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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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meinen Kopf und mein Herz; überhaupt verwechsle nicht Selbst-
kentnis mit Selbstpeinigung und wenn du dich selbst zu sehen meinst,
so erinnere dich an die Leute, die auch sich selbst zu sehen meinen; allein
die Schrekgestalt ist nicht sie selbst, sondern ein Gespenst. -- Liskov ist
ein herlicher Satiriker, er übertrift Rabnern und erreicht Swiften;5
von ihm hab' ich eine bessere Ironie gelernt, die ich meinen gedrukten
und meinen schon abgeschriebnen Sachen geben zu können gewünscht
hätte etc.

[99]52. An Pfarrer Vogel in Rehau.
P. P.10
Hochzuvererender Her Pfarrer,

Ihren Brief beantworte ich gern und darum früher als Sie meinen
beantwortet: denn seine Gründe, die Ihnen öfter Ihr gutes Herz als
Ihr guter Kopf diktirt zu haben scheint, und seine Freimütigkeit, für
die ich Ihnen mit nichts als der Erwiederung derselben danken kan,15
erleichtern mir die Widerlegung d. h. meine Entschuldigung. Jeder
Ihrer Kanonen wil ich eine Feindin gegenüber pflanzen -- wiewol Sie
im Grunde nur mit Einer Kanone feuern, und blos durch die veränderte
Richtung ihrer Lavette verschiedne Seiten beschiessen. Sie irren sich
ganz, wenn Sie meine Kleidung für eine blosse brittische Mode er-20
klären; sie ist auch eine leipziger d. h. eine deutsche. In Leipzig, wo die
Mode ihre Erfindungen nicht wie in kleinen Städten aufdringt,
sondern nur anpreist und wo ieder sich eben so frei kleidet als er denkt,
trugen sich vor etlichen Jaren die meisten so; iezt hat sie nur den Reiz
der Neuheit aber nicht der Gewonheit verloren, und ihre Anhänger25
unter den Schauspielern und Studenten, und in andern Städten unter
den Gelerten, reichen allemal hin, einen, der sie noch trägt, in den
Augen derer zu rechtfertigen, die die Beurteilung einer Handlung
nicht den eignen Augen, sondern fremden Zungen, nicht gesunden,
sondern vielen Augen anzuvertrauen pflegen und das Schütteln der30
Vernunft durch das Nikken von hundert Par langen Oren widerlegt
glauben. Ja diese Mode ist eine von den seltnen, auf deren Seite die
Vernunft getreten. Denn die Verschneidung der Hare erspart Geld,
Zeit, Verdrus und befreiet vom Friseur, nach dem sich die Ausgänge
vorher haben richten müssen und der sich alle Morgen eine halb-35

meinen Kopf und mein Herz; überhaupt verwechſle nicht Selbſt-
kentnis mit Selbſtpeinigung und wenn du dich ſelbſt zu ſehen meinſt,
ſo erinnere dich an die Leute, die auch ſich ſelbſt zu ſehen meinen; allein
die Schrekgeſtalt iſt nicht ſie ſelbſt, ſondern ein Geſpenſt. — Liſkov iſt
ein herlicher Satiriker, er übertrift Rabnern und erreicht Swiften;5
von ihm hab’ ich eine beſſere Ironie gelernt, die ich meinen gedrukten
und meinen ſchon abgeſchriebnen Sachen geben zu können gewünſcht
hätte ꝛc.

