Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.finden sollte, begreife ich ohne langen Be- weiß. Welche Reihe der Gedancken ist wahrscheinlicher? Der Leser wird dencken, ich habe die letztere Meinung und ihren Be- weiß mit Fleiß auf eine lächerliche Art vor- gestellet. Allein ich versichere, daß solches nicht geschehen. Jch hasse und mißbillige es, wenn man die Vertheidiger einer Meinung sucht lächerlich zu machen. Man erregt dadurch bey ihnen die Galle und ent- fernt sich von der Wahrheit. Und ich wünschte, daß ich die Kette der Gedancken derer, die aus dem frühzeitigen Untergange gewisser Anlagen von Pflantzen und leben- digen Geschöpfen die göttliche Allwissenheit bestreiten, nach der Wahrheit anders vor- stellen könnte. Aber so ist kein einiger Satz in meiner Vorstellung, der nicht in ihren Beweiß einfliesset. Und ich kan sie daher nicht anders fassen, ohne ihrem Be- weise seine Stärcke zu nehmen. Fällt ein einiger Satz hinweg, so ist der gantze Be- weiß nichts. §. 20.Was si- cherer sey? einem all- wissenden GOtt zu glauben, oder nicht. Bey wahrscheinlichen Wahrheiten, die sich Jacobi Betr. 2. Band. X
finden ſollte, begreife ich ohne langen Be- weiß. Welche Reihe der Gedancken iſt wahrſcheinlicher? Der Leſer wird dencken, ich habe die letztere Meinung und ihren Be- weiß mit Fleiß auf eine laͤcherliche Art vor- geſtellet. Allein ich verſichere, daß ſolches nicht geſchehen. Jch haſſe und mißbillige es, wenn man die Vertheidiger einer Meinung ſucht laͤcherlich zu machen. Man erregt dadurch bey ihnen die Galle und ent- fernt ſich von der Wahrheit. Und ich wuͤnſchte, daß ich die Kette der Gedancken derer, die aus dem fruͤhzeitigen Untergange gewiſſer Anlagen von Pflantzen und leben- digen Geſchoͤpfen die goͤttliche Allwiſſenheit beſtreiten, nach der Wahrheit anders vor- ſtellen koͤnnte. Aber ſo iſt kein einiger Satz in meiner Vorſtellung, der nicht in ihren Beweiß einflieſſet. Und ich kan ſie daher nicht anders faſſen, ohne ihrem Be- weiſe ſeine Staͤrcke zu nehmen. Faͤllt ein einiger Satz hinweg, ſo iſt der gantze Be- weiß nichts. §. 20.Was ſi- cherer ſey? einem all- wiſſenden GOtt zu glauben, oder nicht. Bey wahrſcheinlichen Wahrheiten, die ſich Jacobi Betr. 2. Band. X
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0339" n="321"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> finden ſollte, begreife ich ohne langen Be-<lb/> weiß. Welche Reihe der Gedancken iſt<lb/> wahrſcheinlicher? Der Leſer wird dencken,<lb/> ich habe die letztere Meinung und ihren Be-<lb/> weiß mit Fleiß auf eine laͤcherliche Art vor-<lb/> geſtellet. Allein ich verſichere, daß ſolches<lb/> nicht geſchehen. Jch haſſe und mißbillige<lb/> es, wenn man die Vertheidiger einer<lb/> Meinung ſucht laͤcherlich zu machen. Man<lb/> erregt dadurch bey ihnen die Galle und ent-<lb/> fernt ſich von der Wahrheit. Und ich<lb/> wuͤnſchte, daß ich die Kette der Gedancken<lb/> derer, die aus dem fruͤhzeitigen Untergange<lb/> gewiſſer Anlagen von Pflantzen und leben-<lb/> digen Geſchoͤpfen die goͤttliche Allwiſſenheit<lb/> beſtreiten, nach der Wahrheit anders vor-<lb/> ſtellen koͤnnte. Aber ſo iſt kein einiger<lb/> Satz in meiner Vorſtellung, der nicht in<lb/> ihren Beweiß einflieſſet. Und ich kan ſie<lb/> daher nicht anders faſſen, ohne ihrem Be-<lb/> weiſe ſeine Staͤrcke zu nehmen. Faͤllt ein<lb/> einiger Satz hinweg, ſo iſt der gantze Be-<lb/> weiß nichts.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head>§. 20.</head> <note place="right">Was ſi-<lb/> cherer ſey?<lb/> einem all-<lb/> wiſſenden<lb/> GOtt zu<lb/> glauben,<lb/> oder nicht.</note><lb/> <p>Bey wahrſcheinlichen Wahrheiten, die<lb/> einen Einfluß in unſre Handlungen haben,<lb/> muß man auch auf das ſicherſte ſehen, und<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Jacobi Betr. 2. Band. X</fw><fw place="bottom" type="catch">ſich</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [321/0339]
finden ſollte, begreife ich ohne langen Be-
weiß. Welche Reihe der Gedancken iſt
wahrſcheinlicher? Der Leſer wird dencken,
ich habe die letztere Meinung und ihren Be-
weiß mit Fleiß auf eine laͤcherliche Art vor-
geſtellet. Allein ich verſichere, daß ſolches
nicht geſchehen. Jch haſſe und mißbillige
es, wenn man die Vertheidiger einer
Meinung ſucht laͤcherlich zu machen. Man
erregt dadurch bey ihnen die Galle und ent-
fernt ſich von der Wahrheit. Und ich
wuͤnſchte, daß ich die Kette der Gedancken
derer, die aus dem fruͤhzeitigen Untergange
gewiſſer Anlagen von Pflantzen und leben-
digen Geſchoͤpfen die goͤttliche Allwiſſenheit
beſtreiten, nach der Wahrheit anders vor-
ſtellen koͤnnte. Aber ſo iſt kein einiger
Satz in meiner Vorſtellung, der nicht in
ihren Beweiß einflieſſet. Und ich kan ſie
daher nicht anders faſſen, ohne ihrem Be-
weiſe ſeine Staͤrcke zu nehmen. Faͤllt ein
einiger Satz hinweg, ſo iſt der gantze Be-
weiß nichts.
§. 20.
Bey wahrſcheinlichen Wahrheiten, die
einen Einfluß in unſre Handlungen haben,
muß man auch auf das ſicherſte ſehen, und
ſich
Jacobi Betr. 2. Band. X
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |