gehalten werden; diese Mutmassung gab ich iedoch neulich auf, da ich bei einem guten Rechenmeister las, daß die Sündflut, die alle Menschen wie iunge Hunde ersäufte und zu deren Andenken die Engelländer sich am häufigsten im November ersäufen, am 7. November hereinbrach und auf der ganzen Erde nicht ein einziges Ufer übriglies. Es wäre aber5 ganz wider die Kleiderordnung, daß die Erde in demselben Monate solte verbrent werden, in dem sie ersäuft wurde und daß sie die Wasser- und Feuerprobe -- oder die Wasser- und Feuertaufe bei den ersten Christen -- zu Einer Zeit solte auszustehen haben. Verzeih übrigens, daß ich deine bunten iuristischen Ideen mit den schwarzrökkigten10 teologischen geärgert. Sind doch auch im ba[i]reuter Konsistorium Juristen und Theologen unter einander gequirlet; und übrigens wie weit ist denn ein heterodoxer Wolf im Schafskleid, der den geistlichen Hirten angreift, von dem iuristischen Wolf im Bärenpelz verschieden, der nicht den Hirten, sondern die Schafe anpakt und auch, fals er das15 bürgerliche Recht fleissig studirt hat, glüklich verzert. Das kanonische Recht leret den iuristischen Wolf, im Notfal stat des Schafs den geistlichen Hirten anzugreifen. Wären meine Muskeln unter den Bartharen weniger auf den lachenden Ton gestimt gewesen, so hätte ich um keine Verzeihung der eingemischten Teologie bei dir angehalten:20 denn als ein Christ bist du onehin nicht blos verpflichtet, zu lernen, daß, sondern auch, wenn der iüngste Tag einbricht. Das "Daß" hab' ich dich gelert, indem ich dich das "Wenn" gelert; denn wie wär' es möglich, daß der iüngste Tag am 7. November nicht, sondern zu einer andern Zeit käme, wenn er gar nicht käme? Die Ernsthaftigkeit spricht25 in meinen Briefen selten zu; behandle sie daher in dem iezigen so höflich wie einen seltnen Gast.
An das Ende der Welt erinnerte mich blos das Ende der Menschen, dessen Anblik sich iezt in unsern Gegenden vervielfältigt. Wasser verursachte die grosse Mortalitätstabelle im 1. Buch Mose; bei uns30 iezt scheint das zu Dünsten paraphrasirte Wasser uns Geschöpfen, die wir darin waten, denselben Untergang zu drohen. Seit meinem Aufent- halt ist die hiesige (und auch andere) Gegend mit Nebeln umschleiert [108]gewesen, die die Atmosphäre einer Stube vol dampfender Tobaks- raucher änlich machten. Dieser Nebel nam uns das Licht, iezt das35 Leben (andre Lesart: Lebenslicht); so war in Ägypten dikke Finsternis die eine Landplage, und ein Würgengel die andre. Du wonst im
gehalten werden; dieſe Mutmaſſung gab ich iedoch neulich auf, da ich bei einem guten Rechenmeiſter las, daß die Sündflut, die alle Menſchen wie iunge Hunde erſäufte und zu deren Andenken die Engelländer ſich am häufigſten im November erſäufen, am 7. November hereinbrach und auf der ganzen Erde nicht ein einziges Ufer übriglies. Es wäre aber5 ganz wider die Kleiderordnung, daß die Erde in demſelben Monate ſolte verbrent werden, in dem ſie erſäuft wurde und daß ſie die Waſſer- und Feuerprobe — oder die Waſſer- und Feuertaufe bei den erſten Chriſten — zu Einer Zeit ſolte auszuſtehen haben. Verzeih übrigens, daß ich deine bunten iuriſtiſchen Ideen mit den ſchwarzrökkigten10 teologiſchen geärgert. Sind doch auch im ba[i]reuter Konſiſtorium Juriſten und Theologen unter einander gequirlet; und übrigens wie weit iſt denn ein heterodoxer Wolf im Schafskleid, der den geiſtlichen Hirten angreift, von dem iuriſtiſchen Wolf im Bärenpelz verſchieden, der nicht den Hirten, ſondern die Schafe anpakt und auch, fals er das15 bürgerliche Recht fleiſſig ſtudirt hat, glüklich verzert. Das kanoniſche Recht leret den iuriſtiſchen Wolf, im Notfal ſtat des Schafs den geiſtlichen Hirten anzugreifen. Wären meine Muſkeln unter den Bartharen weniger auf den lachenden Ton geſtimt geweſen, ſo hätte ich um keine Verzeihung der eingemiſchten Teologie bei dir angehalten:20 denn als ein Chriſt biſt du onehin nicht blos verpflichtet, zu lernen, daß, ſondern auch, wenn der iüngſte Tag einbricht. Das „Daß“ hab’ ich dich gelert, indem ich dich das „Wenn“ gelert; denn wie wär’ es möglich, daß der iüngſte Tag am 7. November nicht, ſondern zu einer andern Zeit käme, wenn er gar nicht käme? Die Ernſthaftigkeit ſpricht25 in meinen Briefen ſelten zu; behandle ſie daher in dem iezigen ſo höflich wie einen ſeltnen Gaſt.
