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Jahn, Friedrich L.; Eiselen, Ernst W. B.: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt. Berlin, 1816.

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Ziem und Schick im lebendigen Anschaun vor Augen.

Frühe mit seines Gleichen, und unter seines Glei-
chen leben ist die Wiege der Größe für den Mann.
Jeder Einling verirrt so leicht zur Selbsucht, wozu den
Gespielen die Gespielschaft nicht kommen lässet. Auch
hat der Einling keinen Spiegel, sich in wahrer Gestalt
zu erblicken, kein lebendiges Maaß, seine Kraftmehrung
zu messen, keine Richterwage für seinen Eigenwerth,
keine Schule für den Willen, und keine Gelegenheit zu
schnellem Entschluß und Thatkraft.

Knaben und Jünglinge kennen ihre Gespielen, Ge-
sellen, Gefährten und Gespanne sehr genau, nach allen
ihren guten und schlimmen, schwachen und starken Sei-
ten. Daher kommen die sogenannten Ekel-Spitz- und
Spottnamen in Schule, Feld und Welt. So ist das
Zusammenleben der wähligen Jugend der beste Sitten-
richter und Zuchtmeister. Ihr Witz ist ein fröhliches
Treibjagen auf Mängel und Fehler. Die Gespielschaft
ist der scharfsichtigste Wächter, dem nichts entgeht, ein
unbestechlicher Richter, der keinen Nennwerth für voll
nimmt. So erzieht sich die Jugend auf eigenem und
geselligem Wege in kindlicher Gemeinde, und lebt sich
Bill und Recht ins Herz hinein. Selbstling, Spielver-
derber, oder nach dem Kinderreim: "Spielverläu-
fer -- Katzenversäufer"
mag auch die unverschäm-

teste

Ziem und Schick im lebendigen Anſchaun vor Augen.

Frühe mit ſeines Gleichen, und unter ſeines Glei-
chen leben iſt die Wiege der Größe für den Mann.
Jeder Einling verirrt ſo leicht zur Selbſucht, wozu den
Geſpielen die Geſpielſchaft nicht kommen läſſet. Auch
hat der Einling keinen Spiegel, ſich in wahrer Geſtalt
zu erblicken, kein lebendiges Maaß, ſeine Kraftmehrung
zu meſſen, keine Richterwage für ſeinen Eigenwerth,
keine Schule für den Willen, und keine Gelegenheit zu
ſchnellem Entſchluß und Thatkraft.

Knaben und Jünglinge kennen ihre Geſpielen, Ge-
ſellen, Gefährten und Geſpanne ſehr genau, nach allen
ihren guten und ſchlimmen, ſchwachen und ſtarken Sei-
ten. Daher kommen die ſogenannten Ekel-Spitz- und
Spottnamen in Schule, Feld und Welt. So iſt das
Zuſammenleben der wähligen Jugend der beſte Sitten-
richter und Zuchtmeiſter. Ihr Witz iſt ein fröhliches
Treibjagen auf Mängel und Fehler. Die Geſpielſchaft
iſt der ſcharfſichtigſte Wächter, dem nichts entgeht, ein
unbeſtechlicher Richter, der keinen Nennwerth für voll
nimmt. So erzieht ſich die Jugend auf eigenem und
geſelligem Wege in kindlicher Gemeinde, und lebt ſich
Bill und Recht ins Herz hinein. Selbſtling, Spielver-
derber, oder nach dem Kinderreim: “Spielverläu-
fer — Katzenverſäufer”
mag auch die unverſchäm-

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[170/0240] Ziem und Schick im lebendigen Anſchaun vor Augen. Frühe mit ſeines Gleichen, und unter ſeines Glei- chen leben iſt die Wiege der Größe für den Mann. Jeder Einling verirrt ſo leicht zur Selbſucht, wozu den Geſpielen die Geſpielſchaft nicht kommen läſſet. Auch hat der Einling keinen Spiegel, ſich in wahrer Geſtalt zu erblicken, kein lebendiges Maaß, ſeine Kraftmehrung zu meſſen, keine Richterwage für ſeinen Eigenwerth, keine Schule für den Willen, und keine Gelegenheit zu ſchnellem Entſchluß und Thatkraft. Knaben und Jünglinge kennen ihre Geſpielen, Ge- ſellen, Gefährten und Geſpanne ſehr genau, nach allen ihren guten und ſchlimmen, ſchwachen und ſtarken Sei- ten. Daher kommen die ſogenannten Ekel-Spitz- und Spottnamen in Schule, Feld und Welt. So iſt das Zuſammenleben der wähligen Jugend der beſte Sitten- richter und Zuchtmeiſter. Ihr Witz iſt ein fröhliches Treibjagen auf Mängel und Fehler. Die Geſpielſchaft iſt der ſcharfſichtigſte Wächter, dem nichts entgeht, ein unbeſtechlicher Richter, der keinen Nennwerth für voll nimmt. So erzieht ſich die Jugend auf eigenem und geſelligem Wege in kindlicher Gemeinde, und lebt ſich Bill und Recht ins Herz hinein. Selbſtling, Spielver- derber, oder nach dem Kinderreim: “Spielverläu- fer — Katzenverſäufer” mag auch die unverſchäm- teſte

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich L.; Eiselen, Ernst W. B.: Die deutsche Turnkunst, zur Einrichtung der Turnplätze dargestellt. Berlin, 1816, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_turnkunst_1816/240>, abgerufen am 21.11.2024.