Um diesen Schmertz etwas zu besänf-Fortse- tzung des vorigen. tigen, reißte ich zu meinen geliebten Eltern. Jndem ich aber ohne Gesellschafft war, beschäfftigte sich mein kranckes Gemüth beständig mit Betrachtung meines entseel- ten Kindes und der Begegnissen dieses Le- bens. Mir fiel hiebey der Gedancke eines berühmten Gelehrten ein, welcher dafür hält, daß man wenigstens nach der Ver- nunft nicht anders dencken könne, als daß GOtt die zukünftigen Dinge, so nicht ab- solut nothwendig seyn, nicht alle vorher sehe, sondern Versuchs-weise allerhand Dinge mit einander verknüpffe, und erwarte, was daraus erfolge. Die vielen Dinge, wel- che ihr sonst gewöhnliches Ziel nicht errei- chen, z. E. die vielen Eyer, die wir mit ei- nem eintzigen Fische essen u. d. g. bewegen ihn zu glauben, daß der Schöpfer die Ver- nichtung dieser Eyer und der darinne be- findlichen kleinen Fische nicht vorher gese- hen, indem er sie sonsten nicht in einem sol- chen Zusammenhang würde gesetzet haben. Denn ein Allwissender könne seines Ziels niemahls verfehlen. Jndem man aber die Eyer eines einigen Fisches esse, würde
das
R 4
§. 2.
Um dieſen Schmertz etwas zu beſaͤnf-Fortſe- tzung des vorigen. tigen, reißte ich zu meinen geliebten Eltern. Jndem ich aber ohne Geſellſchafft war, beſchaͤfftigte ſich mein kranckes Gemuͤth beſtaͤndig mit Betrachtung meines entſeel- ten Kindes und der Begegniſſen dieſes Le- bens. Mir fiel hiebey der Gedancke eines beruͤhmten Gelehrten ein, welcher dafuͤr haͤlt, daß man wenigſtens nach der Ver- nunft nicht anders dencken koͤnne, als daß GOtt die zukuͤnftigen Dinge, ſo nicht ab- ſolut nothwendig ſeyn, nicht alle vorher ſehe, ſondern Verſuchs-weiſe allerhand Dinge mit einander verknuͤpffe, und erwarte, was daraus erfolge. Die vielen Dinge, wel- che ihr ſonſt gewoͤhnliches Ziel nicht errei- chen, z. E. die vielen Eyer, die wir mit ei- nem eintzigen Fiſche eſſen u. d. g. bewegen ihn zu glauben, daß der Schoͤpfer die Ver- nichtung dieſer Eyer und der darinne be- findlichen kleinen Fiſche nicht vorher geſe- hen, indem er ſie ſonſten nicht in einem ſol- chen Zuſammenhang wuͤrde geſetzet haben. Denn ein Allwiſſender koͤnne ſeines Ziels niemahls verfehlen. Jndem man aber die Eyer eines einigen Fiſches eſſe, wuͤrde
das
R 4
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0281"n="263"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="2"><head>§. 2.</head><lb/><p>Um dieſen Schmertz etwas zu beſaͤnf-<noteplace="right">Fortſe-<lb/>
tzung des<lb/>
vorigen.</note><lb/>
tigen, reißte ich zu meinen geliebten Eltern.<lb/>
Jndem ich aber ohne Geſellſchafft war,<lb/>
beſchaͤfftigte ſich mein kranckes Gemuͤth<lb/>
beſtaͤndig mit Betrachtung meines entſeel-<lb/>
ten Kindes und der Begegniſſen dieſes Le-<lb/>
bens. Mir fiel hiebey der Gedancke eines<lb/>
beruͤhmten Gelehrten ein, welcher dafuͤr<lb/>
haͤlt, daß man wenigſtens nach der Ver-<lb/>
nunft nicht anders dencken koͤnne, als daß<lb/>
GOtt die zukuͤnftigen Dinge, ſo nicht ab-<lb/>ſolut nothwendig ſeyn, nicht alle vorher ſehe,<lb/>ſondern Verſuchs-weiſe allerhand Dinge<lb/>
mit einander verknuͤpffe, und erwarte, was<lb/>
daraus erfolge. Die vielen Dinge, wel-<lb/>
che ihr ſonſt gewoͤhnliches Ziel nicht errei-<lb/>
chen, z. E. die vielen Eyer, die wir mit ei-<lb/>
nem eintzigen Fiſche eſſen u. d. g. bewegen<lb/>
ihn zu glauben, daß der Schoͤpfer die Ver-<lb/>
nichtung dieſer Eyer und der darinne be-<lb/>
findlichen kleinen Fiſche nicht vorher geſe-<lb/>
hen, indem er ſie ſonſten nicht in einem ſol-<lb/>
chen Zuſammenhang wuͤrde geſetzet haben.<lb/>
Denn ein Allwiſſender koͤnne ſeines Ziels<lb/>
niemahls verfehlen. Jndem man aber<lb/>
die Eyer eines einigen Fiſches eſſe, wuͤrde<lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">das</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[263/0281]
§. 2.
Um dieſen Schmertz etwas zu beſaͤnf-
tigen, reißte ich zu meinen geliebten Eltern.
Jndem ich aber ohne Geſellſchafft war,
beſchaͤfftigte ſich mein kranckes Gemuͤth
beſtaͤndig mit Betrachtung meines entſeel-
ten Kindes und der Begegniſſen dieſes Le-
bens. Mir fiel hiebey der Gedancke eines
beruͤhmten Gelehrten ein, welcher dafuͤr
haͤlt, daß man wenigſtens nach der Ver-
nunft nicht anders dencken koͤnne, als daß
GOtt die zukuͤnftigen Dinge, ſo nicht ab-
ſolut nothwendig ſeyn, nicht alle vorher ſehe,
ſondern Verſuchs-weiſe allerhand Dinge
mit einander verknuͤpffe, und erwarte, was
daraus erfolge. Die vielen Dinge, wel-
che ihr ſonſt gewoͤhnliches Ziel nicht errei-
chen, z. E. die vielen Eyer, die wir mit ei-
nem eintzigen Fiſche eſſen u. d. g. bewegen
ihn zu glauben, daß der Schoͤpfer die Ver-
nichtung dieſer Eyer und der darinne be-
findlichen kleinen Fiſche nicht vorher geſe-
hen, indem er ſie ſonſten nicht in einem ſol-
chen Zuſammenhang wuͤrde geſetzet haben.
Denn ein Allwiſſender koͤnne ſeines Ziels
niemahls verfehlen. Jndem man aber
die Eyer eines einigen Fiſches eſſe, wuͤrde
das
Fortſe-
tzung des
vorigen.
R 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/281>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.