einzuſetzen. Im übrigen iſt es Sache der Anmerkungen, alles anzuführen, was zum Verſtändnis oder zur Ergänzung der Bruchſtücke dienen kann. Manche Stellen trotzen natürlich allen Bemühungen; da bleibt es der Phantaſie des Leſers überlaſſen, die disjecta membra zu einem Ganzen zuſammen- zufügen.
Zu der Lückenhaftigkeit der Kopien kommt nun als weitere Er- ſchwerung noch die meiſt ſehr flüchtige, ſtark abkürzende Schrift, bei Konzepten auch noch zahlreiche Korrekturen. Was bei leichtfertiger Wiedergabe dieſer Schrift herauskommen kann, davon ließen ſich viele abſchreckende Beiſpiele anführen3). Ich darf behaupten, keine Zeit und Mühe geſcheut zu haben; auf Unfehlbarkeit kann aber auch mein Text keinen Anſpruch erheben.
1)I. Abt., XVII, 140,29—31.
2) So ergänzt Förſter 201,16, wo die Kopie nur „Meine dritten Bitte iſt p.“ hat: „Meine dritte Bitte iſt die des Katechismus.“ (Wahrheit IV, 61.) 265,10f. ergänzt er ſinnlos: „ihr Redakteur und der Jude Mendel.“ (Wahrheit IV, 221.)
3) So macht Ernſt Förſter aus Moſers Zettelkäſtchen (285,32) Moſis Zettel- kaſten, aus der gefütterten Thüre (349,10) gefütterte Thiere (Wahrheit IV, 244 u. 285), aus Tieckiſcher Sorgloſigkeit eine tückiſche (III. Abt., VIII, 65,13). Statt „vom Grund des Grundes zum Grund des Grundes des Grundes ge- wieſen“ (305,31f.) lieſt Joſef Müller: „von Gott durch Gott zu Gott des Gottes gewiß“ (Euphorion VII, 304).
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[XVIII/0017]
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ſogleich in die Druckerei ſchicken könne 1). Er dachte dabei wohl an die
Auslaſſung alles Perſönlichen und Gewöhnlichen, die Beſchränkung
auf die „Brillanten“. Aber ſolche herausgepflückten Roſinen ohne den
Teig, das Salz allein ohne die Brühe ſind nicht nach jedermanns Ge-
ſchmack. Ernſt Förſter hat bei ſeinen Veröffentlichungen aus den Brief-
büchern durch oft recht kühne und willkürliche Ergänzungen der Lücken,
ohne ſie als ſolche zu kennzeichnen, einen halbwegs zuſammenhängenden
Text herzuſtellen verſucht, ein Verfahren, das ebenſo bedenklich iſt wie
das Reſtaurieren antiker Statuen. Wie ſehr er dabei zuweilen vorbei-
gegriffen hat, zeigen Fälle, in denen ſich nachträglich der Originalbrief
gefunden hat 2). Der heutige Herausgeber muß ſich darauf beſchränken,
höchſtens einzelne Wörter, die ſich aus dem Zuſammenhang oder aus
andern Quellen, z. B. dem beantworteten oder antwortenden Brief,
mit Sicherheit ergänzen laſſen, in eckigen Klammern einzuſetzen. Im
übrigen iſt es Sache der Anmerkungen, alles anzuführen, was zum
Verſtändnis oder zur Ergänzung der Bruchſtücke dienen kann. Manche
Stellen trotzen natürlich allen Bemühungen; da bleibt es der Phantaſie
des Leſers überlaſſen, die disjecta membra zu einem Ganzen zuſammen-
zufügen.
Zu der Lückenhaftigkeit der Kopien kommt nun als weitere Er-
ſchwerung noch die meiſt ſehr flüchtige, ſtark abkürzende Schrift, bei
Konzepten auch noch zahlreiche Korrekturen. Was bei leichtfertiger
Wiedergabe dieſer Schrift herauskommen kann, davon ließen ſich viele
abſchreckende Beiſpiele anführen 3). Ich darf behaupten, keine Zeit und
Mühe geſcheut zu haben; auf Unfehlbarkeit kann aber auch mein Text
keinen Anſpruch erheben.
1) I. Abt., XVII, 140,29—31.
2) So ergänzt Förſter 201,16, wo die Kopie nur „Meine dritten Bitte iſt p.“
hat: „Meine dritte Bitte iſt die des Katechismus.“ (Wahrheit IV, 61.) 265,10f.
ergänzt er ſinnlos: „ihr Redakteur und der Jude Mendel.“ (Wahrheit IV, 221.)
3) So macht Ernſt Förſter aus Moſers Zettelkäſtchen (285,32) Moſis Zettel-
kaſten, aus der gefütterten Thüre (349,10) gefütterte Thiere (Wahrheit IV, 244
u. 285), aus Tieckiſcher Sorgloſigkeit eine tückiſche (III. Abt., VIII, 65,13).
Statt „vom Grund des Grundes zum Grund des Grundes des Grundes ge-
wieſen“ (305,31f.) lieſt Joſef Müller: „von Gott durch Gott zu Gott des Gottes
gewiß“ (Euphorion VII, 304).
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/17>, abgerufen am 04.07.2024.
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