geschleifet werden *). Es findet dieses Ge- setz grossen Anstoß, und die Christen grün- den auf dasselbe ihre Strenge gegen dieje- nigen, welche mit ihnen in Religionssa- chen nicht völlig einstimmig sind, und ver- theidigen damit das grausame und traurige Recht wider die Ungläubigen und Ketzer, welches doch keinesweges mit der Lehre und dem Exempel Jesu kann gereimet wer- den. Wir finden nirgend einen Befehl, daß das Schwerdt der Obrigkeit wider irrende Gewissen soll gebraucht werden. Es wird bloß das Schwerdt des Geistes angepriesen. Und die Ursach, warum Je- sus seinen Jüngern untersaget **) das Un- kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet auch das Schwerdt der Obern wider die Ungläubigen und Ketzer zu wetzen. Es wird dadurch so leicht die Wahrheit ver- dränget, als der Jrrthum, und der Recht- gläubige so leicht ausgerottet, als der Jrr- gläubige, wie solches aus so unzähligen Exempeln erhellet. Obiges göttliche Gesetz aber giebet keine Erlaubniß zu dem so un- seeligen Gewissenszwange. Jenes Gesetz gieng nicht wider ein irriges Gewissen, sondern wider ein vorsetzliches und boßhaf- tes Verbrechen. So bald ein Jsraelite den Götzen opferte, nahm er die Meinung
der
*) 5 B. Mos. Cap. 13.
**) Matth. Cap. 13. v. 28. 29.
geſchleifet werden *). Es findet dieſes Ge- ſetz groſſen Anſtoß, und die Chriſten gruͤn- den auf daſſelbe ihre Strenge gegen dieje- nigen, welche mit ihnen in Religionsſa- chen nicht voͤllig einſtimmig ſind, und ver- theidigen damit das grauſame und traurige Recht wider die Unglaͤubigen und Ketzer, welches doch keinesweges mit der Lehre und dem Exempel Jeſu kann gereimet wer- den. Wir finden nirgend einen Befehl, daß das Schwerdt der Obrigkeit wider irrende Gewiſſen ſoll gebraucht werden. Es wird bloß das Schwerdt des Geiſtes angeprieſen. Und die Urſach, warum Je- ſus ſeinen Juͤngern unterſaget **) das Un- kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet auch das Schwerdt der Obern wider die Unglaͤubigen und Ketzer zu wetzen. Es wird dadurch ſo leicht die Wahrheit ver- draͤnget, als der Jrrthum, und der Recht- glaͤubige ſo leicht ausgerottet, als der Jrr- glaͤubige, wie ſolches aus ſo unzaͤhligen Exempeln erhellet. Obiges goͤttliche Geſetz aber giebet keine Erlaubniß zu dem ſo un- ſeeligen Gewiſſenszwange. Jenes Geſetz gieng nicht wider ein irriges Gewiſſen, ſondern wider ein vorſetzliches und boßhaf- tes Verbrechen. So bald ein Jſraelite den Goͤtzen opferte, nahm er die Meinung
der
*) 5 B. Moſ. Cap. 13.
**) Matth. Cap. 13. v. 28. 29.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0092"n="72"/>
geſchleifet werden <noteplace="foot"n="*)">5 B. Moſ. Cap. 13.</note>. Es findet dieſes Ge-<lb/>ſetz groſſen Anſtoß, und die Chriſten gruͤn-<lb/>
den auf daſſelbe ihre Strenge gegen dieje-<lb/>
nigen, welche mit ihnen in Religionsſa-<lb/>
chen nicht voͤllig einſtimmig ſind, und ver-<lb/>
theidigen damit das grauſame und traurige<lb/>
Recht wider die Unglaͤubigen und Ketzer,<lb/>
welches doch keinesweges mit der Lehre<lb/>
und dem Exempel Jeſu kann gereimet wer-<lb/>
den. Wir finden nirgend einen Befehl,<lb/>
daß das Schwerdt der Obrigkeit wider<lb/>
irrende Gewiſſen ſoll gebraucht werden.<lb/>
Es wird bloß das Schwerdt des Geiſtes<lb/>
angeprieſen. Und die Urſach, warum Je-<lb/>ſus ſeinen Juͤngern unterſaget <noteplace="foot"n="**)">Matth. Cap. 13. v. 28. 29.</note> das Un-<lb/>
kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet<lb/>
auch das Schwerdt der Obern wider die<lb/>
Unglaͤubigen und Ketzer zu wetzen. Es<lb/>
wird dadurch ſo leicht die Wahrheit ver-<lb/>
draͤnget, als der Jrrthum, und der Recht-<lb/>
glaͤubige ſo leicht ausgerottet, als der Jrr-<lb/>
glaͤubige, wie ſolches aus ſo unzaͤhligen<lb/>
Exempeln erhellet. Obiges goͤttliche Geſetz<lb/>
aber giebet keine Erlaubniß zu dem ſo un-<lb/>ſeeligen Gewiſſenszwange. Jenes Geſetz<lb/>
gieng nicht wider ein irriges Gewiſſen,<lb/>ſondern wider ein vorſetzliches und boßhaf-<lb/>
tes Verbrechen. So bald ein Jſraelite<lb/>
den Goͤtzen opferte, nahm er die Meinung<lb/><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[72/0092]
geſchleifet werden *). Es findet dieſes Ge-
ſetz groſſen Anſtoß, und die Chriſten gruͤn-
den auf daſſelbe ihre Strenge gegen dieje-
nigen, welche mit ihnen in Religionsſa-
chen nicht voͤllig einſtimmig ſind, und ver-
theidigen damit das grauſame und traurige
Recht wider die Unglaͤubigen und Ketzer,
welches doch keinesweges mit der Lehre
und dem Exempel Jeſu kann gereimet wer-
den. Wir finden nirgend einen Befehl,
daß das Schwerdt der Obrigkeit wider
irrende Gewiſſen ſoll gebraucht werden.
Es wird bloß das Schwerdt des Geiſtes
angeprieſen. Und die Urſach, warum Je-
ſus ſeinen Juͤngern unterſaget **) das Un-
kraut mit Gewalt auszuraufen, verbietet
auch das Schwerdt der Obern wider die
Unglaͤubigen und Ketzer zu wetzen. Es
wird dadurch ſo leicht die Wahrheit ver-
draͤnget, als der Jrrthum, und der Recht-
glaͤubige ſo leicht ausgerottet, als der Jrr-
glaͤubige, wie ſolches aus ſo unzaͤhligen
Exempeln erhellet. Obiges goͤttliche Geſetz
aber giebet keine Erlaubniß zu dem ſo un-
ſeeligen Gewiſſenszwange. Jenes Geſetz
gieng nicht wider ein irriges Gewiſſen,
ſondern wider ein vorſetzliches und boßhaf-
tes Verbrechen. So bald ein Jſraelite
den Goͤtzen opferte, nahm er die Meinung
der
*) 5 B. Moſ. Cap. 13.
**) Matth. Cap. 13. v. 28. 29.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/92>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.