An das Ende der Welt erinnerte mich blos das Ende der Menſchen, deſſen Anblik ſich iezt in unſern Gegenden vervielfältigt. Waſſer verurſachte die groſſe Mortalitätstabelle im 1. Buch Moſe; bei uns30 iezt ſcheint das zu Dünſten paraphraſirte Waſſer uns Geſchöpfen, die wir darin waten, denſelben Untergang zu drohen. Seit meinem Aufent- halt iſt die hieſige (und auch andere) Gegend mit Nebeln umſchleiert [108]geweſen, die die Atmoſphäre einer Stube vol dampfender Tobaks- raucher änlich machten. Dieſer Nebel nam uns das Licht, iezt das35 Leben (andre Lesart: Lebenslicht); ſo war in Ägypten dikke Finſternis die eine Landplage, und ein Würgengel die andre. Du wonſt im
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am häufigſten im November erſäufen, am 7. November hereinbrach
und auf der ganzen Erde nicht ein einziges Ufer übriglies. Es wäre aber 5
ganz wider die Kleiderordnung, daß die Erde in demſelben Monate
ſolte verbrent werden, in dem ſie erſäuft wurde und daß ſie die Waſſer-
und Feuerprobe — oder die Waſſer- und Feuertaufe bei den erſten
Chriſten — zu Einer Zeit ſolte auszuſtehen haben. Verzeih übrigens,
daß ich deine bunten iuriſtiſchen Ideen mit den ſchwarzrökkigten 10
teologiſchen geärgert. Sind doch auch im ba[i]reuter Konſiſtorium
Juriſten und Theologen unter einander gequirlet; und übrigens wie
weit iſt denn ein heterodoxer Wolf im Schafskleid, der den geiſtlichen
Hirten angreift, von dem iuriſtiſchen Wolf im Bärenpelz verſchieden,
der nicht den Hirten, ſondern die Schafe anpakt und auch, fals er das 15
bürgerliche Recht fleiſſig ſtudirt hat, glüklich verzert. Das kanoniſche
Recht leret den iuriſtiſchen Wolf, im Notfal ſtat des Schafs den
geiſtlichen Hirten anzugreifen. Wären meine Muſkeln unter den
Bartharen weniger auf den lachenden Ton geſtimt geweſen, ſo hätte
ich um keine Verzeihung der eingemiſchten Teologie bei dir angehalten: 20
denn als ein Chriſt biſt du onehin nicht blos verpflichtet, zu lernen,
daß, ſondern auch, wenn der iüngſte Tag einbricht. Das „Daß“ hab’
ich dich gelert, indem ich dich das „Wenn“ gelert; denn wie wär’ es
möglich, daß der iüngſte Tag am 7. November nicht, ſondern zu einer
andern Zeit käme, wenn er gar nicht käme? Die Ernſthaftigkeit ſpricht 25
in meinen Briefen ſelten zu; behandle ſie daher in dem iezigen ſo
höflich wie einen ſeltnen Gaſt.
An das Ende der Welt erinnerte mich blos das Ende der Menſchen,
deſſen Anblik ſich iezt in unſern Gegenden vervielfältigt. Waſſer
verurſachte die groſſe Mortalitätstabelle im 1. Buch Moſe; bei uns 30
iezt ſcheint das zu Dünſten paraphraſirte Waſſer uns Geſchöpfen, die
wir darin waten, denſelben Untergang zu drohen. Seit meinem Aufent-
halt iſt die hieſige (und auch andere) Gegend mit Nebeln umſchleiert
geweſen, die die Atmoſphäre einer Stube vol dampfender Tobaks-
raucher änlich machten. Dieſer Nebel nam uns das Licht, iezt das 35
Leben (andre Lesart: Lebenslicht); ſo war in Ägypten dikke Finſternis
die eine Landplage, und ein Würgengel die andre. Du wonſt im
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/123>, abgerufen am 22.11.2024.
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