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Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.

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leichteren Verkehr hinaus war er den Frauen ein ritterlicher Beschützer und flösste ihnen das Vertrauen ein, an ihm eine sichere Stütze zu finden, wodurch zu mehreren ein näheres freundschaftliches Verhaltniss begründet wurde, an dem er mit aufrichtiger Treue hielt.

Nachdem Hermann aus Jena zurückgekehrt war habilitierte er sich am 18. Octbr. 1794 durch Vertheidigung seiner Abhandlung de poeseos generibus und eröffnete im folgenden Jahr seine Vorlesungen über Kant's Kritik der Urtheilskraft und Sophokles Antigone. Seine Erfolge als Lehrer und Schriftsteller waren so entschieden, dass ihm schon 1797 eine ausserordentliche Professur übertragen wurde, welche er am 28. März 1798, nachdem kurz zuvor sein Vater gestorben war (22. März), mit einer Rede auf Reiz öffentlich antrat. Sogleich bei seinem ersten Auftreten schlug er auf das Bestimmteste ausgeprägt die Richtung ein, welche er in der Wissenschaft bis an sein Ende treu und fest eingehalten hat. Dieses Festhalten an sich selbst ging weder aus Beschränktheit noch aus Mangel an Beweglichkeit hervor; es war die Wirkung eines inneren Triebes, welche alle wahrhaft genialen Naturen mit unwiderstehlicher Macht auf das hinweist, was ihr wahrer Beruf ist. Nicht wenige können nur nach Kampf und Noth dieser innern Stimme Gehör geben, und oft ist dann ihre beste Kraft gebrochen; Hermann war darin glücklicher. Er war so ganz und gar gesund, in sich selbst so einig und klar, dass man mit Wahrheit sagen kann, er habe nie geschwankt; im sittlichen wie im wissenschaftlichen Leben prüfte er gewissenhaft, aber ohne Grübeln, ohne Kampf, ohne Selbstentzweiung war er zu dem entschieden, was seiner Natur gemäss war; wenn etwas Fremdes sich ihm aufdrängte, wurde es rasch und ohne allen Zweifel beseitigt. Das Gebiet seiner wissenschaftlichen Leistungen war die Sprache. Sein Verdienst ist es, dass er die Sprache nicht als ein Aggregat äusserer Erscheinungen nach abstracten Regeln geordnet, sondern als ein lebendiges Erzeugniss des menschlichen Geistes aufgefasst hat, das denselben nothwendigen Gesetzen folgt, welchen dieser unterthan ist, und nur aus diesen begriffen werden kann, dass er aber auch die künstlerische Freiheit und Schönheit der Sprache in gleichem Masse anerkannte und zur Klarheit brachte. Diese beiden Elemente der strengen Gesetzmässigkeit des Gedankens und der freien künstlerischen Empfindung und Gestaltung, welche in der Sprache selbst untrennbar walten und schaffen, waren in Hermann's geistigem Wesen beide gleich scharf ausgeprägt,

leichteren Verkehr hinaus war er den Frauen ein ritterlicher Beschützer und flösste ihnen das Vertrauen ein, an ihm eine sichere Stütze zu finden, wodurch zu mehreren ein näheres freundschaftliches Verhaltniss begründet wurde, an dem er mit aufrichtiger Treue hielt.

