und scriptus, den lauter Freunde bewohnen. Seines Inhalts wegen, träumte mir heute früh, hat es Anspruch auf den Namen einer Lieder- konkordanz und Polyglottenbibel. Auch enthält es Pränumerazions- scheine auf künftige Freundschaft, welche stets gelten. Was man hinein schreibt, ist ein wahres dictum probans der wärmsten Liebe. Ein5 Spruchkästlein ist auch manches; und ein Naturalienkabinet von Geburten, welche nicht überal zu sehen sind. Die Stambücher sind, meines Bedünkens, der einzige aber auch stärkste Beweis, daß die Gastfreundschaft unter uns noch nicht ausgestorben: denn mit der edelsten Bereitwilligkeit nimt man den Freund -- wenn gleich nicht10 in das Haus, doch -- in das Stambuch auf; das leztere steht ihm stets offen und er kan darin so lange seinen Siz aufschlagen als die Wohnung selber dauert. -- Den Vers oder den Spruch, den die Freundschaft in dasselbe schreibt, kan man ohne Anstand für das Sterbelied oder den Leichentext ansehn, den sie vor ihrem Tode sich selbst gewählet. --15 Endlich schikken sich in das Stambuch ausser diesem allen wol nichts besser als Zoten; einen stärkern Beweis der Freundschaft als diese kenn' ich wenigstens nicht: denn wenn es freundschaftlich ist, sich dem Freunde ohne Maske, Schminke und Puz zu zeigen; wie unendlich freundschaftlicher mus es nicht sein, vor ihm die partes pudendas auf-20 zudekken? Sprachs.
Die Wahrheit sprach aber so:
Lieber Satyr und lieber H. Richter, ein Stambuch ist auch ein Pantheon, in welches weitzerstreute Freunde zusammenkommen und zusammen walfarthen. Es ist das Sat- und Ernteregister der Freunde;25 es ist das h. Grab derselben; oder die Grabschriftensamlung von denenselbst, die wir nimmer sehen aber noch lieben. Es erzählt, wenn die Hare die Farbe der Unschuld angenommen, die Biographie der roth- wangichten Jugendiahre und zitirt die Freunde, die es überlebte, in die Erinnerung zurük. Es -- -- -- Weis mir, sagt' ich, ein solches Stam-30 buch. Hier zog sie Ihres aus der Tasche und ersuchte mich aufs höflichste, mich hineinzuschreiben. Aber womit sol ich dasselbe zieren? Mir fält weder ein eigner noch ein fremder Einfal bei. Ich schreibe also lieber nichts hinein und begnüge mich, nur zu sagen:
Wenn Sie sich zuweilen unter den Stambaum Ihrer[130]35 Freundschaft sezen und Ihre Fr[eunde] überdenken: so sehen Sie sich um und in dem Baum werden Sie auch
und scriptus, den lauter Freunde bewohnen. Seines Inhalts wegen, träumte mir heute früh, hat es Anſpruch auf den Namen einer Lieder- konkordanz und Polyglottenbibel. Auch enthält es Pränumerazions- ſcheine auf künftige Freundſchaft, welche ſtets gelten. Was man hinein ſchreibt, iſt ein wahres dictum probans der wärmſten Liebe. Ein5 Spruchkäſtlein iſt auch manches; und ein Naturalienkabinet von Geburten, welche nicht überal zu ſehen ſind. Die Stambücher ſind, meines Bedünkens, der einzige aber auch ſtärkſte Beweis, daß die Gaſtfreundſchaft unter uns noch nicht ausgeſtorben: denn mit der edelſten Bereitwilligkeit nimt man den Freund — wenn gleich nicht10 in das Haus, doch — in das Stambuch auf; das leztere ſteht ihm ſtets offen und er kan darin ſo lange ſeinen Siz aufſchlagen als die Wohnung ſelber dauert. — Den Vers oder den Spruch, den die Freundſchaft in daſſelbe ſchreibt, kan man ohne Anſtand für das Sterbelied oder den Leichentext anſehn, den ſie vor ihrem Tode ſich ſelbſt gewählet. —15 Endlich ſchikken ſich in das Stambuch auſſer dieſem allen wol nichts beſſer als Zoten; einen ſtärkern Beweis der Freundſchaft als dieſe kenn’ ich wenigſtens nicht: denn wenn es freundſchaftlich iſt, ſich dem Freunde ohne Maſke, Schminke und Puz zu zeigen; wie unendlich freundſchaftlicher mus es nicht ſein, vor ihm die partes pudendas auf-20 zudekken? Sprachs.
