Seele, welche erst die Brust von der ma- jestätischen, von der gebieterischen, von der schmeichelnden Hof luft vollgesogen, wie schwer muß es ihr nicht werden, eine so demüthige Gesinnung anzunehmen, welche den mächtigsten Monarchen, dem niedrig- sten Bettler, vor Gott gleich machet? An den Höfen verzehret man insgemein we- nige Kräfte in der Arbeit. Jm Gegen- theil isset man die nahrhaftesten Speisen im Ueberfluß, man trinket starke Getränke, man siehet üppige Schauspiele, man rei- zet einander durch Kleidungen und Tänze, man thut alles einem gewissen Triebe, wel- in seinen Schranken zu Erhaltung der Welt höchst nöthig ist, eine solche über- wiegende und unbändige Stärke zu geben, daß er von seiner weisen Richtung ganz abweichet, und in rasende Ausschweifungen ausbricht, und zu solchen Vergehungen verleitet, deren eine gesetzte Vernunft sich schämet und dem Menschen als die nieder- trächtigste Creatur, den alle Vernunft verlassen, darstellet. Das Christenthum aber dringet mit dem größten Nachdruck auf Mässigkeit und Keuschheit, damit man zur Arbeit geschickt sey und die Welt mit gesunden, starken, wolgezogenen und or- dentlichen Bürgern versehen werde. Muß man aber eine solche Lehre nicht an den mehresten Höfen als eine unmögliche Re- ligion ansehen? Endlich hatten die vorneh-
men
G 3
Seele, welche erſt die Bruſt von der ma- jeſtaͤtiſchen, von der gebieteriſchen, von der ſchmeichelnden Hof luft vollgeſogen, wie ſchwer muß es ihr nicht werden, eine ſo demuͤthige Geſinnung anzunehmen, welche den maͤchtigſten Monarchen, dem niedrig- ſten Bettler, vor Gott gleich machet? An den Hoͤfen verzehret man insgemein we- nige Kraͤfte in der Arbeit. Jm Gegen- theil iſſet man die nahrhafteſten Speiſen im Ueberfluß, man trinket ſtarke Getraͤnke, man ſiehet uͤppige Schauſpiele, man rei- zet einander durch Kleidungen und Taͤnze, man thut alles einem gewiſſen Triebe, wel- in ſeinen Schranken zu Erhaltung der Welt hoͤchſt noͤthig iſt, eine ſolche uͤber- wiegende und unbaͤndige Staͤrke zu geben, daß er von ſeiner weiſen Richtung ganz abweichet, und in raſende Ausſchweifungen ausbricht, und zu ſolchen Vergehungen verleitet, deren eine geſetzte Vernunft ſich ſchaͤmet und dem Menſchen als die nieder- traͤchtigſte Creatur, den alle Vernunft verlaſſen, darſtellet. Das Chriſtenthum aber dringet mit dem groͤßten Nachdruck auf Maͤſſigkeit und Keuſchheit, damit man zur Arbeit geſchickt ſey und die Welt mit geſunden, ſtarken, wolgezogenen und or- dentlichen Buͤrgern verſehen werde. Muß man aber eine ſolche Lehre nicht an den mehreſten Hoͤfen als eine unmoͤgliche Re- ligion anſehen? Endlich hatten die vorneh-
men
G 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0121"n="101"/>
Seele, welche erſt die Bruſt von der ma-<lb/>
jeſtaͤtiſchen, von der gebieteriſchen, von<lb/>
der ſchmeichelnden Hof luft vollgeſogen, wie<lb/>ſchwer muß es ihr nicht werden, eine ſo<lb/>
demuͤthige Geſinnung anzunehmen, welche<lb/>
den maͤchtigſten Monarchen, dem niedrig-<lb/>ſten Bettler, vor Gott gleich machet? An<lb/>
den Hoͤfen verzehret man insgemein we-<lb/>
nige Kraͤfte in der Arbeit. Jm Gegen-<lb/>
theil iſſet man die nahrhafteſten Speiſen<lb/>
im Ueberfluß, man trinket ſtarke Getraͤnke,<lb/>
man ſiehet uͤppige Schauſpiele, man rei-<lb/>
zet einander durch Kleidungen und Taͤnze,<lb/>
man thut alles einem gewiſſen Triebe, wel-<lb/>
in ſeinen Schranken zu Erhaltung der<lb/>
Welt hoͤchſt noͤthig iſt, eine ſolche uͤber-<lb/>
wiegende und unbaͤndige Staͤrke zu geben,<lb/>
daß er von ſeiner weiſen Richtung ganz<lb/>
abweichet, und in raſende Ausſchweifungen<lb/>
ausbricht, und zu ſolchen Vergehungen<lb/>
verleitet, deren eine geſetzte Vernunft ſich<lb/>ſchaͤmet und dem Menſchen als die nieder-<lb/>
traͤchtigſte Creatur, den alle Vernunft<lb/>
verlaſſen, darſtellet. Das Chriſtenthum<lb/>
aber dringet mit dem groͤßten Nachdruck<lb/>
auf Maͤſſigkeit und Keuſchheit, damit man<lb/>
zur Arbeit geſchickt ſey und die Welt mit<lb/>
geſunden, ſtarken, wolgezogenen und or-<lb/>
dentlichen Buͤrgern verſehen werde. Muß<lb/>
man aber eine ſolche Lehre nicht an den<lb/>
mehreſten Hoͤfen als eine unmoͤgliche Re-<lb/>
ligion anſehen? Endlich hatten die vorneh-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">men</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[101/0121]
Seele, welche erſt die Bruſt von der ma-
jeſtaͤtiſchen, von der gebieteriſchen, von
der ſchmeichelnden Hof luft vollgeſogen, wie
ſchwer muß es ihr nicht werden, eine ſo
demuͤthige Geſinnung anzunehmen, welche
den maͤchtigſten Monarchen, dem niedrig-
ſten Bettler, vor Gott gleich machet? An
den Hoͤfen verzehret man insgemein we-
nige Kraͤfte in der Arbeit. Jm Gegen-
theil iſſet man die nahrhafteſten Speiſen
im Ueberfluß, man trinket ſtarke Getraͤnke,
man ſiehet uͤppige Schauſpiele, man rei-
zet einander durch Kleidungen und Taͤnze,
man thut alles einem gewiſſen Triebe, wel-
in ſeinen Schranken zu Erhaltung der
Welt hoͤchſt noͤthig iſt, eine ſolche uͤber-
wiegende und unbaͤndige Staͤrke zu geben,
daß er von ſeiner weiſen Richtung ganz
abweichet, und in raſende Ausſchweifungen
ausbricht, und zu ſolchen Vergehungen
verleitet, deren eine geſetzte Vernunft ſich
ſchaͤmet und dem Menſchen als die nieder-
traͤchtigſte Creatur, den alle Vernunft
verlaſſen, darſtellet. Das Chriſtenthum
aber dringet mit dem groͤßten Nachdruck
auf Maͤſſigkeit und Keuſchheit, damit man
zur Arbeit geſchickt ſey und die Welt mit
geſunden, ſtarken, wolgezogenen und or-
dentlichen Buͤrgern verſehen werde. Muß
man aber eine ſolche Lehre nicht an den
mehreſten Hoͤfen als eine unmoͤgliche Re-
ligion anſehen? Endlich hatten die vorneh-
men
G 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/121>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.