Nachdem Hermann aus Jena zurückgekehrt war habilitierte er sich am 18. Octbr. 1794 durch Vertheidigung seiner Abhandlung de poeseos generibus und eröffnete im folgenden Jahr seine Vorlesungen über Kant’s Kritik der Urtheilskraft und Sophokles Antigone. Seine Erfolge als Lehrer und Schriftsteller waren so entschieden, dass ihm schon 1797 eine ausserordentliche Professur übertragen wurde, welche er am 28. März 1798, nachdem kurz zuvor sein Vater gestorben war (22. März), mit einer Rede auf Reiz öffentlich antrat. Sogleich bei seinem ersten Auftreten schlug er auf das Bestimmteste ausgeprägt die Richtung ein, welche er in der Wissenschaft bis an sein Ende treu und fest eingehalten hat. Dieses Festhalten an sich selbst ging weder aus Beschränktheit noch aus Mangel an Beweglichkeit hervor; es war die Wirkung eines inneren Triebes, welche alle wahrhaft genialen Naturen mit unwiderstehlicher Macht auf das hinweist, was ihr wahrer Beruf ist. Nicht wenige können nur nach Kampf und Noth dieser innern Stimme Gehör geben, und oft ist dann ihre beste Kraft gebrochen; Hermann war darin glücklicher. Er war so ganz und gar gesund, in sich selbst so einig und klar, dass man mit Wahrheit sagen kann, er habe nie geschwankt; im sittlichen wie im wissenschaftlichen Leben prüfte er gewissenhaft, aber ohne Grübeln, ohne Kampf, ohne Selbstentzweiung war er zu dem entschieden, was seiner Natur gemäss war; wenn etwas Fremdes sich ihm aufdrängte, wurde es rasch und ohne allen Zweifel beseitigt. Das Gebiet seiner wissenschaftlichen Leistungen war die Sprache. Sein Verdienst ist es, dass er die Sprache nicht als ein Aggregat äusserer Erscheinungen nach abstracten Regeln geordnet, sondern als ein lebendiges Erzeugniss des menschlichen Geistes aufgefasst hat, das denselben nothwendigen Gesetzen folgt, welchen dieser unterthan ist, und nur aus diesen begriffen werden kann, dass er aber auch die künstlerische Freiheit und Schönheit der Sprache in gleichem Masse anerkannte und zur Klarheit brachte. Diese beiden Elemente der strengen Gesetzmässigkeit des Gedankens und der freien künstlerischen Empfindung und Gestaltung, welche in der Sprache selbst untrennbar walten und schaffen, waren in Hermann’s geistigem Wesen beide gleich scharf ausgeprägt,

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[12/0012] leichteren Verkehr hinaus war er den Frauen ein ritterlicher Beschützer und flösste ihnen das Vertrauen ein, an ihm eine sichere Stütze zu finden, wodurch zu mehreren ein näheres freundschaftliches Verhaltniss begründet wurde, an dem er mit aufrichtiger Treue hielt. Nachdem Hermann aus Jena zurückgekehrt war habilitierte er sich am 18. Octbr. 1794 durch Vertheidigung seiner Abhandlung de poeseos generibus und eröffnete im folgenden Jahr seine Vorlesungen über Kant’s Kritik der Urtheilskraft und Sophokles Antigone. Seine Erfolge als Lehrer und Schriftsteller waren so entschieden, dass ihm schon 1797 eine ausserordentliche Professur übertragen wurde, welche er am 28. März 1798, nachdem kurz zuvor sein Vater gestorben war (22. März), mit einer Rede auf Reiz öffentlich antrat. Sogleich bei seinem ersten Auftreten schlug er auf das Bestimmteste ausgeprägt die Richtung ein, welche er in der Wissenschaft bis an sein Ende treu und fest eingehalten hat. Dieses Festhalten an sich selbst ging weder aus Beschränktheit noch aus Mangel an Beweglichkeit hervor; es war die Wirkung eines inneren Triebes, welche alle wahrhaft genialen Naturen mit unwiderstehlicher Macht auf das hinweist, was ihr wahrer Beruf ist. Nicht wenige können nur nach Kampf und Noth dieser innern Stimme Gehör geben, und oft ist dann ihre beste Kraft gebrochen; Hermann war darin glücklicher. Er war so ganz und gar gesund, in sich selbst so einig und klar, dass man mit Wahrheit sagen kann, er habe nie geschwankt; im sittlichen wie im wissenschaftlichen Leben prüfte er gewissenhaft, aber ohne Grübeln, ohne Kampf, ohne Selbstentzweiung war er zu dem entschieden, was seiner Natur gemäss war; wenn etwas Fremdes sich ihm aufdrängte, wurde es rasch und ohne allen Zweifel beseitigt. Das Gebiet seiner wissenschaftlichen Leistungen war die Sprache. Sein Verdienst ist es, dass er die Sprache nicht als ein Aggregat äusserer Erscheinungen nach abstracten Regeln geordnet, sondern als ein lebendiges Erzeugniss des menschlichen Geistes aufgefasst hat, das denselben nothwendigen Gesetzen folgt, welchen dieser unterthan ist, und nur aus diesen begriffen werden kann, dass er aber auch die künstlerische Freiheit und Schönheit der Sprache in gleichem Masse anerkannte und zur Klarheit brachte. Diese beiden Elemente der strengen Gesetzmässigkeit des Gedankens und der freien künstlerischen Empfindung und Gestaltung, welche in der Sprache selbst untrennbar walten und schaffen, waren in Hermann’s geistigem Wesen beide gleich scharf ausgeprägt,

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Zitationshilfe: Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_rede_1849/12>, abgerufen am 28.03.2024.