Das Vaterland kann nicht ohne Tugend, die Tugend nicht ohne Bürger bestehen! Jhr werdet Alles haben, wenn ihr Bürger bildet. Aber Bürger zu bilden ist nicht das Werk Eines Tages, und wenn man Menschen an ihnen haben will, muß man sie schon als Kinder unterweisen. Wenn man sie bei Zeiten angewöhnt, ihr Jndividuum nie anders, als in sei¬ nen Verhältnissen mit dem Staatskörper zu betrachten, und ihre eigene Existenz so zu sagen nicht anders gewahr zu wer¬ den, als in so fern selbige einen Theil seiner Existenz aus¬ macht: So werden sie sich endlich mit diesem größern Gan¬ zen für identisch halten; so werden sie fühlen, daß sie Glieder des Vaterlandes sind. Nicht nur die Philosophie erweiset die Möglichkeit solcher Richtungen der Seele, sondern die Ge¬ schichte stellt tausend solcher glänzenden Beispiele auf. Wenn sie bei uns seltner sind, so rührt es davon her, weil sich nie¬ mand darum bekümmert, daß es Bürger gebe, und weil man noch weniger darauf denkt, wie man sie dazu bilden möge. Dann ist es nicht mehr Zeit, den Menschen umzuschaffen, wenn einmahl die Selbstsucht ihr niederträchtig geschäftiges Wesen verbreitet hat, welches jede Tugend verschlingt, und das Leben kleiner Seelen ausmacht. Wie soll die Liebe zum Vaterlande mitten unter so vielen andern Leidenschaften, die sie ersticken, hervorkeimen? Und wenn Geiz und Wollust und Eitelkeit sich schon in ein Herz getheilt haben, wie viel wird wohl von diesem Herzen für die Mitbürger übrig bleiben? Aus dem 5ten Theil der Encyclopedie nach dem neuen Hamburgischen Magazin.
Das Vaterland kann nicht ohne Tugend, die Tugend nicht ohne Bürger beſtehen! Jhr werdet Alles haben, wenn ihr Bürger bildet. Aber Bürger zu bilden iſt nicht das Werk Eines Tages, und wenn man Menſchen an ihnen haben will, muß man ſie ſchon als Kinder unterweiſen. Wenn man ſie bei Zeiten angewöhnt, ihr Jndividuum nie anders, als in ſei¬ nen Verhältniſſen mit dem Staatskörper zu betrachten, und ihre eigene Exiſtenz ſo zu ſagen nicht anders gewahr zu wer¬ den, als in ſo fern ſelbige einen Theil ſeiner Exiſtenz aus¬ macht: So werden ſie ſich endlich mit dieſem größern Gan¬ zen für identiſch halten; ſo werden ſie fühlen, daß ſie Glieder des Vaterlandes ſind. Nicht nur die Philoſophie erweiſet die Möglichkeit ſolcher Richtungen der Seele, ſondern die Ge¬ ſchichte ſtellt tauſend ſolcher glänzenden Beiſpiele auf. Wenn ſie bei uns ſeltner ſind, ſo rührt es davon her, weil ſich nie¬ mand darum bekümmert, daß es Bürger gebe, und weil man noch weniger darauf denkt, wie man ſie dazu bilden möge. Dann iſt es nicht mehr Zeit, den Menſchen umzuſchaffen, wenn einmahl die Selbſtſucht ihr niederträchtig geſchäftiges Weſen verbreitet hat, welches jede Tugend verſchlingt, und das Leben kleiner Seelen ausmacht. Wie ſoll die Liebe zum Vaterlande mitten unter ſo vielen andern Leidenſchaften, die ſie erſticken, hervorkeimen? Und wenn Geiz und Wolluſt und Eitelkeit ſich ſchon in ein Herz getheilt haben, wie viel wird wohl von dieſem Herzen für die Mitbürger übrig bleiben? Aus dem 5ten Theil der Encyclopédie nach dem neuen Hamburgiſchen Magazin.
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Das Vaterland kann nicht ohne Tugend, die Tugend
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ihr Bürger bildet. Aber Bürger zu bilden iſt nicht das Werk
Eines Tages, und wenn man Menſchen an ihnen haben will,
muß man ſie ſchon als Kinder unterweiſen. Wenn man ſie
bei Zeiten angewöhnt, ihr Jndividuum nie anders, als in ſei¬
nen Verhältniſſen mit dem Staatskörper zu betrachten, und
ihre eigene Exiſtenz ſo zu ſagen nicht anders gewahr zu wer¬
den, als in ſo fern ſelbige einen Theil ſeiner Exiſtenz aus¬
macht: So werden ſie ſich endlich mit dieſem größern Gan¬
zen für identiſch halten; ſo werden ſie fühlen, daß ſie Glieder
des Vaterlandes ſind. Nicht nur die Philoſophie erweiſet die
Möglichkeit ſolcher Richtungen der Seele, ſondern die Ge¬
ſchichte ſtellt tauſend ſolcher glänzenden Beiſpiele auf. Wenn
ſie bei uns ſeltner ſind, ſo rührt es davon her, weil ſich nie¬
mand darum bekümmert, daß es Bürger gebe, und weil man
noch weniger darauf denkt, wie man ſie dazu bilden möge.
Dann iſt es nicht mehr Zeit, den Menſchen umzuſchaffen,
wenn einmahl die Selbſtſucht ihr niederträchtig geſchäftiges
Weſen verbreitet hat, welches jede Tugend verſchlingt, und
das Leben kleiner Seelen ausmacht. Wie ſoll die Liebe zum
Vaterlande mitten unter ſo vielen andern Leidenſchaften, die
ſie erſticken, hervorkeimen? Und wenn Geiz und Wolluſt und
Eitelkeit ſich ſchon in ein Herz getheilt haben, wie viel wird
wohl von dieſem Herzen für die Mitbürger übrig bleiben?
Aus dem 5ten Theil der Encyclopédie nach dem
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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. [168]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/198>, abgerufen am 24.11.2024.
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