Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

geschleifet werden *). Es findet dieses Ge-
setz grossen Anstoß, und die Christen grün-
den auf dasselbe ihre Strenge gegen dieje-
nigen, welche mit ihnen in Religionssa-
chen nicht völlig einstimmig sind, und ver-
theidigen damit das grausame und traurige
Recht wider die Ungläubigen und Ketzer,
welches doch keinesweges mit der Lehre
und dem Exempel Jesu kann gereimet wer-
den. Wir finden nirgend einen Befehl,
daß das Schwerdt der Obrigkeit wider
irrende Gewissen soll gebraucht werden.
Es wird bloß das Schwerdt des Geistes
angepriesen. Und die Ursach, warum Je-
sus seinen Jüngern untersaget **) das Un-
kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet
auch das Schwerdt der Obern wider die
Ungläubigen und Ketzer zu wetzen. Es
wird dadurch so leicht die Wahrheit ver-
dränget, als der Jrrthum, und der Recht-
gläubige so leicht ausgerottet, als der Jrr-
gläubige, wie solches aus so unzähligen
Exempeln erhellet. Obiges göttliche Gesetz
aber giebet keine Erlaubniß zu dem so un-
seeligen Gewissenszwange. Jenes Gesetz
gieng nicht wider ein irriges Gewissen,
sondern wider ein vorsetzliches und boßhaf-
tes Verbrechen. So bald ein Jsraelite
den Götzen opferte, nahm er die Meinung

der
*) 5 B. Mos. Cap. 13.
**) Matth. Cap. 13. v. 28. 29.

geſchleifet werden *). Es findet dieſes Ge-
ſetz groſſen Anſtoß, und die Chriſten gruͤn-
den auf daſſelbe ihre Strenge gegen dieje-
nigen, welche mit ihnen in Religionsſa-
chen nicht voͤllig einſtimmig ſind, und ver-
theidigen damit das grauſame und traurige
Recht wider die Unglaͤubigen und Ketzer,
welches doch keinesweges mit der Lehre
und dem Exempel Jeſu kann gereimet wer-
den. Wir finden nirgend einen Befehl,
daß das Schwerdt der Obrigkeit wider
irrende Gewiſſen ſoll gebraucht werden.
Es wird bloß das Schwerdt des Geiſtes
angeprieſen. Und die Urſach, warum Je-
ſus ſeinen Juͤngern unterſaget **) das Un-
kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet
auch das Schwerdt der Obern wider die
Unglaͤubigen und Ketzer zu wetzen. Es
wird dadurch ſo leicht die Wahrheit ver-
draͤnget, als der Jrrthum, und der Recht-
glaͤubige ſo leicht ausgerottet, als der Jrr-
glaͤubige, wie ſolches aus ſo unzaͤhligen
Exempeln erhellet. Obiges goͤttliche Geſetz
aber giebet keine Erlaubniß zu dem ſo un-
ſeeligen Gewiſſenszwange. Jenes Geſetz
gieng nicht wider ein irriges Gewiſſen,
ſondern wider ein vorſetzliches und boßhaf-
tes Verbrechen. So bald ein Jſraelite
den Goͤtzen opferte, nahm er die Meinung

der
*) 5 B. Moſ. Cap. 13.
**) Matth. Cap. 13. v. 28. 29.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0092" n="72"/>
ge&#x017F;chleifet werden <note place="foot" n="*)">5 B. Mo&#x017F;. Cap. 13.</note>. Es findet die&#x017F;es Ge-<lb/>
&#x017F;etz gro&#x017F;&#x017F;en An&#x017F;toß, und die Chri&#x017F;ten gru&#x0364;n-<lb/>
den auf da&#x017F;&#x017F;elbe ihre Strenge gegen dieje-<lb/>
nigen, welche mit ihnen in Religions&#x017F;a-<lb/>
chen nicht vo&#x0364;llig ein&#x017F;timmig &#x017F;ind, und ver-<lb/>
theidigen damit das grau&#x017F;ame und traurige<lb/>
Recht wider die Ungla&#x0364;ubigen und Ketzer,<lb/>
welches doch keinesweges mit der Lehre<lb/>
und dem Exempel Je&#x017F;u kann gereimet wer-<lb/>
den. Wir finden nirgend einen Befehl,<lb/>
daß das Schwerdt der Obrigkeit wider<lb/>
irrende Gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll gebraucht werden.<lb/>
Es wird bloß das Schwerdt des Gei&#x017F;tes<lb/>
angeprie&#x017F;en. Und die Ur&#x017F;ach, warum Je-<lb/>
&#x017F;us &#x017F;einen Ju&#x0364;ngern unter&#x017F;aget <note place="foot" n="**)">Matth. Cap. 13. v. 28. 29.</note> das Un-<lb/>
kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet<lb/>
auch das Schwerdt der Obern wider die<lb/>
Ungla&#x0364;ubigen und Ketzer zu wetzen. Es<lb/>
wird dadurch &#x017F;o leicht die Wahrheit ver-<lb/>
dra&#x0364;nget, als der Jrrthum, und der Recht-<lb/>
gla&#x0364;ubige &#x017F;o leicht ausgerottet, als der Jrr-<lb/>
gla&#x0364;ubige, wie &#x017F;olches aus &#x017F;o unza&#x0364;hligen<lb/>
Exempeln erhellet. Obiges go&#x0364;ttliche Ge&#x017F;etz<lb/>
aber giebet keine Erlaubniß zu dem &#x017F;o un-<lb/>
&#x017F;eeligen Gewi&#x017F;&#x017F;enszwange. Jenes Ge&#x017F;etz<lb/>
gieng nicht wider ein irriges Gewi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ondern wider ein vor&#x017F;etzliches und boßhaf-<lb/>
tes Verbrechen. So bald ein J&#x017F;raelite<lb/>
den Go&#x0364;tzen opferte, nahm er die Meinung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0092] geſchleifet werden *). Es findet dieſes Ge- ſetz groſſen Anſtoß, und die Chriſten gruͤn- den auf daſſelbe ihre Strenge gegen dieje- nigen, welche mit ihnen in Religionsſa- chen nicht voͤllig einſtimmig ſind, und ver- theidigen damit das grauſame und traurige Recht wider die Unglaͤubigen und Ketzer, welches doch keinesweges mit der Lehre und dem Exempel Jeſu kann gereimet wer- den. Wir finden nirgend einen Befehl, daß das Schwerdt der Obrigkeit wider irrende Gewiſſen ſoll gebraucht werden. Es wird bloß das Schwerdt des Geiſtes angeprieſen. Und die Urſach, warum Je- ſus ſeinen Juͤngern unterſaget **) das Un- kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet auch das Schwerdt der Obern wider die Unglaͤubigen und Ketzer zu wetzen. Es wird dadurch ſo leicht die Wahrheit ver- draͤnget, als der Jrrthum, und der Recht- glaͤubige ſo leicht ausgerottet, als der Jrr- glaͤubige, wie ſolches aus ſo unzaͤhligen Exempeln erhellet. Obiges goͤttliche Geſetz aber giebet keine Erlaubniß zu dem ſo un- ſeeligen Gewiſſenszwange. Jenes Geſetz gieng nicht wider ein irriges Gewiſſen, ſondern wider ein vorſetzliches und boßhaf- tes Verbrechen. So bald ein Jſraelite den Goͤtzen opferte, nahm er die Meinung der *) 5 B. Moſ. Cap. 13. **) Matth. Cap. 13. v. 28. 29.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/92
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/92>, abgerufen am 03.05.2024.