[99]52. An Pfarrer Vogel in Rehau.
P. P.10
Hochzuvererender Her Pfarrer,

Ihren Brief beantworte ich gern und darum früher als Sie meinen
beantwortet: denn ſeine Gründe, die Ihnen öfter Ihr gutes Herz als
Ihr guter Kopf diktirt zu haben ſcheint, und ſeine Freimütigkeit, für
die ich Ihnen mit nichts als der Erwiederung derſelben danken kan,15
erleichtern mir die Widerlegung d. h. meine Entſchuldigung. Jeder
Ihrer Kanonen wil ich eine Feindin gegenüber pflanzen — wiewol Sie
im Grunde nur mit Einer Kanone feuern, und blos durch die veränderte
Richtung ihrer Lavette verſchiedne Seiten beſchieſſen. Sie irren ſich
ganz, wenn Sie meine Kleidung für eine bloſſe brittiſche Mode er-20
klären; ſie iſt auch eine leipziger d. h. eine deutſche. In Leipzig, wo die
Mode ihre Erfindungen nicht wie in kleinen Städten aufdringt,
ſondern nur anpreiſt und wo ieder ſich eben ſo frei kleidet als er denkt,
trugen ſich vor etlichen Jaren die meiſten ſo; iezt hat ſie nur den Reiz
der Neuheit aber nicht der Gewonheit verloren, und ihre Anhänger25
unter den Schauſpielern und Studenten, und in andern Städten unter
den Gelerten, reichen allemal hin, einen, der ſie noch trägt, in den
Augen derer zu rechtfertigen, die die Beurteilung einer Handlung
nicht den eignen Augen, ſondern fremden Zungen, nicht geſunden,
ſondern vielen Augen anzuvertrauen pflegen und das Schütteln der30
Vernunft durch das Nikken von hundert Par langen Oren widerlegt
glauben. Ja dieſe Mode iſt eine von den ſeltnen, auf deren Seite die
Vernunft getreten. Denn die Verſchneidung der Hare erſpart Geld,
Zeit, Verdrus und befreiet vom Friſeur, nach dem ſich die Ausgänge
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[92/0115] meinen Kopf und mein Herz; überhaupt verwechſle nicht Selbſt- kentnis mit Selbſtpeinigung und wenn du dich ſelbſt zu ſehen meinſt, ſo erinnere dich an die Leute, die auch ſich ſelbſt zu ſehen meinen; allein die Schrekgeſtalt iſt nicht ſie ſelbſt, ſondern ein Geſpenſt. — Liſkov iſt ein herlicher Satiriker, er übertrift Rabnern und erreicht Swiften; 5 von ihm hab’ ich eine beſſere Ironie gelernt, die ich meinen gedrukten und meinen ſchon abgeſchriebnen Sachen geben zu können gewünſcht hätte ꝛc. 52. An Pfarrer Vogel in Rehau. P. P. 10 Hochzuvererender Her Pfarrer, Ihren Brief beantworte ich gern und darum früher als Sie meinen beantwortet: denn ſeine Gründe, die Ihnen öfter Ihr gutes Herz als Ihr guter Kopf diktirt zu haben ſcheint, und ſeine Freimütigkeit, für die ich Ihnen mit nichts als der Erwiederung derſelben danken kan, 15 erleichtern mir die Widerlegung d. h. meine Entſchuldigung. Jeder Ihrer Kanonen wil ich eine Feindin gegenüber pflanzen — wiewol Sie im Grunde nur mit Einer Kanone feuern, und blos durch die veränderte Richtung ihrer Lavette verſchiedne Seiten beſchieſſen. Sie irren ſich ganz, wenn Sie meine Kleidung für eine bloſſe brittiſche Mode er- 20 klären; ſie iſt auch eine leipziger d. h. eine deutſche. In Leipzig, wo die Mode ihre Erfindungen nicht wie in kleinen Städten aufdringt, ſondern nur anpreiſt und wo ieder ſich eben ſo frei kleidet als er denkt, trugen ſich vor etlichen Jaren die meiſten ſo; iezt hat ſie nur den Reiz der Neuheit aber nicht der Gewonheit verloren, und ihre Anhänger 25 unter den Schauſpielern und Studenten, und in andern Städten unter den Gelerten, reichen allemal hin, einen, der ſie noch trägt, in den Augen derer zu rechtfertigen, die die Beurteilung einer Handlung nicht den eignen Augen, ſondern fremden Zungen, nicht geſunden, ſondern vielen Augen anzuvertrauen pflegen und das Schütteln der 30 Vernunft durch das Nikken von hundert Par langen Oren widerlegt glauben. Ja dieſe Mode iſt eine von den ſeltnen, auf deren Seite die Vernunft getreten. Denn die Verſchneidung der Hare erſpart Geld, Zeit, Verdrus und befreiet vom Friſeur, nach dem ſich die Ausgänge vorher haben richten müſſen und der ſich alle Morgen eine halb- 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/115>, abgerufen am 27.04.2024.