Die Wahrheit ſprach aber ſo:
Lieber Satyr und lieber H. Richter, ein Stambuch iſt auch ein Pantheon, in welches weitzerſtreute Freunde zuſammenkommen und zuſammen walfarthen. Es iſt das Sat- und Ernteregiſter der Freunde;25 es iſt das h. Grab derſelben; oder die Grabſchriftenſamlung von denenſelbſt, die wir nimmer ſehen aber noch lieben. Es erzählt, wenn die Hare die Farbe der Unſchuld angenommen, die Biographie der roth- wangichten Jugendiahre und zitirt die Freunde, die es überlebte, in die Erinnerung zurük. Es — — — Weis mir, ſagt’ ich, ein ſolches Stam-30 buch. Hier zog ſie Ihres aus der Taſche und erſuchte mich aufs höflichſte, mich hineinzuſchreiben. Aber womit ſol ich daſſelbe zieren? Mir fält weder ein eigner noch ein fremder Einfal bei. Ich ſchreibe alſo lieber nichts hinein und begnüge mich, nur zu ſagen:
Wenn Sie ſich zuweilen unter den Stambaum Ihrer[130]35 Freundſchaft ſezen und Ihre Fr[eunde] überdenken: ſo ſehen Sie ſich um und in dem Baum werden Sie auch
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und scriptus, den lauter Freunde bewohnen. Seines Inhalts wegen,
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ſcheine auf künftige Freundſchaft, welche ſtets gelten. Was man hinein
ſchreibt, iſt ein wahres dictum probans der wärmſten Liebe. Ein 5
Spruchkäſtlein iſt auch manches; und ein Naturalienkabinet von
Geburten, welche nicht überal zu ſehen ſind. Die Stambücher ſind,
meines Bedünkens, der einzige aber auch ſtärkſte Beweis, daß die
Gaſtfreundſchaft unter uns noch nicht ausgeſtorben: denn mit der
edelſten Bereitwilligkeit nimt man den Freund — wenn gleich nicht 10
in das Haus, doch — in das Stambuch auf; das leztere ſteht ihm ſtets
offen und er kan darin ſo lange ſeinen Siz aufſchlagen als die Wohnung
ſelber dauert. — Den Vers oder den Spruch, den die Freundſchaft in
daſſelbe ſchreibt, kan man ohne Anſtand für das Sterbelied oder den
Leichentext anſehn, den ſie vor ihrem Tode ſich ſelbſt gewählet. — 15
Endlich ſchikken ſich in das Stambuch auſſer dieſem allen wol nichts
beſſer als Zoten; einen ſtärkern Beweis der Freundſchaft als dieſe
kenn’ ich wenigſtens nicht: denn wenn es freundſchaftlich iſt, ſich dem
Freunde ohne Maſke, Schminke und Puz zu zeigen; wie unendlich
freundſchaftlicher mus es nicht ſein, vor ihm die partes pudendas auf- 20
zudekken? Sprachs.
Die Wahrheit ſprach aber ſo:
Lieber Satyr und lieber H. Richter, ein Stambuch iſt auch ein
Pantheon, in welches weitzerſtreute Freunde zuſammenkommen und
zuſammen walfarthen. Es iſt das Sat- und Ernteregiſter der Freunde; 25
es iſt das h. Grab derſelben; oder die Grabſchriftenſamlung von
denenſelbſt, die wir nimmer ſehen aber noch lieben. Es erzählt, wenn die
Hare die Farbe der Unſchuld angenommen, die Biographie der roth-
wangichten Jugendiahre und zitirt die Freunde, die es überlebte, in die
Erinnerung zurük. Es — — — Weis mir, ſagt’ ich, ein ſolches Stam- 30
buch. Hier zog ſie Ihres aus der Taſche und erſuchte mich aufs
höflichſte, mich hineinzuſchreiben. Aber womit ſol ich daſſelbe zieren?
Mir fält weder ein eigner noch ein fremder Einfal bei. Ich ſchreibe alſo
lieber nichts hinein und begnüge mich, nur zu ſagen:
Wenn Sie ſich zuweilen unter den Stambaum Ihrer 35
Freundſchaft ſezen und Ihre Fr[eunde] überdenken: ſo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/145>, abgerufen am 24.11.2024.
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