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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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Sätze aus der Offenbarung heraus ge-
worfen und neue hinein gesetzt worden.
Ein jeder hat die Worte der Schrift so
lange gezerret, bis er seine Philosophie dar-
inne gefunden. Wir führen nur ein Ex-
empel an. Wie sind nicht die Gnosticker
in den ersten Zeiten des Christenthums mit
der Heil. Schrift umgegangen? als sie fest
setzten, ihre Philosophie sey die rechte, und
was mit selbiger streite, müsse in der Of-
fenbarung nicht stehen. Nach ihrer Ver-
nunft war die Materie, und folglich alle
Cörper böse und eine Quelle des Bösen.
Der Cörper des Menschen war ein Ge-
fängniß, in welches die Seele nur zur Mar-
ter gesteckt. Hieraus schlossen sie: Chri-
stus kan unmöglich einen Cörper gehabt
haben, sondern sein Leib muß nur ein Phan-
tasma, eine Larve eines Cörpers gewesen
seyn. Er ist folglich auch nicht wahrhaf-
tig gecreutziget. Die Ehe ist zu verwerf-
fen. Denn aus selbiger werden Cörper
erzeuget. Die Auferstehung der Leiber ist
nichts. Ehe sie nun die Schrift lasen,
war schon fest gesetzt: was dieser Philoso-
phie widerspricht, muß in den heiligen Bü-
chern nicht stehen. Und wenn gleich die

deut-



Saͤtze aus der Offenbarung heraus ge-
worfen und neue hinein geſetzt worden.
Ein jeder hat die Worte der Schrift ſo
lange gezerret, bis er ſeine Philoſophie dar-
inne gefunden. Wir fuͤhren nur ein Ex-
empel an. Wie ſind nicht die Gnoſticker
in den erſten Zeiten des Chriſtenthums mit
der Heil. Schrift umgegangen? als ſie feſt
ſetzten, ihre Philoſophie ſey die rechte, und
was mit ſelbiger ſtreite, muͤſſe in der Of-
fenbarung nicht ſtehen. Nach ihrer Ver-
nunft war die Materie, und folglich alle
Coͤrper boͤſe und eine Quelle des Boͤſen.
Der Coͤrper des Menſchen war ein Ge-
faͤngniß, in welches die Seele nur zur Mar-
ter geſteckt. Hieraus ſchloſſen ſie: Chri-
ſtus kan unmoͤglich einen Coͤrper gehabt
haben, ſondern ſein Leib muß nur ein Phan-
tasma, eine Larve eines Coͤrpers geweſen
ſeyn. Er iſt folglich auch nicht wahrhaf-
tig gecreutziget. Die Ehe iſt zu verwerf-
fen. Denn aus ſelbiger werden Coͤrper
erzeuget. Die Auferſtehung der Leiber iſt
nichts. Ehe ſie nun die Schrift laſen,
war ſchon feſt geſetzt: was dieſer Philoſo-
phie widerſpricht, muß in den heiligen Buͤ-
chern nicht ſtehen. Und wenn gleich die

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[38/0056] Saͤtze aus der Offenbarung heraus ge- worfen und neue hinein geſetzt worden. Ein jeder hat die Worte der Schrift ſo lange gezerret, bis er ſeine Philoſophie dar- inne gefunden. Wir fuͤhren nur ein Ex- empel an. Wie ſind nicht die Gnoſticker in den erſten Zeiten des Chriſtenthums mit der Heil. Schrift umgegangen? als ſie feſt ſetzten, ihre Philoſophie ſey die rechte, und was mit ſelbiger ſtreite, muͤſſe in der Of- fenbarung nicht ſtehen. Nach ihrer Ver- nunft war die Materie, und folglich alle Coͤrper boͤſe und eine Quelle des Boͤſen. Der Coͤrper des Menſchen war ein Ge- faͤngniß, in welches die Seele nur zur Mar- ter geſteckt. Hieraus ſchloſſen ſie: Chri- ſtus kan unmoͤglich einen Coͤrper gehabt haben, ſondern ſein Leib muß nur ein Phan- tasma, eine Larve eines Coͤrpers geweſen ſeyn. Er iſt folglich auch nicht wahrhaf- tig gecreutziget. Die Ehe iſt zu verwerf- fen. Denn aus ſelbiger werden Coͤrper erzeuget. Die Auferſtehung der Leiber iſt nichts. Ehe ſie nun die Schrift laſen, war ſchon feſt geſetzt: was dieſer Philoſo- phie widerſpricht, muß in den heiligen Buͤ- chern nicht ſtehen. Und wenn gleich die deut-

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/56>, abgerufen am 22.11.2024.