nahen Verwandten untersagen. Jch hal- te mich zuerst bey demjenigen Gesetz auf, welches wir 3 B. Mos. C. 18. v. 7. finden. Nach einer genauern Uebersetzung lautet selbiges also. Du sollst deines Vaters, das ist deiner Mutter Blösse nicht auf- decken. Sie ist deine Mutter: darum sollst du ihre Blösse nicht aufdecken. Jch meyne, daß Gott die Absicht dieses Gesetzes so deutlich vor Augen lege, daß sie auch ein Ungelehrter sehen und empfinden könne. Was für Gedanken und Empfin- dungen wollen wir in einem Sohne hervor- bringen, wenn wir zu ihm sagen: Verlaß deine Mutter nicht im Alter, es ist deine Mutter? Will man durch eine solche Vorstellung nicht alle diejenigen Triebe re- ge machen, die Gott in die Seele der Kin- der gegen Eltern gelegt hat? Will man ihm nicht das Verhältniß und die Pflich- ten zu Gemüthe führen, darinne ein Kind gegen seine Eltern stehet? Will man ihm nicht merklich machen, es streite mit dem Verhältniß eines Kindes gegen seine Mut- ter, und es sey schändlich, wenn es selbi- ge verlasse? Daß dieses der Jnhalt einer solchen Rede sey, beweisen die Worte des Juda, da er für das Leben Josephs bey seinen Brüdern bat, und dieses hinzusetz- te: er ist unser Bruder, unser Fleisch und Blut. 1 B. Mos. C. 37. v. 27.
§. 13.
nahen Verwandten unterſagen. Jch hal- te mich zuerſt bey demjenigen Geſetz auf, welches wir 3 B. Moſ. C. 18. v. 7. finden. Nach einer genauern Ueberſetzung lautet ſelbiges alſo. Du ſollſt deines Vaters, das iſt deiner Mutter Bloͤſſe nicht auf- decken. Sie iſt deine Mutter: darum ſollſt du ihre Bloͤſſe nicht aufdecken. Jch meyne, daß Gott die Abſicht dieſes Geſetzes ſo deutlich vor Augen lege, daß ſie auch ein Ungelehrter ſehen und empfinden koͤnne. Was fuͤr Gedanken und Empfin- dungen wollen wir in einem Sohne hervor- bringen, wenn wir zu ihm ſagen: Verlaß deine Mutter nicht im Alter, es iſt deine Mutter? Will man durch eine ſolche Vorſtellung nicht alle diejenigen Triebe re- ge machen, die Gott in die Seele der Kin- der gegen Eltern gelegt hat? Will man ihm nicht das Verhaͤltniß und die Pflich- ten zu Gemuͤthe fuͤhren, darinne ein Kind gegen ſeine Eltern ſtehet? Will man ihm nicht merklich machen, es ſtreite mit dem Verhaͤltniß eines Kindes gegen ſeine Mut- ter, und es ſey ſchaͤndlich, wenn es ſelbi- ge verlaſſe? Daß dieſes der Jnhalt einer ſolchen Rede ſey, beweiſen die Worte des Juda, da er fuͤr das Leben Joſephs bey ſeinen Bruͤdern bat, und dieſes hinzuſetz- te: er iſt unſer Bruder, unſer Fleiſch und Blut. 1 B. Moſ. C. 37. v. 27.
§. 13.
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nahen Verwandten unterſagen. Jch hal-
te mich zuerſt bey demjenigen Geſetz auf,
welches wir 3 B. Moſ. C. 18. v. 7. finden.
Nach einer genauern Ueberſetzung lautet
ſelbiges alſo. Du ſollſt deines Vaters,
das iſt deiner Mutter Bloͤſſe nicht auf-
decken. Sie iſt deine Mutter: darum
ſollſt du ihre Bloͤſſe nicht aufdecken.
Jch meyne, daß Gott die Abſicht dieſes
Geſetzes ſo deutlich vor Augen lege, daß ſie
auch ein Ungelehrter ſehen und empfinden
koͤnne. Was fuͤr Gedanken und Empfin-
dungen wollen wir in einem Sohne hervor-
bringen, wenn wir zu ihm ſagen: Verlaß
deine Mutter nicht im Alter, es iſt deine
Mutter? Will man durch eine ſolche
Vorſtellung nicht alle diejenigen Triebe re-
ge machen, die Gott in die Seele der Kin-
der gegen Eltern gelegt hat? Will man
ihm nicht das Verhaͤltniß und die Pflich-
ten zu Gemuͤthe fuͤhren, darinne ein Kind
gegen ſeine Eltern ſtehet? Will man ihm
nicht merklich machen, es ſtreite mit dem
Verhaͤltniß eines Kindes gegen ſeine Mut-
ter, und es ſey ſchaͤndlich, wenn es ſelbi-
ge verlaſſe? Daß dieſes der Jnhalt einer
ſolchen Rede ſey, beweiſen die Worte des
Juda, da er fuͤr das Leben Joſephs bey
ſeinen Bruͤdern bat, und dieſes hinzuſetz-
te: er iſt unſer Bruder, unſer Fleiſch und
Blut. 1 B. Moſ. C. 37. v. 27.
§. 13.
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/378>, abgerufen am 22.11.2024.
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